Alice Rose (DK)

"Countrysongs for Broken Hearts"

Ganz allein steht sie auf der Bühne und zieht mit ihrer wundervollen sanften Stimme und ihrer Geige das Publikum in ihren Bann.
Neben ihr ein Tisch mit elektronischen Instrumenten, die sie, ganz nebenbei, auch alle selber spielt.
Ihre Performance ist spannend und ihre Musik berührt, inspiriert, verzaubert.

Gleich zweimal durfte ich sie im Rahmen der c/o-pop (Köln feiert, auch wenn die Popkomm jetzt in Berlin ist) live erleben, auf dem SOMA-festival und im Kölner Club MTC.

Alice Rose, geb in Kopenhagen (DK) – Gesang, Geige, Elektronische Instrumente, Komponistin, Texterin, Performerin. Eigenproduktion von Musik und Videos. Studentin und Produzentin von Videos an der Academy of Media Arts Köln (KHM).

Sie lebte in Berlin, Prag und Köln und hat eine 8-jährige Tochter. Die Presse vergleicht sie manchmal gern mit Björk, und unter den Künstlern, die sie beeinflusst haben finden sich z.B. auch Ella Fitzgerald, J.S.Bach und Massive Attack. Selber sagt sie, sie singt gern Jazz, um davon zu lernen, aber am liebsten schreibt sie ihre eigenen Stücke.

Soloprojekt „Alice Rose“:
Musik, Live Performance, Videos
aktuelle CD „Go North (Countrysongs for Broken Hearts)“

Auf deiner Webseite steht, dass du als Kind im Kirchenchor gesungen und Piano und Geige gelernt hast. Wie bist du zu deinem unverwechselbaren Style gekommen?
Mit 18 habe ich angefangen, experimentelles Theater zu machen, in einer Gruppe, in der jeder mitbrachte was er halt konnte. Für mich war das eben vor allem musikalisches wie Geige spielen und singen. Später kam meine Tochter zur Welt, da hatte ich nicht mehr die Möglichkeit kontinuierlich mit einer Gruppe zu arbeiten.
Da ich aber unbedingt wieder Musik machen wollte, nicht nur Zuhause, stieg ich bei einer elektronischen Band [Mare Nigrum] ein, die damals eine Sängerin suchten. Das war in Prag. Mit ihnen habe ich eine CD aufgenommen und bin in Tschechien und der Slowakei rumgetourt. Das waren meine ersten Erfahrungen mit elektronischer Musik.

Nach etwa zwei Jahren mit dieser Band hatte ich keine Lust mehr und habe angefangen, selber Musik zu machen, erst akustisch, mit einem Pianisten zusammen, dann auch eigene Sachen zu schreiben und mit einem Vierspurgerät aufzunehmen: Gesang, Geige und ein kleines Keyboard hatte ich auch. Nach etwa einem Jahr kaufte ich meine erste Electribe, ein Mischpult und Effektgeräte. Damit habe ich dann meine ersten Gigs gespielt. Alle zwei Wochen trat ich in einem Lounge-Restaurant in Prag auf.

Daneben hatte ich weiter Theater gemacht und wurde sogar auf der Schauspielschule aufgenommen. Aber ich habe abgebrochen, weil ich merkte, dass mir die Musik wichtiger ist und ich nicht die ganze Zeit etwas anderes trainieren möchte, wie z.B. Mimik oder Akrobatik.

Ich habe dann noch einige Schauspiel-Jobs gemacht, etwa. für Kurzfilme oder Werbung, das machte Spass und brachte auch Geld, aber ich fokussierte mehr auf die Musik.

Wie schaffst du es, alles unter einen Hut zu bekommen, Studium, Tochter, Arbeit?
Ich hab einen guten Job als Sängerin, so zweimal die Woche, und zwischendurch mache ich einige Gigs, aber damit finanziert sich die Musik sozusagen selbst. Nicht, dass ich davon reich würde. Ich habe das Glück, dass ich ein Stipendium an der KHM habe, und ich bin sehr dankbar dafür, da den Umgang mit digitalen Medien zu erlernen.
Und wie schaffst du es organisatorisch mit deiner Tochter Mirabelle?
Früher ist Mirabelles Vater immer mitgekommen, und auch heute passt er auf sie auf. Einen Babysitter habe ich sehr selten, weil sie auch nicht so gern jemanden fremden akzeptiert.
Wir teilen uns das auf, eine halbe Woche wohnt sie hier, und sonst ist sie bei ihrem Vater. So können wir uns das teilen, so habe ich immer 3-4 Tage Zeit um zu arbeiten.

Bei deiner Soloperformance machst du alles selber und gleichzeitig: Singen, Geige spielen und die elektronischen Instrumente bedienen. Wie schaffst du es, obwohl du soviel zu tun hast, das Publikum in deinen Bann zu ziehen?
Ich stand immer schon auf der Bühne und habe da gerne viel gemacht, schon als Kind. Manchmal höre ich aber auch kritische Stimmen, die sagen, ich solle doch weniger machen auf der Bühne, mich mehr der Performance hingeben und es wäre schade, dass ich soviel beschäftigt bin. Ich merke, manchmal ist es vielleicht sogar ein Schutz. Wenn man ganz allein auf der Bühne steht hat man ja kein Backup, überhaupt…

Als Sängerin in einer Band wird von dir erwartet, dass du da vorne bist und irgendwas machst, und es stellt sich immer die Frage: „was macht du da“? du willst nicht so wie Janet Jackson oder Britney Spears da rumtanzen, das ist jetzt nicht deine Zielgruppe… [lacht]

Es lenkt ein bisschen ab von der Situation, vorn zu stehen und cool zu sein. Da kannst du einen Knopf drücken, einen Regler drehen oder einen Akkord spielen, das ist etwas, was ich brauche.

Ich habe ja auch noch eine Band, Bug Deluxe. Wir haben einige Auftritte zu dritt gemacht, da war ich halt hauptsächlich die Sängerin. Es ist eine ganz andere Rolle, in der ich mich nicht unbedingt wohl fühle. Manchmal sagen mir Leute, es könnte doch einfach ein Typ im Hintergrund stehen, der sich um die Elektronik kümmert, damit ich mich auf den Gesang konzentrieren kann, aber ich bin mir nicht so sicher, ob das unbedingt ist was ich will! Ich wollte auch unabhängig sein und selber entscheiden, was ich auf der Bühne spiele. Nicht so, wie das eben sonst oft ist, es sind ja meistens Männer in der Band, und die entscheiden dann auch meistens was gespielt wird. Ich darf dann singen was ich will, aber das hat mir einfach nicht gereicht irgendwann, zumindest nicht nur.

Nun ja, es ist aber auch nicht so, dass das Solo immer ganz toll klappt. Manchmal ist es auch schrecklich, da stehst du da und denkst, oh, scheisse, ich möchte jetzt bloss hier weg, bist ausgeliefert, oder fühlst dich ausgeliefert, manchmal ist es ja auch nur in deinem Kopf.

Und nach draussen sieht es dann doch ganz gut aus…

Ja, kann sein, aber in deinen eigenen Vorstellungen halt nicht.

Bist du eine Perfektionistin?
Nein! ich mag gerne Homerecording, und ich liebe es, diese besonderen Augenblicke aufzunehmen. Ich arbeite ja auch im Studio mit Bands und da ist es oft genau das Gegenteil, zehn Takes und dann schnipseln sie etwas zusammen. Das ist überhaupt nicht mein Ding.
Ich mag halt am liebsten direkt aufnehmen, und wahrscheinlich ist das dann für viele Menschen auch nicht so …. perfekt..
Aber am liebsten möchte ich es so festhalten wie es in der Situation war.

Was hast du denn für eine Beziehung zu Technik?

Hmm… also am besten, ich kriege kurz gezeigt wie das funktioniert, dann habich damit auch kein Problem, aber ich bin oft ein bisschen scheu, so dass ich nicht unbedingt etwas neues ausprobieren will, zumindest, wenn ich nicht weiss, dass es funktioniert.
Wenn ich plötzlich mit den Sachen anderer Leute arbeiten soll, merke ich, dass es schwieriger ist als mit meinen eigenen. Dann sage ich, dass es für mich unangenehm ist. Mit meinen eigenen Sachen ist es natürlich überhaupt kein Problem.

Und bei Software? Wie schaffst du dir dein Wissen drauf? Liest du Manuals?
Meistens lese ich keine Manuals. Manchmal hat mir das am Anfang jemand gezeigt, und dann habich das gelernt indem ich es einfach genutzt habe.
Was benutzt du für Equipment auf der Bühne?
Casiokeyboard, Geige, einige Effekte, 4 Electribes [alle 4 modelle der ersten Generation]. Vor fünf, sechs Jahren als die Electribes rauskamen, habe ich mich dafür entschieden, weil es für mich eine angenehme Art ist, live zu arbeiten, und habe mir erstmal eine gekauft. Dann kam nach und nach noch eine dazu. Ein Freund von mir, Robert Feuchtl (Bob Humid) kam einmal nach einem Gig und sagte zu mir „du benutzt die Electribes genauso wie Korg sich das gedacht hat”.

Vielleicht werde ich aber bald wechseln, weil die Electribes so eine begrenzte Klangästhetik haben. Sie sind keine Flächenmaschinen sondern es ist alles Beat-basiert, und eigentlich bin ich gar keine Beat-basierte Musikerin.

Wohin würdest du denn wechseln wenn du von den Electribes weg willst?
Ja, das ist eine gute Frage. Ich habe bisher noch keine Alternative für mich gefunden. Die ganzen neuen Sachen, die ich schreibe, habe ich mit Cubase am Rechner arrangiert, viel mit Flächen, z.B. Gitarre, Athmos, Filmsounds usw.
Live ist das aber schwierig: sobald du anfängst, mit dem Computer zu arbeiten kannst du ncht mehr live das gleiche machen. Du kannst es vielleicht nachbauen, und mit Ableton Live oder so nachspielen, nur, das ist nicht das Gleiche! Ich weiss, wenn ich erstmal beim Laptop bin, dann komme ich nicht mehr zurück zu den alten Sachen. Mir fehlt einfach der Live-Faktor, das Knopfe-drücken, Batterien wechseln, Ein- und Ausschalten eines Geräts oder das Drehen eines Reglers… Ich weiss noch nicht, vielleicht kaufe ich ja doch den neuen Electribe-Sampler.

Um die Sachen live zu spielen, die ich zuhause mit Sequencer im Homestudio aufgenommen habe, muss ich zum Teil einfach mit Playbacks arbeiten. Obwohl ich ja Geige spiele und singe ist es mir nicht so angenehm wie Knöpfe drücken und Sachen neu programmieren usw.

Woran liegt das deiner Meinung nach, dass in der elektronischen Musik immernoch sehr wenig Frauen zu finden sind, zumindest sochle, die nicht die ganze Technik den Männern überlassen?

Ich denke das liegt zum Teil an der Erziehung, dass wir Frauen immernoch Berührungsängste haben mit allem was technisch ist…. Naja, ich stelle mir vor, dass es daran zum Teil liegt, genau weiss ich es nicht, das ist ja eine schwierige Frage.

Aber man sieht es ja zum Beispiel auch in der Kunst. Da gibt es wenig Frauen, die mit neuen Medien arbeiten, die meisten studieren Malerei. Die Stimme, das Intuitive, das Körperliche, oder das Analoge wie bei Malerei, das sind vertraute Medien, bekanntes Land in dem du dich bewegst.

Manchmal denke ich auch, es gibt Typen, die können das viel besser. Sie gehen mit der Technik um als wäre sie die Verlängerung ihrer eigenen Hand. Das ist bei mir überhaupt nicht so, für mich ist das eher lästig. Ich mache es zwar und kann damit umgehen, ich informiere mich gerne über neue Geräte und was sie alles können, gehe auch gerne in Musikläden um sie auszuprobieren. Aber es gibt viele Frauen, die das nicht machen und das liegt einfach an diesen Berührungsängsten. Ich brauche es für meinen künstlerischen Ausdruck, deswegen habe ich es gelernt.

Wäre ich andere Wege gegangen, zum Beispiel beim Theater geblieben, würde ich wahrscheinlich heute nur Emails abchecken und das wärs. So hast du einfach viel mehr Probleme, technische Probleme, die zum Teil sehr schwierig zu lösen sind. Da kann ich die Leute sehr gut verstehen, wenn sie darauf keine Lust haben!
P.J. Harvey zum Beispiel, eine Musikerin, die ich sehr bewundere… sie macht ja Rock, ausschliesslich Gitarre und Stimme, und ich habe in einem Interview einmal gelesen, dass sie nicht einmal eine Email-Adresse hat. Sie hat gar keinen Bock auf Computer, überhaupt nicht! Sie sagt einfach partout „nein“. Sie hat nichtmal ein Handy. Ich kann das verstehen. Das befreit.

Hast du die Erfahrung gemacht, im Musikbusiness anders behandelt zu werden als deine männlichen Kollegen?
Ich glaube, wenn es einen Unterschied gibt, wird es von mir aus kommen. Was wir ausstrahlen spielt eine ziemlich grosse Rolle, wie wir behandelt werden. Das heisst, wenn ich schlecht behandelt werde, liegt es oft, das glaube ich, an meinem eigenen Selbstwertgefühl oder an meiner eigenen Haltung zu mir selbst und zu meinen Sachen. Daher würde ich jetzt nicht jemand anderem die Schuld geben.
Nur, was ich öfters merke, was aber nicht bösartig ist, ist, dass ich als Sängerin vorgestellt werde und nicht als Musikerin. Auch wenn ich in einer Zusammenarbeit die Hälfte der Musik mache, werde ich immernoch als „die Sängerin“ vorgestellt!

Das liegt, glaube ich, daran, dass mein grösstes Talent oder das, was hervorragt, halt die Stimme ist. Auch bei vielen anderen Elektronik-Musikern wird auf die Stimme fokussiert, weil sie schön ist oder hervorragt.
Oft wird von mir auch ein bisschen gewünscht, dass ich nur die Stimme bin, das ist aber auch nicht bösartig gemeint, das ist nur, weil sie sich das wünschen. Es gibt ja auch einfach andere Leute, die ihr Gebiet besser können, z. B. programmieren, Keyboard spielen oder auch Video. Ich bin sicher, es gibt Regisseure und Filmmenschen, die meine Videos hätten viel besser machen können. Aber darum geht es mir nicht. Mir geht es darum, dass ich selber, so, wie ich meine Musik male, auch meine Videos male.

Mit Gitarre spielen ist das auch so. Manchmal frage ich Leute, ob sie etwas für mich einspielen. Wenn das nicht klappt mache ich es halt selber. Manchmal mache ich es auch gerade selber, weil ich den besonderen Ausdruck da reinbringen will, auch wenn das vielleicht in anderen Ohren nicht gut klingt, ist es genau das was ich haben will, dann ist es leichter, das selbst zu machen.

Machst du eigentlich deine Videos alle selbst?
Nicht alle. Eines der Videos habe ich komplett allein gemacht, weil es nicht nötig war, dass da noch jemand mitarbeitet. Das war Wasser, genauer gesagt, Wasserfälle. Die Musik war schon fertig, produziert von mir und Gabriel Ananda, mit dem ich schon eine Veröffentlichung habe [Ananda.Rose „Silverwear“, siehe Veröffentlichungen], und wir haben jetzt auch ein Album, das diesen Herbst / Winter rauskommen wird [Ananda.Rose „Perfect Day to Escape“, siehe Veröffentlichungen]
Meist arbeite ich mit einem kleinen Team mit 2-6 Leuten, je nach Thema. Technisch gesehen sind es ziemlich altmodische Sachen, keine Special Effects oder so. Es sind keine für kommerzielle Zwecke gemachten Videos, sie laufen auf meiner Webseite [lacht] und manchmal auch auf Festivals. Zwei kommen auf die neue Platte.

Alice Rose: mp3s, Videos, Fotos, Live Termine auf ihrer webseite:
www.alicerose.com

Alice Rose – Veröffentlichungen

(Anm.d.Red.: wir veröffentlichen diese Daten in ungekürzter Form, da sie die Werke teils selbst vertreibt und einen eigenes MUSIK-Vertreibsnetz aufbaut)

Works released and unreleased:
Mare Nigrum, Grape, CZ 1997(Wolf Records)
Hypnotix, Six remixes, 1999(African Dance Records)
Originalton, „Nemoglobin“ 2002. 1 title (Tomba Rec.)
Bug Deluxe, „This is Bug Deluxe“ 2002-03. Full length album (yet to be released)
Ananda/rose „Silverwear? 2003. 12″vinyl (Tonsport)
Ananda/rose „Perfect Day to Escape“ 2001-02. Full length album (yet to be released)
Solo Work: Home productions
Alice rose „subrosa“ casette 4-track pieces. 1999(sold by alice)
Alice rose „Live in Prague“(also sold by alice) 2000
Alice rose „Live in L.A.“(available at alice’s) 2001
Alice Rose „Live in Berlin“ 2002(——-„——-)
Alice Rose „this is alice rose“ 2003
Alice Rose „Zufall“ 2002 (for the Academy of Media Arts in Cologne)
Alice Rose „DEMO“ 2002 (alice’s production)
Alice Rose „NURSE 2003“ 2003 (——-„——–)
Alice Rose „Zielinski’s Kiss“ 2003 (for the Academy of Media Arts)

VIDEOS:

Musik, Regie und Realisierung: Alice Rose

Wonderful-Beautiful, Alice Rose
Peace and Shelter, Bug Deluxe
Engine of Love, Alice Rose
Happiness, Ananda.Rose
Casiodance, Alice Rose
Baby, Andanda.Rose
Perfect Day to Escape, Ananda.Rose

KOOPERATIONEN & weitere Projekte:

Bug Deluxe: Sebastain Gramss & Wolgang Stach, Album wird gemischt
Frank Martinik & Alice Rose: Album wird produziert
Ananda.Rose: Album wird im Winter 2005 erscheinen
Alice und Electro Atomu: neues Projekt

Text / Interview: Patty Stucki/Köln

Erschienen: Oktober 2004

Copyright: Redaktion Melodiva

29.10.2004