20 Jahre Frauenblasorchester Berlin

Interview mit Simone (1.Trompete)

2003 – die Geburtsstunde des Frauenblasorchesters Berlin. In der Fabrik Osloer Straße trafen sich ca. 40 musikbegeisterte Frauen mit den unterschiedlichsten Blasinstrumenten (Flöten, Klarinetten, Trompeten, Saxophone, Tuba und Posaune), bereit, sich auf ein Abenteuer einzulassen – das gemeinsame Musizieren außerhalb ihrer eigenen vier Wände. Sie wollten alles spielen außer „Umtata“. Es traf die Polizistin auf die Bankkauffrau, die Lehrerin auf die Biobäuerin, die Erzieherin auf die Ingenieurin – was sie einte, war die Liebe zur Musik.
 Nur wenige brachten Erfahrungen im Orchesterspiel mit. Eine Herausforderung, die die Dirigentin Astrid Graf und die Frauen jedoch mit Bravour meisterten. Am 9. September ist das Blasorchester bei einem großen Jubiläumskonzert im Großen Sendesaal des rbb mit dem Berliner Frauenensemble holz&blech zu erleben.

Seit inzwischen über 20 Jahren setzt sich der Frauenblasorchester Berlin e. V. für Sichtbarkeit und Förderung von Frauen* in der Blasmusik im Speziellen und in der Musikbranche im Allgemeinen ein: „Die Idee, die wir seit der Gründung haben, ist es, Laienmusiker*innen zu fördern, sowie zu zeigen, dass sie alles spielen können: Tuba, Schlagzeug und E-Bass neben der Klarinette und Flöte“, sagt Astrid Graf, Dirigentin und künstlerische Leiterin. Mittlerweile spielen in dem aus zwei Orchestern zusammengesetzten Dachverein mehr als 100 engagierte, ambitionierte Laienmusiker*innen im Alter zwischen 18 und 80 Jahren. Sie zeigen, wie Frauen* neben Beruf, Familie, Kindern oder Pflege von Angehörigen auf der Bühne als Orchester auf hohem musikalischem Niveau und mit ansteckender Energie ihr Publikum mitreißen. Mit Open-Air-Auftritten (Foto unten: Jana Legler), Konzerten in den großen Berliner Konzerthäusern und Benefizveranstaltungen haben sich die Orchester einen festen Platz in den Berliner Laienorchestern erspielt.

Bundesweit bekannt wurde das Frauenblasorchester Berlin durch den mehrfach preisgekrönten Dokumentarfilm “Kein Zickenfox” von Dagmar Jäger und Kerstin Polte. Die Freude am Musizieren, das Engagement und vor allem die Offenheit für Neues, die Lust, sich aufeinander einzulassen sind, was dieses Frauenkollektiv auszeichnet. Inzwischen sind einige Frauen gegangen, neue Frauen haben sich dazu gesellt, aber die Neugier und die Begeisterung für die Musik ist auch nach 20 Jahren noch zu spüren.

Simone (Foto: Nicole Schnittfinke) ist eine der Frauen der ersten Stunde. Sie spielt Trompete im Frauenblasorchester Berlin und ist seit der 3. Probe dabei. Aufmerksam auf das Orchester wurde sie durch eine Freundin, mit der sie bereits in einer Musikschulband spielte. Die Band hatte sich damals aufgelöst, ihre Trompete lag seitdem in der Ecke und staubte ein. Das war die Gelegenheit, das Instrument wieder in die Hand zu nehmen. Und die Tatsache, dass hier nur Frauen sind, hat ihr gefallen. „Ich fühlte mich dort von Anfang an total wohl. Ich habe schon immer Musik gehört, danach getanzt, Musik aufgelegt und plötzlich war ich mitten in der Musik. Da wurde mir bewusst, was der Begriff „Klangkörper“ bedeutet. Ich war Teil dieses Körpers und das ist bis heute ein tolles Gefühl.” Simone hat erst mit 30 Jahren angefangen, Trompete zu lernen. Sie hat im Orchester in der 3. Trompete begonnen und spielt heute 1. Trompete. Bianca Kliese hat mit ihr gesprochen.

Wie war der Anfang?

Es war sehr familiär, wir wussten viel voneinander. Es war alles neu und aufregend. Allein die Namensfindung war spannend und später die Gründung des Vereins, um alles auf ein solides Fundament zu stellen.

Wofür stehen 20 Jahre Frauenblasorchester Berlin für Dich, Simone?

Für mich ist das Orchester 20 Jahre Lebenszeit. Diverse Freundschaften und auch Liebschaften innerhalb des Orchesters haben sich ergeben. Es wurden Kinder geboren, wir mussten von Frauen Abschied nehmen, wir haben Krankheiten erlebt und das Älterwerden – das ganz normale Leben im Kleinen. Wir leben Demokratie und Diskussionen. Gemeinsam einigen wir uns auf Stücke und Entwicklungen innerhalb des Orchesters. Es ist nicht alles heile Welt. Der kleinste gemeinsame Nenner ist die Musik. Astrid, unsere Dirigentin, hat uns oft Sachen zugetraut, wo wir selber verunsichert waren, ob wir das schaffen. Sie hat irgendwie so ein Urvertrauen, dass wir das meistern.

Wer Simone beim Spielen erlebt, fällt sofort ihre Spielfreude auf. Für sie ist Musik immer auch Bewegung. Das Stehen in der letzten Reihe gibt ihr die Möglichkeit, nicht nur die Noten zu spielen, sondern mit ihren Bewegungen sich auszudrücken und die Freude an der Musik sichtbar zu machen. „Wenn nach dem Konzert jemand zu mir kommt und sagt, dass mir die Spielfreude anzusehen ist und es Spaß macht, mir zuzuschauen, ist das ein großes Lob für mich.“

Wie ist es mit der Aufregung vor Konzerten?

In einem Orchester bist Du nicht so exponiert wie in einer Band. Wenn etwas schief läuft, verteilt sich das auf mehrere Schultern und das hilft mir bei der Aufregung.

Ich habe Simone gefragt, was für sie bis heute das Aufregendste im 20-jährigen Orchesterleben war.

Das war eindeutig das erste Konzert in der Philharmonie. An diesem Ort wird die hohe Kunst der Musik zelebriert, es spielt dort sonst nur die Crème de la Crème der klassischen Musik und plötzlich spielen wir da. Ich war stolz. Der Saal war ausverkauft und alle waren wegen uns gekommen. Ein sehr beeindruckender Moment. Wir hatten viele Erlebnisse: die Konzertreise nach Franken, die Probenwochenenden, die Uraufführung von Susanne Stelzenbachs „Luftspiel“, die Dreharbeiten zum Dokumentarfilm – aber dieses erste Konzert in der Philharmonie bleibt für mich das Prägendste.

Wie lange willst Du im Orchester spielen?



Solange ich die Trompete noch halten kann, meine Finger mitmachen und die Kondition reicht, bleibe ich dabei. Für mich ist es ein einzigartiges Orchester und ich will wissen, wie es weitergeht. Ich bin in einem großartigen Projekt, das Teil meines Lebens geworden ist. Das möchte ich gern noch eine Weile begleiten.

Simones Devise ist bis heute, immer wieder Neues zu beginnen. Getreu diesem Motto begann sie mit 50 Jahren Schlagzeug zu spielen. Beim großen Frauen*BrassMob, veranstaltet vom Frauenblasorchester Berlin e.V. mit seinen beiden Orchestern, dem Berliner Frauenensemble holz&blech und dem Frauenblasorchester Berlin zusammen mit knapp 200 Frauen im Juli, stand sie nicht bei den Trompeterinnen, sondern spielte Schlagzeug. „Es ist nie zu spät, etwas Neues auszuprobieren und zu lernen. Wir müssen uns nur trauen und es umsetzen!“ Wir dürfen gespannt sein, welches Instrument sie mit 70 Jahren beginnt.

Am 09.09.2023 könnt ihr das Frauenblasorchester Berlin und das Berliner Frauenensemble holz&blech beim großen Jubiläumskonzert live erleben! Euch erwarten yiddishe Melancholie, afrikanische Rhythmen, Tango Nuevo, hotter Jazz, Ska, Funk, leidenschaftlicher Latin, legendärer Rock, norwegischer Groove und mehr… 

9. September 2023, 19 Uhr, Großer Sendesaal des rbb
Veranstaltungsort: Haus des Rundfunks, Masurenallee 8 – 14, 14057 Berlin
Tickets für 14 €/12 € ermäßigt (inkl. Gebühren)

(Titelbild: Nicole Schnittfinke) 

Veranstaltung | Infos

Autorin: Bianca Kliese

22.08.2023