„18 trifft 68“: Annette Kayser & Ziggy
Musikerinnen sprechen über die 68er
Annette Kayser… geb. 1962 in Oldenburg, begann mit 5 Jahren am Klavier, bis sie mit 13 Jahren über den Umweg Wandergitarre beim Schlagzeug landete. Erste Banderfahrungen mit 13 (Punk+Geschrei!). Und nach Musik- und “Klassik“- Schlagzeugstudium (1981-1987 an Uni und Konservatorium) viele Bands, Touren, Tonträger, von Pop über Funk-Rock (“7 Kick the Can“) und Fusion-Jazz (“Her favorite Food”) bis zu BigBandJazz (“United Women´s Orchestra“). Seit 1984 Dozentin bei Nord-und Süddeutschen sowie Schweizer Frauenmusikwochen und diverse andere Workshops. Von 1997 bis 2017 tingelte sie als “Trude Mathilde“ in der Percussion-und Comedy-Show Trude träumt von Afrika durch den deutschsprachigen Raum. Heute ist sie mit ihren Projekten A Quadrat (RhythMusiKabarett) und SirBradleyQuartett (Modern Jazz) unterwegs, leitet die BigBandBerthaBlau (mit Frauke Wessel) und den Body-Percussion-Chor Die BeatSchwestern (mit Anke Hundius).
Ziggy… ist Bassistin und Sängerin beim Berliner Stromgitarren-Trio SHIRLEY HOLMES. Zusammen mit Bandkollegin Mel schreibt sie außerdem die Songs und die Texte. 2017 kam ihr zweites Album „Schnelle Nummern“ heraus, kürzlich waren SHIRLEY HOLMES im Studio, um neue Songs aufzunehmen. Dabei war Ziggy lange Jahre ausschließlich in den Gefilden der klassischen Musik unterwegs, ist aber dann, nach einem intensiven Ausflug in den Indiepop, unerwartet in einer ganz anderen Ecke gelandet. Plötzlich hieß es: Voll auf die Mütze! Mit dem SHIRLEY HOLMES eigenen freshen Stromgitarren-Elektro-Rotz-Pop gibt sie seit Jahren Vollgas auf der Bühne. Und freut sich, dass sie dabei mittlerweile endlich vermehrt auch auf andere Bands mit Frauenbesetzung trifft.
Hast Du einen persönlichen Bezug zu der Zeit der 68er?
Annette: Nein, nicht direkt. Bin ja 1962 geboren und habe erst später die Auswirkungen mitbekommen.
Ziggy: Klar, aber dazu muss man zuerst mal fairerweise sagen, dass ich selbst schon ganz schön weit von der 18 entfernt bin.
Annette: Also, wenn Du schon 26 sein solltest, sind wir ja bloß 30 Jahre auseinander.
Was bedeuten sie für Dich? Was verbindest Du damit?
Annette: Einen Riesenschritt in der Aufarbeitung der Nazi-Zeit. Befreiung von engen gesellschaftlichen Zwängen. Radikalisierung und Spaltung, Bewegung 2. Juni, die RAF, die sog. „sexuelle Revolution“ und vor allem: Beginn der 2. Frauenbewegung.
Ziggy: Riesenschritt in der Aufarbeitung der Nazi-Zeit… interessant! Das hatte ich bisher gar nicht explizit mit den 68ern verbunden. Werd ich mich reinlesen. Ich habe da bisher vor allem an Flower Power, freie Liebe, Anarchie, an das Hinterfragen von gesellschaftlichen Strukturen und von Welt- und Geschlechterrollenbildern gedacht.
Annette: Interessant find ich hier, dass Deine Gedanken dazu glaub ich eher nach USA/San Francisco wandern und meine blieben in der BRD. Vielleicht, weil da für mich als Kind doch ein persönliches Erleben dabei war durch Familie, Tagesschau, Zeitung. Die Stimmung in der BRD war in der Folge der 68er ja auch sehr aufgeheizt, und bestimmte Sprüche habe ich noch direkt mitgekriegt: „Geht doch nach drüben“ z.B. oder „Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment“. Die Radikalität der Reaktion vieler Leute auf die sog. „Radikalinskis“ oder „Gammler“ war heftig und in ihrer Rohheit und Abschätzigkeit vielleicht vergleichbar mit dem Vokabular heutiger Rechtspopulisten.
Inwieweit wirkt diese Zeit auf Dein Leben heute?
Annette: Ich bin sehr dankbar, in dieser „Aufbruchzeit“ (für mich ab Mitte 70er Jahre) Jung-Erwachsene gewesen zu sein. Als Bestandteil einer Bewegung das Gefühl zu haben, durch gemeinsamen Einsatz Dinge bewegen zu können und zu verändern. Heute habe ich das Gefühl, es ist okay, in dieser Gesellschaft ein eher unkonventionelles Leben zu führen als Musikerin, Lesbe, Feministin. Das war in meiner Jugend noch nicht so vorstellbar.
Ziggy: Und ich habe das Gefühl, dass ich mich bei Dir und Deiner Generation für Euren Einsatz bedanken möchte! Für uns Spätergeborene war vieles dadurch leichter und selbstverständlicher, glaube ich. In einer Gesellschaft, die die 68er nicht erlebt hätte, wäre mein Leben vermutlich anders verlaufen, weil ich mir gerade als „Mädchen“ vielleicht nicht unbedingt die Freiheit genommen hätte, an vielen Stellen „off-beat“ zu sein.
Annette: Da geht es uns ja genau gleich!
Damals spielte die Musik eine große Rolle und lieferte den Soundtrack für eine politische Bewegung. Ist für Dich heute Musik auch ein Mittel des Protests? Wovon handelt z.B. Deine Musik?
Annette: Ja, damals: Ton, Steine, Scherben! Flying Lesbians, Unterrock, Lysistrara, die haben mir sehr viel bedeutet! Und meine damaligen Bands waren auch durchaus politisch und die Frauenmusikwochen waren eine Initialzündung für die Frauenmusikszene. Heute würde ich meine Aktivitäten nicht als Protest bezeichnen.
Ziggy: Mich würde interessieren, welche Rolle bei Deinen damaligen Bands das reine Musikmachen gespielt hat und welche das Bedürfnis, sich politisch zu engagieren. Anders gefragt: Habt Ihr Bands gegründet, um euren politischen Anliegen mehr Gehör zu verschaffen oder habt Ihr Euch zum Musikmachen gegründet und dann Politik miteinfließen lassen?
Annette: Auf jeden Fall letzteres. „Damals“ war die politische Haltung allein durch unser Auftreten, aber auch in den Texten, sehr wichtig für uns. Auch durch die Wahl der Auftrittsorte und -anlässe. In der Jetztzeit glaube ich, dass die Projekte, mit denen ich in Erscheinung trete, durchaus ein Statement sind. Eine Frauen-Bigband und ein Frauen-Body-Percussion-Chor z.B., die auf der Bühne eine wunderbare Selbstverständlichkeit ausstrahlen, indem sie das machen, was sie machen und aussehen, wie sie aussehen. Ein Musikkabarett mit meiner Lebensgefährtin zusammen, in welchem unsere Texte gesellschaftskritisch sind und in dem wir uns eben NICHT reduzieren auf das ewige „Ich werd alt, ich hab Cellulite und Hitzewallungen, mein Mann ist so blöd, wer will mich noch…“, womit das sog. „Frauenkabarett“ ja oft assoziiert wird. Ein Jazzquartett mit drei anderen gestandenen Musikerinnen, in dem wir eigene Musik spielen. All dies kann eine Vorbildfunktion für Jüngere haben, zumal wir immer noch weit entfernt sind von einer gleichen Teilhabe von Männern und Frauen im Musik“geschäft“.
Ziggy: Ja, das ist genau so – vor allem dann, wenn die Frauen nicht (nur) singen, sondern auch Instrumente spielen; dabei gibt es so viele so tolle Musikerinnen. Leider müssen Frauen sich oft nicht nur gegenüber den männlichen Kollegen behaupten, sondern auch gegenüber anderen Frauen, weil das aktive sich-gegenseitig-Supporten nach meiner Erfahrung da lange eher die Ausnahme als die Regel war. Aber seit einiger Zeit passiert etwas, es gibt viel Engagement und diverse Veranstaltungen dazu, dadurch entsteht in einigen Bereichen gerade ein wirklich schönes Miteinander, eine Art (neues) Aufbruchsgefühl und Frauen fangen an, sich gezielt gegenseitig zu unterstützen. Das ist super und lässt absolut hoffen!
Definitiv kann Musik auch heute ein Mittel des Protests sein. Und sie ist es ja oft auch. Aber die Ironie der Globalisierung und Digitalisierung ist ja, dass einerseits zwar jede*r eine weltweite Öffentlichkeit erreichen kann, dass es aber, mindestens gefühlt, gleichzeitig auch schwieriger geworden ist, aus den vielzitierten persönlichen Blasen rauszukommen und andere anzusprechen, man also irgendwie in einem Kreis von sowieso schon Überzeugten verharrt.
Annette: Find ich wunderbar gesagt und gilt wohl auch für den Kabarett-und Theaterbereich. Aber es hat ja auch eine Wucht, wenn wir uns im Kreise der „Überzeugten“ in unserem Schaffen und Auftreten gegenseitig bestärken können.
Ziggy: Was die Texte von SHIRLEY HOLMES betrifft: Die sind zwar seltener vordergründig politisch, aber wir interessieren uns sehr für gesellschaftliche Entwicklungen und Strömungen, und das findet sich logischerweise in den Songtexten wieder, mal mehr, mal weniger explizit. Es gibt aber immer irgendwie einen humoristischen Twist, oft stellt sich eine Art von Ironie ganz automatisch ein.
Wenn Du Dir die Formen des Protests heute und damals anschaust: was glaubst Du, hat sich geändert? Drückt sich Protest heute anders aus?
Annette: Ich muss sagen, dass ich heutzutage selbst eine ziemliche Sofakartoffel bin. Vielleicht waren „damals“ die Umweltbewegung, die Anti-AKW-Bewegung, die Frauenbewegung insgesamt größer. Andererseits, wenn ich mitkriege, wie viele sich letztes Jahr beim G20 in Hamburg auf die Socken gemacht haben oder aktuell gegen die „neue Rechte“ auf die Straße gehen oder sich rund um den Hambacher Forst engagieren, find ich das klasse. Bestimmt hat sich einiges geändert durch die sog. sozialen Medien. Es ist leichter, sich zu vernetzen, zu mobilisieren. Andererseits merke ich an mir: es stumpft auch ab, wenn man die x-te Petition unterschreibt. Das geht so schön einfach, hat aber glaub ich lange nicht das Potenzial, wie wenn sich x-tausend Menschen „in echt“ treffen.
Ziggy: …ganz davon abgesehen, dass Social Media die Welt ganz sicher nicht automatisch zu einem besseren Ort machen – und auch wirklich nicht auf meiner Faves-Liste stehen. Auf der anderen Seite gibt es viele engagierte Leute, die sich erst durch soziale Medien finden konnten und zusammen substanziell auch was erreicht haben. Und die #unteilbar-Demo ist ein Superbeispiel für das große positive Potenzial, also Leute online zu mobilisieren, um sie ganz analog auf der Straße zusammenzubringen, da verzahnt sich beides perfekt.
Es wird ja oft gesagt, die Jugend von heute wäre unpolitisch, findest Du das auch?
Annette: Da krieg ich als Mittfünfzigerin glaub ich vieles auch nicht mit. In der Nachfolgegeneration meiner Familie gibt es beides: politisch aktive und unaktive Menschen. Vielleicht sind die Zusammenschlüsse heute eher lockerer und weniger „gebündelt“. Wenn ich dran denke, was für eine Bewegung von Jugendlichen in USA es kürzlich zur Verschärfung der Waffengesetze gab und was hier junge Leute mittragen in Sachen Protest gegen Nazis oder Braunkohleverstromung, find ich das klasse. Was mir fehlt, ist ein breites Bündnis von Frauen und Männern gegen Sexismus, gegen patriarchale Strukturen und dass Männer sich gegen Männergewalt positionieren. Wo sind die jungen Männer, die kapiert haben, dass da quasi die Wurzel allen Übels ist? Die gab es auch zu „meiner Zeit“ schon nicht bzw. verschwindend wenig – warum wohl?
Ziggy: Ehrlich gesagt kenne ich zu wenige Jugendliche gut genug, um beurteilen zu können, ob DIE JUGEND heute unpolitischer ist als früher. Mein Eindruck ist aber tatsächlich, dass „politisch sein“ bei denen, die im Jahr 2018 jung sind, zum Teil andere Ausdrucksformen hat. Da gehen Leute, die der Klimawandel beschäftigt, vielleicht nicht mehr so geballt auf Demos, sondern gründen ein Start-up, das besonders schöne Mehrweg-Kaffeebecher aus nachwachsenden Rohstoffen produziert. Oder bauen einen riesigen Müllfänger, um Plastikmüll aus dem Meer zu fischen wie Boyan Slat („The Ocean Cleanup“), ein Megading!
Annette: Ja genau, und das macht mir Unwohlsein, denn ich glaube, der schöne Mehrweg-Becher oder das „Ocean Cleanup“ sind zwar tolle Sachen, gehen aber nicht an die Wurzel der Probleme, also den Massenkonsum und den ausufernden Kapitalismus. Es wird uns ja gern suggeriert, mit „technischen Lösungen“ könnten wir unsere (Umwelt-)Probleme prima in den Griff kriegen, und dann ginge alles schön so weiter, ohne dass wir uns irgendwie beschränken müssen. Da glaub ich nicht dran.
Ziggy: Wenn es darum geht, inhaltlich Haltung zu Themen zu beziehen, kann ich mir vorstellen, dass die Aussicht, einen Shitstorm zu provozieren, durchaus abschreckend sein kann – vermutlich nicht nur für viele Jugendliche. Es hat verständlicherweise nicht jede*r Bock, die potenziell ultraüble Verbalgülle, die Leute via Social Media mal eben so über anderen ausschütten, zu ertragen…
Annette: …ist das nicht ätzend? Da ist glaub ich echt eine Hemmschwelle gefallen in den letzten Jahren, und es gibt eine schlimme Verrohung in den Umgangsformen. Das bildet ja den Bodensatz für Gewalt; erst verbal, dann tätlich. Ich selbst hätte auch Angst, mich einem Shitstorm auszusetzen. Ich halte mich von den sog. „sozialen Medien“ fern, so gut es geht. Auch wenn ich merke, dass dies und jenes an mir vorbei geht: eine Menge der getippten Worte/geschickten Bilder halte ich für Zeitverschwendung.
Ziggy: Die 68er Proteste umweht im verklärten Rückblick eine Art romantische Unschuld, weil viele dabei unwillkürlich an Flower-Power, Woodstock, Batikklamotten und warme Gitarrenklänge denken. Das Heute dagegen erscheint zumindest mir generell kälter und schriller, auch und vor allem, weil der Umgang untereinander heute an vielen Stellen krasser und brutaler ist.
Annette: Ja, siehe oben. Wobei „damals“ (frühe 70er ff.) der Umgang mit Feministinnen und Lesben durch Umfeld und Presse auch nicht gerade zimperlich war! Ich erinnere mich gut an Schlagzeilen über und Anwürfe z.B. gegen Alice Schwarzer; das waren auch veritable Scheiße-Stürme. Und die Frauen, die z.B. gegen den § 218 protestierten oder gegen Gewalt gegen Frauen, die hatten ganz schön was auszuhalten.
Ziggy: Gleichzeitig wird es angesichts der täglichen Flut von nebeneinander stehenden Infos und Fake News, Behauptungen, moralischen Zurechtweisungen und den immer extremeren Ausfällen kruder Leute gerade für Jüngere – und wieder: ja nicht nur für die – immer schwieriger zu spüren, wo sie selbst überhaupt stehen sollen/wollen. Alles zusammen macht den Einstieg ins Politisch-sein vermutlich nicht leichter oder spaßvoller.
Annette: Ich beneide die, die jetzt jung sind, nicht!
Denkst Du, die Studentenbewegung von 68 hat viel erreicht und etwas verändert?
Annette: Ja, das hat sie auf jeden Fall, beides! Heute haben wir eher das Problem, dass wir die Errungenschaften gegen einen „Rollback“ verteidigen müssen.
Ziggy: Sie hat viel verändert. In gesellschaftlichen und politischen Strukturen und auch in vielen Köpfen, vor allem in Bezug auf das Thema Autorität(en). So viel, dass sie es ja zum Beispiel immer wieder zum Lieblingsfeindbild „besorgter“ Menschen bringt.
Annette: Ja gell, AfD und Drumrum haben es echt schwer mit uns…
Was sind Deine wichtigsten Ziele, die Du verfolgst?
Annette: Da trenne ich natürlich zwischen persönlichen und politischen Zielen. Politisch wäre für mich die Überwindung patriarchaler Strukturen der Schlüssel zur Überwindung sehr vieler Probleme weltweit.
Ziggy: Dass ich immer den Mut habe, in Situationen, in denen es drauf ankommt, den Mund aufzumachen, auch und gerade angesichts der aktuellen populistischen Strömungen und Aggressionen in allen möglichen Ecken und Leuten, die mir momentan ein wirklich ungutes Gefühl machen.
Annette: Ich selbst habe mich schon manches mal geschämt, nicht den Mut gehabt zu haben, was zu sagen. So gesehen, das find ich als Schlusswort von Dir wunderbar! Schick mir mal bitte eure nächsten Konzert-Termine!
26.10.2018