Dein neues Album ist sehr kämpferisch und rockig – hast du Bedenken, dass dir Fans von früher abhanden kommen könnten?

Ja, das stimmt. Es ist schon eine krasse Veränderung passiert, aber ich bin ja auch immer noch die alte und es sind durchaus auch softe und sentimentale Songs auf dem Album. Ich kann ja nicht aus meiner Haut. Dennoch wäre es unehrlich zu behaupten, dass man sich als Künstlerperson keine Gedanken darüber macht, ob die eigenen Fans die neuen Songs gerne mögen. Natürlich ist mir das wichtig und ohne meine treuen Anhänger*innen wäre ich nicht da, wo ich heute bin. Aber ohne, dass ich mir treu bleiben würde eben auch nicht.

Dieses Album hat mir eine Riesenfreude gemacht und ich habe so sehr Bock damit auf Tour zu fahren. Viele meiner Konzertbesucher haben sich gewünscht zu tanzen, denn sie mussten während Corona lange genug sitzen. Die neue Tour wird auf jeden Fall wild und bunt. Und irgendwann wird es auch schöne, kleine Unplugged-Konzerte geben, denn ich bin ja immer noch total gerne einfach nur mit der Gitarre unterwegs.

Am Ende geht es doch darum, das Leben zu genießen und Spaß zu haben und, dass Menschen wachsen und sich entwickeln und Dinge ausprobieren. Ich bin auf jeden Fall sehr glücklich mit diesem Album und hoffe, dass es viele andere auch glücklich macht!

 

Welcher Song ist dir selbst am wichtigsten und warum?

Oh, das ist für mich richtig schwer zu beantworten, weil mir alle Songs wichtig sind. Aber ich antworte einfach mal nach meinem ersten Bauchimpuls und der sagt: „Mein Manager“. Das Besondere an diesem Song ist, dass er eigentlich niemals auf ein Album sollte, weil es ein ganz privater Punksong war, der überhaupt nicht reflektiert ist. Diesen Song im Studio zusammen mit meinen ganzen Punkerkollegen aufzunehmen, hat sich angefühlt wie endlich wieder atmen zu können und tausend Ballaststeine abzuwerfen. Ich wollte einfach rausbrüllen, wie scheiße dieses Business manchmal sein kann, wenn du als Flinta-Person versuchst, einen Fuß in die Tür zu kriegen. Wieviele Gatekeeper es gibt und wie oft man sich das Herz „herausschneidet“ für ein Album und dann vor lauter Cis-Männern sitzt, die einfach nichts dazu sagen. Ich möchte nicht jammern, das liegt mir fern. Aber ich möchte mich beschweren. Ja, mein Name ist Lesch und ich möchte mich beschweren und ich möchte wütend sein und laut und unbequem und unhandlich. Das alles hört man in diesem Song.

Zum Glück habe ich gerade ein megageiles Flinta-Team um mich herum. Natürlich arbeiten wir immer noch innerhalb eines Systems, das patriarchal geprägt ist und das nervt an vielen Stellen, aber da erzähle ich ja niemandem etwas Neues, leider.

 

Du nimmst dir Themen vor, die man nicht unbedingt in Pop- oder Rocksongs vermuten würde wie Kapitalismus, Gendern oder die Verwendung des Pronomens „dey“ – testest du „schwierige“ Songs im kleinen Kreis, und hast du auch schon mal eine Idee verworfen?

Na klar habe ich auch schon mal Ideen verworfen, aber meistens dann, wenn ich gemerkt habe, dass sie eher wenig Resonanz hervorrufen – sowohl bei mir, als auch beim Gegenüber. Wenn ich in meinem Umfeld Songs teste, dann finde ich es sogar eher geil, wenn jemand sich aufregt oder sagt, der Song sei doof. Dann reizt mich das sehr und ich denke „ah okay, der Song hat jemanden berührt. Und das ist erst mal die Hauptsache“.

Ein Titel, den ich beim letzten Album verworfen habe, drehte sich um eine Freundin, die als einziges BIPoC-Mädchen in einer weißen Familie auf dem Land aufgewachsen ist. Ihre Geschichte hat mich sehr berührt. Ich habe ewig an diesem Song geschrieben und es einfach nicht geschafft ihn ihr vorzuspielen. Ich hatte das Gefühl, dass mein Geschriebenes nicht richtig ist und, dass ich noch nicht ganz fertig bin mit meiner Reise zum Antirassismus, dass ich noch sehr viel mehr verstehen muss, bevor ich das Thema in meiner Musik richtig angehen kann. Und heute, viele Jahre später, würde ich den Song so auf gar keinen Fall mehr schreiben. Dafür ist auf GUTE NACHRICHTEN der Song „Der letzte Faschist“, der in einem ganz anderen Duktus ein ähnliches Thema aufgreift.

 

Ein älterer Song von dir („Testament“) wurde zeitweilig von Rechten und Querdenkern vereinnahmt – wie fühlt es sich an, missverstanden oder falsch interpretiert zu werden?

Das war für mich ein unglaublicher Schock, weil ich überhaupt nicht auf dem Schirm hatte, dass man mein Lied so krass missverstehen kann. Was mich aber nicht geschockt hat war, dass viele Leute diesen Song sehr fühlen, weil es ja darin um ein gesellschaftliches und persönliches Trauma geht. Es geht um ein tiefes, seelisches Verstandenwerden, um echte Bindung und Probleme, die alle in unserer Gesellschaft betreffen. Aber dass Faschos alles für sich vereinnahmen, was irgendwie geht, das kennt man ja aus der Geschichte.

Ich versuche auf jeden Fall, weiterhin täglich antirassistisch zu arbeiten und zu leben. Und die gute Nachricht ist, dass ich mit meinen Texten auch schon den ein oder anderen jungen Menschen zum Umdenken bewegen konnte.

 

Du sagst sinngemäß (im Presseinfo), dass du nicht mehr die Erwartungen anderer erfüllen willst – wann und wie kamst du zu dieser Haltung?

Als mein Song „Testament“ durch die Decke ging und ich plötzlich großen Erfolg erlebt hatte, war ich noch ziemlich grün hinter den Ohren. Ich war zwar schon Mama, hatte aber mein Leben lang irgendwie auf dem Land gelebt und ein ziemlich beschütztes und ruhiges Leben geführt. Aufgrund eines traumatischen Erlebnisses in meiner Familie musste ich mich in die Musik retten und habe für diese Karriere alles aufgegeben. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass du zwar für etwas brennen kannst, aber dass du daran auch verbrennen und wenn du nicht aufpasst, ganz verglühen kannst. Ich hatte keine Erdung mehr, bin nur noch in der Gegend herumgetingelt und habe Konzerte gespielt. Ich habe mein altes Leben komplett hinter mir gelassen und mich total an die Musik und an die Welt verschenkt. Ich bereue das überhaupt nicht und möchte diese Erfahrung irgendwie auch nicht missen, aber ich würde es nicht mehr so machen und diesmal besser auf mich aufpassen. Der Lockdown war dann für mich eine ganz gesunde Bremse und ich konnte wieder mehr Zeit und Liebe in mich und mein Privatleben investieren.

 

Welche Musik hörst du selbst am Liebsten – und hat davon etwas dein neues Album beeinflusst?

Ach du meine Güte! Ich höre so ziemlich alles gern. Für dieses Album bin ich total in die 90s und meine eigene Jugend abgetaucht und habe viel von den alten Songs aus dieser Zeit aufgesogen. Nirvana, Rage Against the Machine, Die Ärzte, Bush, Alanis Morissette, Juliette Lewis and the Licks und natürlich wie immer, die ewige Königin des Herzpunk: Patti Smith. Das sind jetzt mal die ersten, die mir eingefallen sind.

 

Du hast eine ausgiebige Tour vor dir: Wie tankst du zwischendrin auf?

Das stimmt, ich freu mich sehr darauf, aber ich habe auch großen Respekt, denn so ein Tourleben ist schon ganz schön heftig, auch wenn man nicht trinkt oder Drogen nimmt. Ich bin ehrlich gesagt ziemlich vernünftig, was das angeht und versuche dazwischen vor allem ganz viel banale Dinge zu tun. Sowas wie Kreuzworträtsel machen, Lesen, spazieren gehen und ganz viel Zeit mit meinen Freunden und meiner chosen family verbringen. Ich liebe es mit Leuten Fußball zu gucken, die gerne Fußball gucken, und dabei einzuschlafen. Und ich bin ein absoluter Sportfreak. Sauna liebe ich auch. Wow, ganz schön langweilig alles, aber irgendwie auch echt okay. Mein Beruf bringt ansonsten ja wirklich genug Disco und Party mit sich.

 

Sarah Lesch
„Gute Nachrichten“ (Meadow Lake, VÖ 22.3.2024)

Tour:
18.04. Nürnberg, Z-Bau
19.04. Friedrichshafen, Kaserne
20.04. Tübingen, Sudhaus
26.04. Erfurt, HsD
27.04. Saarburg, Stadthalle
28.04. Darmstadt, Centralstation
(weitere Termine)

Infos

Fotos: Sandra Ludewig, Livefoto: Angela von Brill