Vol. 1: MELODIVA Lesung & Talk 04.05.2022 frankfurtersalon

Jazzmusikerinnen* und all female Bands waren schon immer da, aber ihre Bedeutung wurde in der Jazzgeschichtsschreibung zu wenig gewürdigt – das ist eines der Statements, mit dem die Jazzmusikerin und Musikwissenschaftlerin Dr. Monika Herzig (Hg.) aus ihrem Beitrag zum kommenden Sammelband „Jazz & Gender“ (Routledge, VÖ: Juni 22) ins Thema einführte. Sie spannte einen Bogen von den frühen all female Bands wie The International Sweethearts of Rhythm, die während des Zweiten Weltkriegs eine Blütezeit erlebten, zur Figur des Alpha Girl im Postfeminismus der 80er und 90er Jahre: Die Frau, die sich gegen Ungerechtigkeit im patriarchalischen System aussprach, wurde als altmodische Männerhasserin dargestellt, was die Macht der Zusammenarbeit von Frauen als Gruppe negierte und so systemerhaltend wirkte. Vorherrschend war die Vorstellung, die Frauen müssten einfach beweisen, dass sie besser sind und es den Männern zeigen; jede Frau würde dann ihren Platz am „Tisch“ bekommen. Erfolgreiche Jazzmusikerinnen wie Tia Fuller, Ingrid Jensen und Terri Lyne Carrington sprachen sich in Interviews von damals noch dagegen aus, das Thema Frau-Sein in der Musik zum Thema zu machen. Heute sind sie längst selbst in Sachen Gendergerechtigkeit aktiv; Carrington gründete 2018 das The Berklee Institute of Jazz and Gender Justice und Ingrid Jensen hat eine eigene all female Supergroup Artemis gegründet.

Hürden bis heute

Tokenism

Zu den Problemen, die bis heute bestehen, gehöre der sogenannte „Tokenism“: eine alibi- und symbolhafte Inklusion von unterrepräsentierten Gruppen, die echte Gleichberechtigung nicht ersetzen kann. Musikerinnen* machen immer noch die Erfahrung, dass es bei Festivals in der Vorstellung der Programmplaner*innen einen weiblichen Slot gibt, um den alle Frauen konkurrieren müssen. So wird der Wettbewerb unter den Musikerinnen* noch verstärkt und Zusammenarbeit und Solidarität werden erschwert. Häufig gibt es eine Supergroup, die auf alle Festivals eingeladen wird, anstatt eine Vielfalt von Bands mit weiblicher* Beteiligung ins Programm einzubinden.

Stereotypen

Eine weitere wichtige Ursache für die Unterrepräsentanz von Frauen im Musikbusiness sieht Herzig in den Stereotypen, die in der Gesellschaft wirken. Dazu führt sie Claude Steeles Whistling Vivaldi: How stereotypes affect us and what we can do (2011) an. Er zeigt, dass sich Leistungen je nach den Erwartungshaltungen ändern. Weibliche Probandinnen, die im Vorfeld eines Mathetests mit der Aussage konfrontiert wurden, dass Frauen nicht gut in Mathe seien, erbrachten schlechtere Leistungen aufgrund dieses negativen Stereotyps. Dieses Phänomen, auch stereotype threat genannt, führt zu Unter- oder Überperformance, nicht zu einer natürlichen Performance.

Instrumentenwahl & „Pubertätsknick“

Ähnlich wie in Deutschland gibt es in den USA laut Herzig eine hohe „Drop Out“-Rate von Mädchen an den Instrumenten: in der Middle School gibt es noch 50% Mädchen in den Bigbands, in der High School nur noch ein Drittel und im College nur sehr wenige. Zwei wichtige Ursachen dafür seien die oft gegenderte Instrumentenwahl (wie z.B. Flöte oder Geige) und die Regelung, dass das Improvisieren in der 7./8. Klasse eingeführt wird, wenn Mädchen sich in der Pubertät stark zurückziehen und eben nicht im Rampenlicht stehen und Risiken eingehen wollen. Bei diesen Chancen, das Solospiel zu üben, versteckten sich die Mädchen eher und hätten dann im Laufe der Jahre das Nachsehen. In dieser Zeit müsste man den Unterricht entsprechend danach ausrichten und z.B. safe spaces wie den „Jazz Girls Day“ anbieten sowie Methoden einbauen, die den Drop Out verhindern. Ein weitere Maßnahme könnte sein, Kinder früher ans Solospiel und die Improvisation heranzuführen, wie es eine Musikerin aus dem Publikum, die Saxofonistin Corinna Danzer empfiehlt. Sie unterrichtet Kinder bereits im Grundschulalter in Improvisation.

Jazz Girls Day in Indiana 2022

In den Staaten sei laut Herzig auch ein Problem, dass alle Jazzbigbands ihre Besten dabei haben wollten, um möglichst viele Trophäen heimzubringen. Das bringe häufig Musiker*innen nach vorn, die sich in den Vordergrund drängten. Eine „Gender In Jazz“-Studie (2019), die über 360 Musiklehrkräfte an Middle und High School Schulen in North Carolina befragte, zeigte zudem, dass Jazzmusikerinnen weniger bemerkenswertes Lob von Pädagog*innen und Kolleg*innen bekamen als ihre männlichen Mitschüler. Eventuell werden sie also weniger gefördert.

Fehlende Role Models

Ein weiteres Thema des Abends war das Fehlen von Role Models, wie es sich überall zeigt. Bis heute gibt es zum Beispiel nur eine Instrumentalprofessorin im Bereich Jazz in Deutschland, in den USA sind die Zahlen nicht viel besser. „Du musst jemanden sehen, der so aussieht wie du, damit du erkennst: ja, ich hab da einen Platz, ich kann das auch machen“, so Herzig. In diesem Kontext übernähmen die all women groups weiterhin vielfältige Funktionen: sie bieten Support und eine Gemeinschaft ohne Druck und wirken gegen gängige Stereotypen (perceptions). Mehr noch: der Anspruch des Jazz als demokratische Kunstform kann eigentlich erst verwirklicht werden, wenn alle am Schaffensprozess beteiligt werden. Herzig zitierte dazu Janiece Jaffes Ausspruch “Equality does not mean sameness” (Gleichberechtigung bedeutet nicht, dass man gleich sein muss): „Ziel des Integrationsprozesses ist ein Kulturwandel, der weg von der Stereotypisierung von Instrumenten und Fähigkeiten geht und den gemeinschaftlichen Aspekt des Musizierens im Jazz statt Männlichkeits- und Konkurrenzdenken kultiviert“.

Was noch zu tun ist…

Von links: Monika Herzig, Johanna Schneider, Nina Hacker, Maria Bätzing (Moderation)

Im anschließenden Talk mit der Frankfurter Jazzbassistin und Instrumentalpädagogin Nina Hacker wurde das Thema Nachwuchsarbeit vertieft. Hacker unterrichtet an der Musikschule Frankfurt und betreut niedrigschwellige Schuljazz- und Bandprojekte wie „Jazz und Improvisierte Musik in die Schule“, die jedes Jahr über 4000 Schüler*innen aktiv mit Jazz in Kontakt bringen. Das Dozent*innen-Team sei gemischt, um Stereotypen vorzubeugen. Der zweite Panelgast, die Sängerin, Komponistin und Gesangspädagogin Johanna Schneider aus Essen, erzählte in diesem Zusammenhang von einer befreundeten Posaunistin, die an einer Musikschule unterrichtet. Jedes Jahr würden beim Tag der Offenen Tür die verschiedenen Instrumente vorgestellt; nur wenn sie als Multiplikatorin die Vorstellung der Posaune übernahm und nicht ein Mann, meldeten sich viele Mädchen für den Posaunenunterricht an. Eine Frau aus dem Publikum erzählte von ihren Beobachtungen in einer Junior’s Bigband in Bayern, die aus 6 Jungen und 4 Mädchen im Alter von 12-15 Jahren bestand: Die Jungs wollten z.B. die Person beim Konzert Solo spielen lassen, deren Solo das beste gewesen sei oder mit einem Neuling gleich das schwerste Stück spielen, um ihn zu testen. Durch die Intervention der Mädchen wurde das unterbunden, die sich anbahnenden Konkurrenzsituationen entschärft. Das zeigt, dass eine gemischte Gruppe als Sozialgefüge ganz anders tickt.

Nina Hacker bietet auch Projekte nur für Mädchen* als safe spaces an. Sie erzählte, dass nur sehr wenige Instrumentalistinnen bei den Schülerjazz-Ensembles mitmachen würden, weil die Musiklehrer*innen eher die Jungs dafür vorschlugen. So hätte sie im letzten Herbst mit ihren Kolleg*innen entschieden, Jazzworkshops für Mädchen* anzubieten, die sehr guten Zulauf hatten.

Johanna Schneider, die kürzlich für den Vorstand der Deutschen Jazzunion wiedergewählt wurde und dort u.a. in der AG Gender & Diversity aktiv ist, machte am Abend die anwesenden Musiker*innen auf die Jazzstudie 2022 aufmerksam, die als Anschlussstudie zur Umfrage von 2016 deutlich erweitert ist. Die zweite Auflage will erstmals die Vielfalt der Jazzszene und mögliche Diskriminierungen in den Blick nehmen, und auch Aufschluss über das Wohlbefinden und die Auswirkungen der Coronapandemie auf die Situation der Musiker*innen bekommen. Noch kann frau daran teilnehmen.

Außerdem ist sie Co-Initiatorin des Jazzkollektivs PENG und des gleichnamigen Festivals, das auch in diesem Jahr im Herbst stattfinden wird. Sie beschrieb, dass das PENG Festival zuerst gegründet wurde, um Frauen* zu fördern und herausragende, regionale und internationale Künstler*innen auf die Bühne zu bringen. Das Organisations-Kollektiv habe bewusst einen neutralen Namen gewählt und nicht auf das Frau*-Sein hingewiesen. So schaffte es das Festival, Erwartungshaltungen und Stereotype zu verändern – eben durch eine starke und vielfältige weibliche Präsenz auf der Bühne, ohne im Vorhinein zu polarisieren. Inzwischen verfolgt das Festival einen intersektionalen Ansatz, es will „einen Rahmen schaffen, der frei ist von jeglichen Strukturen der Unterdrückung, Macht und Dominanz“ (Homepage). Auch die bewusste Wahl des Ortes soll mehr Teilhabe ermöglichen: das Festival findet im eher unterprivilegierten Norden von Essen statt.

In der Diskussion mit dem Publikum ging es schließlich auch darum, wie wichtig die Musikpädagogik in Schule und Hochschule (und die Ausstattung mit Personal) ist und was geändert werden müsste, damit eine musikalische Karriere in der Klassik & im Jazz nicht wenigen Wohlhabenden vorbehalten bleibt. Der Zugang zur Musik sei auf der einen Seite nicht einfacher geworden, auf der anderen Seite habe es aber auch nicht mehr so einen großen Stellenwert, z.B. in die Oper oder ins Jazzkonzert zu gehen wie früher – das Publikum sei durchweg relativ alt. Auch bräuchte es viele gute und engagierte Menschen in den Schulen, die in den Kindern und Jugendlichen die Liebe zur Musik wecken und pflegen. Dazu müssten aber auch die Rahmenbedingungen, vor allem die Bezahlung und Wertschätzung in der Gesellschaft, verbessert werden.

Ein weiteres Thema war die Vereinbarkeit von Karriere & Familie. Schneider erzählte, dass viele Kolleginnen ihren eigentlichen Anspruch, weiterzuarbeiten und ihre Musikkarriere mit Familie weiterzuverfolgen, gar nicht hätten durchhalten können. Konzertgagen sind häufig so niedrig, dass sie für das Babysitting draufgehen. Der Mann verdient immer noch meist mehr, sodass die Frauen dann doch wieder zuhause mit der Kinderbetreuung allein gelassen würden. Herzig führte ihre Beobachtung an, dass die meisten ihrer Kolleginnen mit Jazzmusikern verheiratet seien.

 

Vol. 2: Jazz Montez Talks & Konzert 06.05.2022 Kunstverein Familie Montez

Zwei Tage später drehte sich bei der Veranstaltung unseres Koop-Partners Jazz Montez alles um die Wechselwirkung zwischen Jazz und Demokratie. Was kann unsere Demokratie vom Jazz lernen, was macht eine gute Jazzsession aus und was ist das Faszinierende am Jazz, fragte das erste Panel mit der Sängerin Fiona Grond, dem Schlagzeuger und Dozent an der HfMdK Oli Rubow und dem DJ und Journalisten Michael Rütten. Ein häufig genannter Satz fing mit „im Idealfall…“ an: im Idealfall hörten alle Musiker*innen aufeinander, ließen sich gegenseitig Raum, erzeugten glücklich machende Musik. In der Realität gäbe es aber auch die Alpha-Menschen, die sich mit ihren Soli produzierten und für die Begegnung mit den Anderen gar nicht offen seien, was die Session schrecklich langweilig mache.

Das zweite Panel mit Johanna Schneider, dem Orchestermanager der hr-Bigband Olaf Stötzler und mir (Mane Stelzer (MELODIVA, Singer-/Songwriterin)) trug den Titel „Jazz in Deutschland – Eine elitäre Veranstaltung?“ und befasste sich vor allem mit den Zugangshürden und Ausschlüssen in der Jazzszene. Stötzler versicherte, dass ihnen bewusst sei, dass sie als rein männliche Bigband ein bisschen aus der Zeit gefallen seien. Es scheitere nicht am guten Willen, sondern daran, dass sich zu wenige Frauen bewürben und gegen die Konkurrenz durchsetzen könnten. Auf die letzte Ausschreibung hin hätten sich von insgesamt 58 Bewerber*innen nur zwei Musikerinnen beworben, deren Audiofiles dann in einer Art „Blind Audition“ angehört wurden. 12 Bewerber kamen in die Vorauswahl und wurden für eine Audition eingeladen; und obwohl darunter nicht die zwei Bewerberinnen waren, wurden diese dann trotzdem „live“ angehört. Eingestellt wurde dann aber ein Mann.

An gutem Willen fehlt es also nicht – wohl eher ein genaueres Hinschauen. Es könnte auch an der Art der Ausschreibung, der Außenwirkung und Ausrichtung der Bigband oder praktischen Gründen wie Tour- und Probezeiten usw. liegen, dass sich so wenige Musikerinnen* bewerben. Wir nehmen uns vor, dem auf den Grund zu gehen und bei den Jazzmusikerinnen* in unserem Netzwerk genauer nachzufragen. Schreibt uns gern eine Mail mit eurer Meinung und euren Erfahrungen!

Um zu zeigen, wie Kommunikation im Jazz zwischen Musiker*innen funktionieren kann, waren für die anschließende Session sechs großartige Instrumentalist*innen eingeladen, die noch nie in dieser Formation zusammengespielt hatten und den Auftrag bekamen, gemeinsam zu den Themen des Abends zu improvisieren. Neben Johanna Klein (Saxofon, Effekte), Franziska Aller (Bass) und Johanna Schneider (Vocals) waren das Darius Blair (Saxofon), Lukas Wilmsmeyer (Gitarre), Biboul Dariouche (Percussion) und Oli Rubow (Schlagzeug). Sie ließen sich von Begriffen inspirieren, die die sechs Panelgäste im Vorfeld nennen durften und die jeweils einer anderen Farbe zugeordnet wurden. Das wechselnde Scheinwerferlicht läutete so immer einen neuen Part ein und setzte Begriffe wie Ehrlichkeit, Neugier, Respekt, Aktivität, Vertrauen und Erdung musikalisch in Szene. Grandios!
 

„Ein weibliches Genie – ein Unding. (Fehlen von Mut und Persönlichkeit)“ Johann Nepomuk Brischar, Kirchenhistoriker

„Ein männlicher Künstler wird mit 28 zum Genie erklärt und bleibt das dann für Allezeit. Das gibt es bei Frauen nicht.“ Filmemacherin Miranda July (SZ 2017)

Der Begriff des Genies begann ab dem 18. Jahrhundert die ästhetischen Debatten zu dominieren. Er stand einerseits für den aus sich selbst heraus schaffenden Künstler, der die Natur nicht nur nachahmt, sondern vollendet, andererseits für dessen übermenschliche oder göttlich inspirierte Begabung. Diese wurde jedoch nur Männern zugesprochen: Frauen, so die damalige Wissenschaft, könnten lediglich empfangen und nachahmen. Künstlerische Leistungen von Frauen* wurden darum nicht als Zeichen ihres Genies betrachtet, sondern als Spielerei oder frühreife Fingerfertigkeit interpretiert. So gab es durchaus weibliche* Wunderkinder – Maria Anna Mozart und Fanny Mendelssohn sind berühmte Beispiele – diese hatten jedoch als Erwachsene ihre Rolle als Ehefrau und Mutter auszufüllen und wurden nicht in der gleichen Weise gefördert wie ihre Brüder*. Fanny Mendelssohn-Hensel hatte das Glück, dass ihr Ehemann ihre Kompositionstätigkeit schätzte und förderte. Dennoch steht sie auch heute noch im Schatten ihres wesentlich berühmteren Bruders und muss regelmäßig wiederentdeckt werden.

Die zweite Rolle, die Frauen im künstlerischen Schaffensprozess zugesprochen wurde, war die der Muse, ursprünglich ebenfalls antike Gottheiten. Auf die Neuzeit umgedeutet waren sie Quelle der Inspiration, die ihnen jedoch selbst nicht zur Verfügung stand. Frauen*, die Teil der Kunst- und Kulturszene sein wollten, konnten sich diese Rolle zwar durchaus zu Nutze machen und etwa durch Liaison mit berühmten männlichen Künstlern Zugang zum engeren Kreis der „Genies“ ihrer Zeit erhalten. Allerdings setzten sie damit ihre gesellschaftliche Reputation aufs Spiel. Ein berühmtes Beispiel ist Alma Mahler-Werfel, die als Komponistin weiterhin nicht im Bewusstsein der meisten Musikkenner*innen ist, wohl aber als Muse und Femme Fatale.

Paula Modersohn-Becker: Selbstbildnis am Hochzeitstag (1906)

Die Rollenbilder, die man Frauen* zugestand, hatten also ganz praktische Folgen für ihre Entwicklungsmöglichkeiten. Dass es in der Geschichte so wenige Frauen* gibt, die die gleiche künstlerische Qualität erlangen wie ihre männlichen Kollegen, ist also einerseits kein Zufall, dient aber andererseits bis heute als Argument dafür, Frauen* den Geniestatus zu verweigern. Linda Nochlin zeichnet diesen Zusammenhang in einem Artikel von 1971 am Beispiel bildender Künstlerinnen* im 19. Jahrhundert nach. Ein vollwertiger Künstler musste in dieser Zeit mit Aktstudien in Anatomie ausgebildet werden. Aus Gründen der Schicklichkeit war Frauen* der Zugang dazu jedoch verwehrt. Sie mussten sich mit anatomischen Studien an einer Kuh begnügen. Die weiblichen* Aktmodelle selbst – die hier wieder die Rolle des künstlerischen Objekts, also der Muse einnahmen – waren dagegen von der guten Gesellschaft (und erst Recht dem Status als eigenständig kreative Künstlerinnen*) ausgeschlossen. Die ersten Malerinnen*, die Aktbilder malten wie Paula Modersohn-Becker 1906, oder sich gar vom Aktmodell zur Malerin weiterbildeten wie ihre Zeitgenossin Suzanne Valadon, lösten heftige Skandale aus.

Auch die Kritik an dieser Geschlechterverteilung ist aber nicht neu. Schon im 19. Jahrhundert gab es immer wieder Frauen* – zum Beispiel Madame de Staël – die sich selbst als „weibliches Genie“ bezeichneten. Damit revolutionierten sie allerdings nicht den Begriff des Genies selbst, sondern beanspruchten für sich selbst männliche Eigenschaften. Die Koppelung von Genie und Männlichkeit blieb über diesen Umweg also bestehen.

Und heute? Philosophisch wurde der Geniebegriff spätestens in der Postmoderne gemeinsam mit dem Autor für tot erklärt. Die Wissenschaft ist in Punkto Gender viel weiter. Und in der Musikindustrie finden sich heute viele weibliche* Stars. Können wir die Geschichte eines diskriminierenden Begriffs also abhaken?

Lena-Larissa Senge (Foto: Kurt Rade)

Studien und Erfahrungsberichte sagen etwas anderes. Eine Studie aus den USA von 2015 ergab, dass Männer als kreativer eingeschätzt werden als Frauen*, auch wenn sie die selben Ergebnisse präsentieren. Dabei hielten die Studienteilnehmer*innen die Frauen nicht unbedingt für weniger kompetent, sondern sahen den Unterschied in der Tatkraft („agency“), die sie den Männern eher zuschrieben. Gleichzeitig sahen sie die Männer als preiswürdiger an. Sie machten also unbewusst immer noch einen Unterschied zwischen nachahmendem („weiblichen„) Talent und schöpferischem („männlichen„) Genie. Passend zu diesen Ergebnissen arbeitet die Sängerin und Musikwissenschaftlerin Lena-Larissa Senge 2019 heraus, dass genau in den Fächern, in denen traditionell angeborenes Können und Begabung als Voraussetzung für Erfolg gelten – also die MINT-Fächer, Philosophie und alle künstlerischen Fächer – der Gender-Gap besonders groß ist. So liegt bei Dirigent*innen der Gender-Pay-Gap bei 44%, fast doppelt so viel wie im deutschen Gesamtdurchschnitt. Und auch wenn im Bereich Musik inzwischen sehr viele Frauen* tätig sind, stellte die Orchesterstudie des Deutschen Musikrats 2016 fest: zwar ist der Frauenanteil in den deutschen Orchestern inzwischen hoch; je prestigeträchtiger die Stellen jedoch sind, desto höher ist die Männerquote. Weiterhin scheint es also so zu sein, dass wir musikalisches Genie eher Männern zuschreiben – auch wenn wir das heute nicht mehr mit biologistischen Theorien zu rechtfertigen suchen.

Und immer noch setzen wir uns, wenn wir uns für Frauen*förderung in der Musik einsetzen, dem Verdacht aus, wir täten dies auf Kosten der Qualität. Dann begegnen uns Aussagen wie „Es gibt einfach keine „großen“ Komponistinnen oder „Wenn ich die Wahl habe, eine Frau oder einen Mann einzustellen, kommt es mir doch auf die Musikalität an und nicht auf das Geschlecht!“

Fanny Hensel wartet nicht auf die nächste Wiederentdeckung

Wenn wir nicht das alte Bild vom männlichen Genie in unseren Köpfen hätten, würde uns dagegen sofort auffallen: Musik ist eine extrem voraussetzungsreiche und lernintensive Kunstform. Es gibt keinen „großen“ Musiker, der nicht viele Jahre damit zugebracht hätte, sein Instrument zu üben, von den anderen „Großen“ oder ihren Werken zu lernen und der sich um viele andere Belange seines Lebens alleine kümmern muss.

Und es würde uns auffallen, dass die Frage „Warum gibt es keine großen Musikerinnen*?“ eigentlich so formuliert werden muss: „Warum gibt es keine Musikerinnen*, für die sich Musikwissenschaftler*innen, Kritiker*innen, Publikum und die Nachwelt so stark interessieren, dass sie als unabdingbar für die Beschäftigung mit der Musik insgesamt gelten?“ Genau das bedeutet es nämlich, in den musikalischen Kanon aufgenommen zu werden. Dieser Kanon prägt unser Verständnis davon, was „große“ Musik ist, und er prägt uns auch emotional: Musik, mit der wir intensive Erinnerungen verbinden, berührt uns stärker. Und diese emotionale Berührung ist wiederum ein Kriterium dafür, was wir als große Musik bezeichnen. Alle Abweichungen von diesem Kanon müssen gerechtfertigt werden. Und wenn man sich für eine bestimmte Programmwahl rechtfertigen muss, ist das wieder der beste Beweis, dass es sich nicht um große Musik handeln kann.

Billie Eilish wartet nicht auf den Geniestatus

Es ist eine interessante Frage, wie Kunst eigentlich funktionieren kann, jenseits von solchen Kategorien. Wie können wir die Kunst von Vorstellungen wie (göttlicher) Inspiration oder übermenschlichem Genie befreien, aber trotzdem den besonderen Wert erhalten, den sie für uns hat? Wie funktioniert Kunst, wenn sie weder zur reinen vermarktbaren Dienstleistung werden, noch auf Personenkult fußen soll, der grundsätzlich bestimmte Menschengruppen ausschließt?

Wir wollen weiterhin besonders gute Musik hören. Wir wollen uns inspirieren lassen. Wir wollen es Musiker*innen ermöglichen, ihr Leben ihrer Kunst zu widmen, damit auch in Zukunft gute Musik geschrieben, produziert und aufgeführt wird. Und wir wollen das tun, ohne an überkommenen Klischees festzuhalten. Damit das zumindest im Ansatz möglich wird, sollten wir uns der alten Denkmuster bewusst sein, die unsere Vorstellung von „großer“ Kunst prägen, und sie kritisch hinterfragen. Wir sollten Kunst als eine Entfaltungsmöglichkeit begreifen, die zwar lernintensiv ist, aber grundsätzlich allen Menschen offensteht; die wir sehr wertschätzen und die wesentlich zu unserer Lebensqualität beiträgt. Wir sollten uns bewusst sein, dass es kein Zufall ist, wenn uns als erstes weiße, männliche Komponisten und Dirigenten einfallen, wenn man uns nach unseren musikalischen Helden fragt. Und wir sollten uns darauf einlassen, neue Held*innen in unsere Köpfe, und damit auch in unsere Konzertsäle und Clubs aufzunehmen.

(Beitragsbild: Atelierstudien an der Pennsylvania Academy um 1855, Malerinnen* üben Anatomiestudien an einer Kuh.)

Dieser Text erschien zuerst in der Chorzeit vom Dezember 2021. Zweitveröffentlichung mit freundlicher Genehmigung.

————————–

Anmerkung zum Gendern: Wenn es um Geschlechtszuschreibungen und traditionelle Rollenvorstellungen geht, wurden in den zitierten Diskussionen Gender Minorities nicht eingeschlossen und mitgedacht. Darum habe ich in diesem Kontext das Gendersternchen weggelassen und die Begriffe kursiv gesetzt. Auswirkungen hatten und haben diese Vorstellungen jedoch auf alle Geschlechter. Wenn es um Personengruppen geht, nutze ich darum unser gewohntes Sternchen. Direkte Zitate wurden in der Schreibweise übernommen, wie ich sie vorgefunden habe.

Die Corona-Pandemie hat dem letzten Jahr ihren Stempel aufgedrückt und viele strukturelle Probleme und Ungleichheiten offenbart. Umso wichtiger ist es jetzt, eine Vision und konkrete Politik für eine geschlechtergerechtere Gesellschaft zu fordern, in der Systemrelevanz die Anerkennung, Zeit und Entlohnung bekommt, die ihr gebührt. Pandemiebedingt musste der Internationale Frauen*tag am 8. März 2021 allerdings vor allem im Netz stattfinden. Hier ein paar Highlights:

Das FRAUENREFERAT FRANKFURT macht eine Story auf Instagram mit euren Beiträgen. Schickt bis zum 8. März euer Foto mit eurem Statement zum diesjährigen Frauen*tags-Motto „Am Internationalen Frauen*tag kämpfen wir für (…)“ direkt an den Instagram Kanal des Frauenreferates: @frauenreferat_frankfurt. Es lädt alle Frankfurter*innen, Feminist*innen und Einrichtungen der Frauen*-/ Mädchen*- arbeit ein, sich über den Hashtag #wirkämpfenfür solidarisch und aktiv zu beteiligen. Bei Nachfragen bitte per Mail oder unter Tel. 069-212-35319 melden.

Das Frauenbüro der Stadt Offenbach lädt vom 05.-15.03.2021 zu FRAUEN KUNST RAUM, einem feministischen Spaziergang an 5 Orte in Offenbach ein, die Arbeiten von Künstlerinnen* präsentieren.

Die KEYCHANGE Initiative – die unterrepräsentierte Musikerinnen* in der Musikindustrie empowern möchte – organisiert eine digitale Konferenz am 08.03. ab 15:15-18:30 Uhr. Interessierte können sich – falls sie noch keinen Zugang zur Digitalplattform haben – hier für 6,59€ ein Ticket holen.

Am 07.03.  präsentiert das Duo STEINWAY & DAUGHTER mit Marion Schwan (sax) & Amelie Protscher (p) in 7. Folge eigene Arrangements unbekannter Werke von Jazzmusikerinnen aus der Begine in Berlin ab 17 Uhr. Der Titel „Steinway & Daughter“ nach einer Komposition von Gabriele Hasler ist Programm.  Die Veranstaltung wird als Livestream via Youtube übertragen.

Vom 05.-11.03.2021 veranstalten KICK LA LUNA ein Video-Special zum Women’s Day: zum einen zeigen sie den Mitschnitt ihres Konzerts, das sie im Oktober 2020 in der Brotfabrik gegeben haben, zum anderen Video-Clips mit Rosemarie Heilig, Gaby Wenner und den 3 „Ur-Kicks“. Der Livestream kann vom 05.-11.03. hier abgerufen werden. 

Am 04.03. bietet der Pavillon Hannover den kostenfreien Livestream-Talk FEMINISTISCH AUS DER KRISE – SOLIDARISCH* RADIKAL* INTERSEKTIONAL in seiner Reihe PavillON Air. Ab 20:15 Uhr können Interessierte verfolgen, welche Proteste des Feministischen Rats Hannover am 8. März geplant sind, die mit ihnen verfolgten Ziele sowie Beteiligungsmöglichkeiten. Die Proteste am internationalen Frauentag bzw. feministischen Kampftag behandeln auch Fragen von Klimagerechtigkeit, Rassismus, sozialem Ausschluss oder Pandemie & Lockdown. Wie hängen diese Themen mit dem feministischen Kampftag zusammen? 

Ein Konzert-Screening zum Weltfrauen*tag sendet das Kammerensemble Konsonanz am 08.03. ab 19:30 Uhr mit den Kompositionen starker Frauen aus zwei Jahrhunderten: MEHR ALS KINDER, KÜCHE, KIRCHE!

Für den Equal Pay Day am 10.03. gibt es die bundesweite Kampagne GAME CHANGER – MACH DICH STARK FÜR EQUAL PAY, die dazu auffordert, endlich die Spielregeln zu ändern – für Lohngerechtigkeit zwischen den Geschlechtern. Interessierte können ihren eigenen Beitrag für Social Media erstellen. Die Vorlage zum Aufruf an „Ich bin Game Changer, weil …“ gibt es hier. Vorschläge können per Mail eingesendet werden.

Scala TV befasst sich am 15.03. ab 19 Uhr mit dem Thema FAIRTRADE STÄRKT FRAUENRECHTE: Ein Kauf der Produkte aus dem Fairen Handel stärkt die Frauenrechte im Globalen Süden. Auf Fairtrade-zertifizierten Blumenfarmen werden die Blumen nach klar definierten sozialen und ökologischen Standards gezüchtet. Interessierte können sich per Mail anmelden und bekommen den Teilnahme-Link zugeschickt.

Passend zum internationalen Frauentag haben Laura und Steffi in der Folge #40 den Podcast KULTURGUT des Kulturkaufhauses Dussmann übernommen. Die beiden sprachen mit Lana Wittig, der Geschäftsführerin von Edition F, über das Magazin, Feminismus im Allgemeinen und Vorbilder. Danach ging es mit Magdalena Ganter um Chansons und Nackt-sein unter der Dusche. Abgerundet wurde die Folge mit guter Musik und ein paar Empfehlungen, die es in sich haben.

Zu guter Letzt freut sich das Frauen*zentrum EWA e.V. in Berlin, das seit nunmehr 31 Jahren Frauen* einen Ort bietet, der empowert, Kultur und soziale Gemeinschaft fördert als auch beratend zur Seite steht, über Support. Das letzte Jahr ohne Veranstaltungen und nennenswerte Einnahmen war nicht einfach für den Verein. Spenden können an das Spendenkonto: Erster Weiblicher Aufbruch e.V. (Berliner Sparkasse), IBAN: DE31 1005 0000 0190 9226 56, BIC: BELADEBEXXX mit dem Betreff: Frauen*März eingezahlt werden.

Das Europe Jazz Network (EJN) setzt sich beim International Women’s Day ebenfalls für gleiche Bezahlung und für mehr Vielfalt in der Musikindustrie auf. Außerdem ist es sein Ziel, „to highlight the women who fuel the contemporary jazz scene with their creativity, artistic vision and leadership“. Dazu hat das Netzwerk Zeitschriften, Plattformen und Radiosender in ganz Europa dazu aufgerufen, gezielt Biträge von und über Frauen* zu veröffentlichen; das EJN wird diese Special Reports auf seinen Kanälen promoten. Unter #womentothefore können Beiträge gepostet werden, die vom 8. März an zwei Wochen lang in Artikeln, Interviews und digitalem Content Künstlerinnen* vorstellen.

Mit der Aktion „WOMEN IN MUSIC DAY“ setzte die ARD auch in diesem Jahr ein Zeichen für die Gleichbehandlung in der Musikbranche. Deshalb war am 8. März in vielen Radiosendern der Spot auf Musikerinnen gesetzt. In der ARD Audiothek sind noch einige Beiträge nachzuhören.

Auch die Zeitungen haben nachgefragt, unter anderem, wie Musikerinnen* die politische Lage beschreiben: In der Detroit Fee Press spricht Schlagzeugerin TERRI LYNE CARRINGTON darüber, dass sie sich als Frau immer ein wenig wie die Ausnahme im Musikgeschäft gefühlt habe, das es aber „eine Regel geben muss, wenn man die Ausnahme ist“. Deutschlandfunk Kultur interviewte die Schlagzeugerin EVA KLESSE über den Wandel in Bezug auf Frauen und insbesondere Instrumentalistinnen in der Jazzwelt. Die Komponistin MARIA SCHNEIDER spricht mit The Boston Globe über ihren Kampf für Künstler:innenrechte, für die sie sogar vor dem amerikanischen Kongress in einer Anhörung über das Recht am geistigen Eigentum und digitale Rechte aussagte. Andrian Kreye von der Süddeutschen Zeitung besuchte eine VIRTUELLE DISKUSSIONSRUNDE, bei der Angela Davis, Terri Lyne Carrington, Rhiannon Giddens und Nate Chinen über das Thema „jazz and race“ sprechen sowie über die Marginalisierung von Frauen und queeren Menschen in der Musik. Das Panel selbst ist auf der Website von SFJazz zu sehen. — Julia Brinkmann spricht mit der Saxophonistin GABRIELE MAURER über ihre Liebe zum Jazz, über den Alltagsrassismus, den sie als schwarze Deutsche erfährt, sowie über die Notwendigkeit, dass sich noch mehr Menschen in Deutschland mit dem Thema Rassismus im eigenen Land befassen.

Titelbild: Justina Honsel

Frau Hornberger, Sie sind Professorin für Didaktik der populären Musik an der Hochschule Osnabrück – was können Studierende bei Ihnen lernen?

Studierende können bei mir und bei uns – hoffentlich – lernen, dass Musik mehr ist als das Produzieren von Klang. Dass Musik eine Form von Kultur ist, eingewoben in kulturelle, historische, mediale, politische, soziale und ökonomische Prozesse. Dass gerade populäre Musik und mediale Inszenierungen untrennbar miteinander verbunden sind, dass Stars mediale Konstruktionen sind und Bühnenperformance mindestens so wichtig ist wie instrumentale Fertigkeiten.

Sie lernen hoffentlich auch, dass Menschen, die Kultur nutzen und gebrauchen, damit auch Prozesse von Teilhabe, von Identifikation, von Selbstermächtigung vollziehen. Und dass darum der Respekt von dem Publikum notwendig ist, wenn wir uns – theoretisch-analytisch oder künstlerisch-praktisch – mit Musik beschäftigen.

 

Am Institut für Musik (IfM) kann man sich für Musikerziehung einschreiben, aber keinen rein künstlerischen Studiengang wählen. Das heißt, die Schwerpunkte liegen auf der Lehre und Vermittlung und weniger auf der Ausbildung von Künstlerpersönlichkeiten?

Wir begreifen den Studiengang so, wie sein englischer Titel „Educating artist“ es beschreibt: als Schnittstelle von beidem. Wir bilden hervorragende Künstler*innen aus, die auch pädagogisch kompetent sind, bzw. Musikvermittler*innen mit hoher künstlerischer Exzellenz. Wir halten das nicht für einen Widerspruch, sondern sind davon überzeugt, dass die Fähigkeit, die eigene Arbeit zu reflektieren und sich zu ihr ins Verhältnis zu setzen, das Pädagogische, das Wissenschaftliche und das Künstlerische, miteinander verbindet. Und wir glauben, dass mehr Wissen in allen drei Bereichen auch mehr Qualität in jedem einzelnen Bereich hervorbringt, und dass das ein zeitgemäßes Studium ist für Menschen, die mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit eine sogenannte Portfolio-Karriere haben werden, also in unterschiedlichen Bereichen arbeiten.

 

Bei der Suche nach den Gründen für einen geringen Frauenanteil im Instrumentalbereich stellt sich ja immer die Frage, ob sie nicht wollen oder nicht können. Stellen Sie fest, dass die Bewerberinnen bei den Eignungsprüfungen schlechter abschneiden, weil ihnen vielleicht „popmusikalische“, also Band-Erfahrungen fehlen, sie z.B. im Spielen nach Leadsheets nicht so souverän sind wie die männlichen Bewerber?

Wir scheitern, wie andere Studiengänge auch, meistens schon daran, dass sich nur wenige oder keine Frauen zur Eignungsprüfung anmelden. Im Gesang haben wir das Problem nicht, aber bei Schlagzeug, Bass und Gitarre gibt es einen eklatanten Gender-Gap bei den Bewerbungen. Und man kann die Frauen ja nicht zwingen. Wenn sie dann vorspielen, sind sie im Schnitt nicht schlechter als die männlichen Bewerber. Aber es fällt natürlich mehr auf: Wenn es auf ein Instrument nur eine Bewerberin gibt und die schafft die Prüfung nicht, dann hat man eben eine Ausfallquote von 100%. Wenn ein männlicher Bewerber es nicht schafft, gibt es noch 30 andere.

Dennoch: Es kann eine Rolle spielen, wie eine Prüfung gestaltet wird, welche Skills dabei für essentiell gehalten werden, ob und welche Form von Band-Erfahrung oder welcher Habitus vorausgesetzt wird. Da gibt es sicher sehr unterschiedliche Vorstellungen. Männliche Prüfer, deren Selbstbild und damit auch eine Vorstellung vom Beruf „Popmusiker“ eng an das Konzept Band gekoppelt ist, schätzen ein Defizit an dieser Stelle sicher bedeutender ein als jemand wie ich, die immer auch darauf schaut: Wie versteht jemand populäre Musik? Was hat er/sie eigentlich zu sagen? Ist das sein oder ihr Ausdrucksmittel? Welche kreativen Potentiale bringt die Person mit? Und – bei uns natürlich auch wichtig -: Ist die Person für einen pädagogischen Abschluss nicht nur offen, sondern auch geeignet?

Wir versuchen unsere Kommissionen daher so zusammenzustellen, dass verschiedene Perspektiven vertreten sind. Meine Überzeugung ist außerdem, dass Eignungsprüfungen nicht nur dazu da sind, die „besten“ Studierenden zu finden – oft genug wäre ja strittig, was genau dieses „beste“ eigentlich ist. Ich suche vor allem das Match aus Person und Studienangebot: Mit wem wollen wir arbeiten? Und zu wem passt unser Studienangebot, wer wird bei uns „glücklich“? Und mit wem werden wir froh? Das sind Faktoren, die man nicht gut in Klausuren abprüfen, aber denen man sich in einem Gespräch zumindest nähern kann.

 

Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe, warum so wenige junge Frauen sich für einen Instrumentalstudiengang entscheiden?

Typisches Role Model „Sängerin“: Ariana Grande (Foto: Wikipedia)

Die Gründe sind vielfältig und komplex und darum eben nicht wirklich leicht in den Griff zu bekommen. Um einige bekannte Gründe zu nennen: Es mangelt an guten Vorbildern und Role Models, die mit den Selbstkonzepten junger Frauen kompatibel sind. Die Lebensvorstellung „Musikerin sein“ schließt scheinbar, aber oft auch real, die Möglichkeit, Familie zu haben, aus. Noch immer sind Arbeitsverhältnisse in der Kultur prekär und ein Gender Pay Gap kommt noch dazu. Es kommt außerdem auch darauf an, welche Erfahrungen Jugendliche in Bands machen (bzw. ob sie solche Erfahrungen überhaupt machen) und ob sie daraus eine Vorstellung von einer beruflichen Existenz ableiten können. Die Einstellung der Eltern dürfte auch eine Rolle spielen.

Es gehört vor diesem Hintergrund schon einiges dazu, sich mit 18 oder auch 20 Jahren für so einen Weg zu entscheiden. Und ich verstehen auch Leute, die sich die Musik lieber als schönes Hobby erhalten wollen. Musik als Beruf zu haben, ist ja was anderes als nur seiner Leidenschaft nachzugehen.

 

Ein kleiner Diskurs: In meiner Jugendzeit gab es deutlich erkennbare „Gruppen“ und Styles, es gab Popper, Punks, Ökos, Grufties usw., man hörte bestimmte Bands, hatte einen bestimmten Kleidungs- und Lebensstil. Welche Musik man hörte, hatte einen hohen Stellenwert. Ist die Jugend heute „homogener“, vielleicht, weil die Bildgewalt unserer Medien und die Wucht, mit der sie den Jugendlichen vermitteln, was angesagt ist und was nicht, heute noch stärker wirken als früher? Ist die Musik heute weniger prägend für die eigene Entwicklung?

Ja, ich glaube, populäre Musik hat ihr vermeintliches Alleinstellungsmerkmal als Jugendkultur und Sozialisationsinstanz verloren. Populäre Musik wird inzwischen von allen Generationen und Milieus gehört, sie ist Alltagskultur, nicht mehr vorrangig Jugendkultur. An ihre Stelle sind für Jugendliche andere populäre Kulturen gerückt, insbesondere Serien und Games. Darüber tauschen sich Jugendliche aus, da entwickeln sie Leidenschaft, Kennerschaft und Involvement. Jugendliche verbringen auch mehr Zeit mit sozialen Medien und Plattformen wie Instagram, mit ihren Angeboten zur Selbstinszenierung, die es in den 1980er und 1990er Jahren so nicht gab.Ich bin aber nicht so pessimistisch, was die Heterogenität angeht: Serien und Games sind nicht so stark mit Dresscodes verbunden wie die Musikszenen. Daher ist eine Zugehörigkeit optisch nicht so sichtbar. Das heißt aber nicht, dass die Jugendlichen auch wirklich homogener sind.

 

In der Regel sind ja an den Hochschulen für Popularmusik ausschließlich Männer als Lehrpersonal in den Instrumental-Studiengängen zu finden; weibliche Dozenten gibt es meist nur im Gesang. Hochschul-Leitungen beklagen häufig, dass sich zu wenige Frauen bei ihnen bewerben würden. Wie sieht es bei Ihnen aus?

Wenn die meisten Instrumentalmusiker Männer sind, ist es eine logische Folge, dass sich das im künstlerischen Personal an Hochschulen auch zeigt. Das ist bei uns nicht anders, auch wir haben eine große Dominanz von männlichen Kollegen. Aber wenn wir einen Lehrauftrag neu ausschreiben, versuchen wir erstens, Ausschreibungen sprachlich und inhaltlich so zu gestalten, dass Frauen sich eher angesprochen fühlen können – z.B. indem neben künstlerischer Exzellenz auch Teamfähigkeit gefragt ist. Und dann suchen wir Frauen, die wir gezielt zur Bewerbung auffordern. Dabei bitten wir auch unsere männlichen Kollegen um entsprechende Namen und Kontakte. Die kennen sich in ihren Fächern ja gut aus und viele von ihnen fördern Frauen sehr gern.

Christin Neddens ist Lehrbeauftragte für Schlagzeug in Osnabrück (Foto: Alex Bach)

Wenn sich dann Frauen bewerben, müssen sie sich natürlich im Verfahren durchsetzen, genau wie Männer auch, und natürlich kann es sein, dass dann dennoch ein Mann den Lehrauftrag bekommt. Aber oft bekommt ihn eben auch eine Frau, die man sonst gar nicht im Verfahren gehabt hätte. Wenn man diese Art von Diversität im Lehrpersonal haben möchte – und nicht nur Lippenbekenntnisse abgibt – muss man dafür ein bisschen mehr Aufwand betreiben. Auf diese Weise konnten wir im letzten Jahr zwei Frauen gewinnen: eine für Schlagzeug und eine für Producing.

 

Es gibt ja sehr viele gut ausgebildete Jazzmusikerinnen, die sich als Dozentinnen für Instrumental-Studiengänge eignen würden. Was glauben Sie, sind die Gründe, dass diese dort nicht als Lehrende zu finden sind?

Es gibt mindestens zwei Gründe, die mir einfallen: Erstens: Es gibt eben nicht viele Instrumentalistinnen. Diejenigen, die sich einen Namen gemacht haben, die künstlerisch wirklich erfolgreich sind, sind meist so gut im Geschäft, dass sie das mit einer regelmäßigen Lehrtätigkeit zu den Konditionen einer Hochschule nicht mehr verbinden können oder wollen. Wir brauchen ja auch verlässliches Lehrpersonal, das wöchentlich unterrichten kann – und nicht nur schicke Namen auf der Website. Die fallen also wegen ihres Erfolges aus, die kann man eher mal für Workshops gewinnen.

Zweitens: Viele Frauen sind sehr selbstkritisch, wenn sie Ausschreibungen lesen und glauben, dass sich eine Bewerbung nicht lohnt. Dem kann man entgegenwirken, in dem man sie konkret anspricht.

Drittens – und das ist nicht musikspezifisch: Menschen stellen oft Personen ein, die ihnen ähnlich sind und die Lebensläufe von Frauen werden oft schlechter bewertet. Dazu gibt es aussagekräftige Studien. Diese Art von Benachteiligung ist oft keine wirklich böse Absicht, Menschen folgen dann ihrem Gefühl, sie wollen, ja dass es am Ende „passt“. Man muss sich also fragen: Passt die Schlagzeugerin oder Gitarristin in ein rein männliches Team, mit lauter männlichen Studierenden? Ich würde sagen: Gerade da muss mehr Vielfalt rein! Aber andere sehen das vielleicht als Risiko.

 

Bei unseren Interviews mit Musik-Studentinnen kam häufig die Klage auf, dass sich ihre Instrumentallehrer ihnen gegenüber sehr ruppig verhalten und wenig supportiv agieren würden. Einige fühlten sich nicht respektiert und regelrecht erniedrigt, sie konnten das Verhalten ihrer Lehrer aber nicht einordnen, weil sie nicht wussten, ob es ihren männlichen Kommilitonen genauso ergeht. Über diese Probleme zu reden, scheint ein Tabu zu sein, weil keine*r sich eine Blöße geben will. Deckt sich das mit ihren Erfahrungen? Wie ließe sich von Seiten einer Hochschule angemessen darauf reagieren? Oder müssen Studierende diesen rauen Umgangston einfach in Kauf nehmen, wenn sie exzellente Musiker*innen werden wollen?

Hier kommen zwei Sachen zusammen: erstens die eher unrühmliche Tradition von „Meister und Schüler“ an Musik- und Kunsthochschulen, die Abhängigkeiten schafft und potentiell auch Missbrauch fördert. Mir ist es ein Rätsel, warum der Begriff des „Meisterkurses“ immer noch benutzt wird, ich würde immer von Workshops sprechen. Zweitens die Männerdominanz in der Pop-und Jazz-Szene, die sich an Musikhochschulen reproduziert.

Ich höre das auch gelegentlich noch, der Ton in Bands „sei eben rau“, das müsse man eben aushalten. Das ist aus meiner Sicht überhaupt nicht plausibel. Ein rauer Umgangston oder sexistische oder chauvinistische Verhaltensweisen sind ja keine notwendige Nebenfolge von musikalischer Qualität. Eine Band spielt ja nicht schlechter, wenn alle gut miteinander umgehen, vielleicht spielt sie sogar besser. Es könnte auch sein, dass der Ton konstruktiver und achtsamer wird, wenn Bands diverser sind, wenn sich alle mehr miteinander und umeinander bemühen müssen.

Wer so etwas sagt, will, so glaube ich, die eigenen Arbeits- und Sprechweisen nicht in Frage stellen und unbehelligt so weitermachen wie bisher. Heißt: Die eigene privilegierte Position nicht anerkennen und schon gar nicht zur Disposition stellen. Wer hingegen Frauen oder auch Persons of Color wirklich gleich behandeln oder sogar fördern will, muss seine eigenen Arbeitsweisen reflektieren und auch Platz machen.

Foto: Toolbox Gender und Diversity in der Lehre

Wenn Musiker so agieren, ist das ja schon unschön. Wenn sie aber als Lehrende so agieren, ist das noch viel problematischer. Lehrende sind gegenüber ihren Studierenden (die sie ja oft als Schüler und Schülerinnen bezeichnen), in einer Machtposition und müssen darum besonders rollensensibel sein. Wir am IfM sind da sehr konsequent: Wer seine Machtposition missbraucht und Grenzen nicht wahrt, kann bei uns nicht unterrichten. Wir ermutigen die Studierenden, problematische Vorgänge wahrzunehmen, Grenzüberschreitungen nicht zu dulden, sich zu wehren und mit uns auch darüber zu sprechen. Und mein Eindruck ist, dass Studierende tatsächlich selbst sensibler dafür werden und offener darüber sprechen und sowohl die Wahrung ihrer Grenzen als auch eine gender- und diversity-sensible Lehre einfordern.

 

Ich frage jetzt mal bewusst provozierend: Gibt es Ihrer Meinung nach geschlechtsspezifische Unterschiede in der Vermittlung von Musik? Setzen männliche und weibliche Lehrkräfte womöglich andere Schwerpunkte, stellen andere Ansprüche an die Studierenden, verhalten sich einer/einem Schüler*in gegenüber anders? Oder ist das mehr eine Frage von „alter Schule“ und modernem Unterricht?

Ich glaube, so einfach nach Männern und Frauen kann man das nicht aufteilen. Jede Lehrperson, auch ich, hat „blinde Flecken“, befindet sich in einer bestimmten Tradition und bringt auch den eigenen Charakter und die eigenen Vorbilder mit in das Geschehen ein. Ich habe vergleichsweise alte Männer erlebt, die Frauen engagiert fördern und jüngere Frauen, die grenzverletzend arbeiten. Darum erlaube ich mir hier kein pauschales Urteil.

Auffällig ist generell im Kulturbereich, dass vermeintlich weibliche Genres und Vorlieben (nicht nur in der Musik) einen geringeren Status haben, dass der Kanon nicht nur in der Klassik, sondern auch im Pop männlich dominiert ist, dass über Künstler*innen, die von jungen Frauen besonders geschätzt werden, oft nur gelächelt wird. Das hat eine lange Tradition, die bis in die institutionellen Förderstrukturen von Wissenschaft und Kultur hinein reicht und die darum sehr wirkmächtig ist. Viele Lehrkräfte, Männer wie Frauen, hinterfragen diese Ordnungen nicht und unterrichten einfach, was sie kennen, sie reproduzieren das System, aus dem sie selbst stammen – ohne zu merken, dass sie damit Frauen systematisch marginalisieren.

Ich möchte Educating Artists ausbilden, die gender- und diversitysensibel sind, was ihre eigene Kunst und was Vermittlung angeht. Wie Musik und Musikunterricht gedacht wird, das vermittelt sich ja oft schon in den Musikschulen. Wenn da anders ausgebildete Lehrende arbeiten, ist ein wichtiger Schritt getan. Und da geht es nicht nur um den inakzeptablen „rauen“ Ton, sondern auch darum, wer welche Instrumente wählt, welche Stücke gespielt oder nicht gespielt werden oder ob außereuropäische Musik als gleichwertig angesehen wird.

 

Was könnten Hochschulen verändern, um mehr junge Frauen* für ein Studium der Popularmusik zu begeistern?

Typisches Bild bei Hochschul-Bigbands (hier: HfMT HH & ETH Zürich)

Sie können faktisch gar nicht so viel tun, die maßgeblichen Entwicklungen finden ja vorher statt, in den Musikschulen, Schulen und am Übergang zu den Hochschulen. Und da müsste man sehr viel Zeit und Aufwand investieren, um substantiell etwas zu verbessern: Pre-Collages oder Schnupperstudium, enge Zusammenarbeit mit Schulen und Musikschulen, gezielte Vorbereitung von Frauen auf Eignungsprüfungen etc. Das alles erfordert aber so viel Zeit und Energie von allen Beteiligten, so viel Aufbau- und Netzwerkarbeit, das ist, das muss man klar sagen, neben dem ohnehin schon überfrachteten Tagesgeschäft aus Lehre, Forschung, akademischer Selbstverwaltung, Gutachten, Akkreditierungen etc. nicht zu machen. Dafür müssten eigene Stellen geschaffen werden, die das kompetent auf den Weg bringen und dafür verlässliche Strukturen herstellen. Und das heißt, dass die Landesregierungen als Mittelgeber der Hochschulen in der Verantwortung wären, dafür gezielt Stellen einzurichten; und da sehe ich keine einzige, die an dieser Stelle Frauenförderung zu ihrem Anliegen machen würde. Eigentlich gibt es hier eine doppelte Diskriminierung: Der Kulturbereich und die Frauenförderung sind ja beide typische Politikfelder für „Sonntagsreden“ – viel Bekenntnisse und relativ wenig konkrete Unterstützung.

Aber für die Studentinnen, die da sind, können Hochschulen eine Menge tun. Sie können transparente und verlässliche Lehr-Strukturen schaffen, sie können dafür sorgen, dass Frauen sich sicher entwickeln können, sie können ermutigen und fördern und dazu beitragen, dass es weniger um „Männer gegen Frauen“, sondern um ein Miteinander geht. Das alles funktioniert vor allem, ganz schlicht, wenn die Hochschulen das selbst vorleben. Wenn es starke weibliche Professorinnen und Lehrkräfte gibt, wenn kollegial und grenzwahrend miteinander gearbeitet wird und wenn man sich sicher sein kann, dass man in einer Situation, in der man diskriminiert wird, Solidarität und Hilfe erfährt.

 

Sie haben ja auch einen Musikerinnen-Stammtisch initiiert. Wie wird dieses Angebot angenommen, gibt es viel Bedarf zum Austausch?

Der Stammtisch ist oft gar nicht soo voll, es passt ja zeitlich nicht immer allen. Aber er führt für die, die da sind, zu einem intensiven Austausch. Hier erzählen Frauen auch, was ihnen außerhalb des Studiums so auf Bühnen und bei Veranstaltungen passiert, wenn sie als Künstlerinnen unterwegs sind. Das sind oft haarsträubende Geschichten. Es ist sehr wichtig, dass die Studentinnen das erzählen, weil dann alle anderen auch merken: Das ist nicht mein privates Problem, es liegt nicht daran, dass ich eine schlechte Künstlerin bin, sondern: Das ist ein allgemeines strukturelles Problem. Daraus entsteht oft Wut, aber Wut ist ein besseres Gefühl als Verzagtheit.

Der Stammtisch ist wichtig, um sich unter Frauen frei austauschen zu können. Genauso wichtig ist aber der Austausch mit den männlichen Studierenden. Dafür probieren wir auch Formate aus, in denen wir im weitesten Sinne über Pop und Gesellschaft ins Gespräch kommen, z.B. auf der Grundlage von Texten oder Videos oder Dokumentationen. Da spielen alle möglichen Diskurse eine Rolle, auch die Frage von Gender und Musik. In diesen Formaten sind dann eben auch männliche Studenten involviert und das erweist sich als sehr produktiv. Denn meine Erfahrung ist, dass die männlichen Studierenden ein großes Interesse daran haben, mit den Kommilitoninnen gut und fair zusammenzuarbeiten. Darüber zu sprechen, was das konkret heißt oder warum das trotz guten Willens manchmal misslingt, hilft allen Beteiligten.

Hintergrund ihrer Untersuchung war die Feststellung, dass außerhalb der Hochschule die Männer an den Instrumenten im Jazzbereich immer noch klar in der Überzahl sind und trotz Emanzipationsbestrebungen und gleichen Bildungschancen immer noch eine signifikante Geschlechterdifferenz im Jazz besteht. Woran liegt das also? Was hindert Frauen und Mädchen am Instrumentalspiel im Jazz? Sind es musikalische Elemente wie Komposition und Improvisation? Trauen sich Frauen schöpferische Tätigkeiten weniger zu als reproduktive oder spielen vielmehr sozialpsychologische und soziokulturelle Faktoren eine Rolle in der Wahl einer Profession? Wie schätzen Frauen ihre Erfolgschancen in einem männlich dominierten Berufsfeld ein? Lassen sie sich von Stereotypen wie der männlich-behafteten Vorstellung des „Genies“ beeinflussen, die ihnen Karrierechancen und Entfaltungspotentialen verwehren?

Diesen Fragen versucht Senge mit ihrer Arbeit auf den Grund zu gehen, indem sie musikalische Elemente der Jazzmusik, aber auch sozialpsychologische und soziokulturelle Faktoren im Wirkungsfeld einer Jazzinstrumentalistin berücksichtigt. Zuerst einmal nimmt sie sich viel Zeit für eine interessante historische Betrachtung des Begriffs des „Genies“ und der Vorstellung, dass es ein angeborenes Talent gäbe. Spätestens seit Beginn des 19. Jahrhunderts wurde dieser Begriff vornehmlich mit männlichen Künstlern in Verbindung gebracht. Außerdem diente der „Geniemythos“ im Bürgertum als Rechtfertigung der Entwicklung einer Hierarchie zwischen Komponierenden und Ausführenden in der Kunstmusik.

Drei Damen bei der Hausmusik, Gemälde von Silvestro Lega (1868)

Frauen durften gemäß den damals herrschenden Moralvorstellungen nur im Kreis der Familie bzw. im eigenen Haus musizieren, an einem sicheren Ort, wo sie gut aufgehoben waren. Die musikalische Ausbildung am Instrument gehörte zwar schon immer zur Mädchenerziehung in Familien gehobener Stände dazu. Die oftmals schweren Instrumente, die dekorativ das Wohnzimmer schmückten, verpflichteten die Frau aber an das häusliche Musizieren. Musikinteressierten Frauen blieb also nichts anderes übrig, als „Hausmusik“ zu betreiben oder ihr Geschlecht zu verwischen und unter anderem Namen zu publizieren.

Senge vermutet, dass dieses Wertungsmuster des Genies mit seiner eindeutigen Geschlechtsspezifik und die bürgerlichen Ideale weiblicher Musikerziehung aus dem 19. Jahrhundert nach wie vor die Wahrnehmungen der Rollenverteilungen im 21. Jahrhundert beeinflussen. Gesellschaftliche Normen würden nach wie vor auf Mädchen und Jungen einwirken, wenn sie z.B. ein Instrument auswählen. Mädchen wählen vermehrt Instrumente wie Flöte, Violine und Klavier; Blechbläser und Schlagzeug würden eher von Jungs gewählt, da sie traditionelle Instrumente der Militär- und Marschmusik darstellten und ausschließlich von Jungen und Männern gespielt wurden. Sie führt eine Untersuchung von Kristyn Kuhlmann (2004) an, in der über 600 Schüler*innen in sog. „Timbre-Tests“ immer mit den Klängen von zwei verschiedenen Instrumenten konfrontiert und dann aufgefordert wurden zu entscheiden, welches der beiden sie favorisieren. Wenn die Kinder den Instrumentennamen nicht wussten, fielen ihre Präferenzen nicht stereotypisch aus. Kannten sie den Instrumentennamen, entscheiden sich Mädchen und vor allem die Jungen für stereotypische Instrumente.

Sie zitiert weiter Dr. Michaela Tzankoff, die in ihrer Interaktionstheorie postuliert, dass Kinder in ihrer Sozialisation früh beeinflusst würden, in dem Lehrer*innen Jungen durch stärkere positive und negative Zuwendung mehr zu extrovertiertem und dominanten Verhalten anspornen und Mädchen zur Passivität (selektive Verstärker). Möglicherweise trüge gar der Frauenüberschuss im Erzieher*innen- und Lehrpersonal dazu bei, dass sich Mädchen insgesamt mehr mit den Institutionen identifizieren könnten als Jungen, die eher eine Abwehrhaltung gegen die Institutionen aufbauen. Das könnte auch erklären, warum Jungs sich in informelleren Zusammenhängen leichter entfalten und Mädchen mehr in der Familie und angeleitet von pädagogischen Fachkräften Musik machen, wie es auch Dr. Ilka Siedenburg in ihrer empirischen Untersuchung herausgefunden hat. Es ließen sich also Parallelen zur musikalischen Sozialisation des 19. Jahrhunderts aufzeigen, wo die häusliche Musizierpraxis für Mädchen in bürgerlichen Familien die Norm darstellte. Erst in der späteren Pubertät gelangten Mädchen auch mehr in informelle Kontexte, da seien die Jungs aber schon in ihrer musikalischen Entwicklung weiter.

Ein weiterer interessanter Gesichtspunkt ist, wie Mädchen und Jungen selbst ihre Fähigkeiten bewerten und von den Eltern eingeschätzt werden. Senge führt eine Langzeitstudie zur Sozialisation und Individualentwicklung von Eccles an, die zeige, dass Mädchen und Jungen trotz ähnlicher Leistungen in einem Fach unterschiedliche Wahrnehmungen bezüglich ihrer Fähigkeiten hätten: „Eltern sprechen bezüglich ihrer Söhne bei Erfolgen in Mathematik von Talent, bei Mädchen von Anstrengung. Jungen bewerten ihren Erfolg als Ergebnis von Fähigkeiten, Mädchen ihren als Folge von Anstrengung und guten Lehrkräften“. Spannend ist auch eine weitere Untersuchung von Gneezy et al. aus dem Jahr 2003, die sie erwähnt: Studien zur Untersuchung von Geschlechtsunterschieden in wettkampforientierten Bereichen hätten bewiesen, dass „Frauen weniger Leistung erbringen, sobald sie Teil eines Wettbewerbs sind, auch wenn sie dieselben Kompetenzen aufweisen wie ihre männlichen Kollegen“. Männer dagegen erbrächten in Wettbewerbssituationen bessere Leistungen. Frauen mieden zwar keine Wettbewerbe, fühlten sich in gemischtgeschlechtlichen Gruppen aber nicht wettbewerbsfähig. In einem gemischtgeschlechtlichen Umfeld sorgten sozialpsychologische Faktoren also dafür, dass sich Frauen insgesamt leistungsschwächer einschätzen als Männer, und der Wettbewerbsdruck wirke sich negativ auf ihre Leistungen aus. Dies ist ein interessanter Gesichtspunkt, der anschaulich erklären könnte, warum sich junge Musikerinnen häufig nicht der Situation eines Vorspiels bzw. einer Eignungsprüfung aussetzen wollen – der Zugangsvoraussetzung für ein Studium.

Seit vielen Jahren wichtiger Session-Treffpunkt: die LadyJam! in Köln (hier mit Abends mit Beleuchtung)

Senge vermutet weiter, die Jazzimprovisation als Teil eines komplexen Kreativitätsprozesses sei mit männlichen Rollenvorstellungen belegt, die Mädchen und Frauen möglicherweise den Zugang erschweren. Denn auch im Jazz ist die Vorstellung eines „natürlichen“ Talents präsent. Ein Blick auf die Jazzszene lässt die Annahme zu, die Fähigkeit zur Improvisation sei eine besondere Begabung, die berühmten Jazzimprovisatoren wie Louis Armstrong, Miles Davis, John Coltrane, Charlie Parker angeboren sei. Attribute wie Schüchternheit und Konformität, die gemeinhin mit Weiblichkeit verbunden würden, seien im Jazz fehl am Platz; vielmehr zeichne sich ein typischer Jazzmusiker durch Selbstbewusstsein, Wettbewerbsdrang und Unabhängigkeit aus. Auch eine gewisse Kühnheit und Härte sei in dem Männer-Business von Nöten, ein aggressiver Umgang mit Sexualität spiegele sich auch in der Kommunikation unter Musikern wieder. Auch würden Mädchen und Frauen mehr in der reproduktiven musizierenden Rolle gesehen, während kreativ-schöpferische Leistungen eher den Männern vorbehalten wären.

In ihrem Fazit schlägt sie vor, die Begriffe zu entmystifizieren und somit geschlechtlich zu neutralisieren: „Die Erkenntnis der Erlernbarkeit von Improvisation und kreativ- schöpferischen Prozessen jeglicher Art könnte den Fokus von Kreativität als Fähigkeit, die ausschließlich von außergewöhnlich begabten Individuen ausgeübt werden kann, auf Kreativität als ein gesellschaftliches Gut verlagern, das für jede_n zugänglich ist und käme somit dem eigentlichen Wunsch der Wissenschaft entgegen, den Kreativitätsbegriff zu entmystifizieren“ (vgl. Rosenbrock 2006). Auch der Sozialisationsprozess weise geschlechtsspezifische Tendenzen auf, denn Mädchen wüchsen innerhalb eines soziokulturellen Kontexts auf, in dem geschlechtsbezogene Stereotypen die individuelle Identitätsfindung prägten. Dadurch öffneten sich Mädchen und Frauen nicht alle möglichen Handlungsspielräume, sodass ihre Entfaltungsmöglichkeiten eingeschränkt würden. Die Bildungspolitik müsse hier dagegenhalten und die Jugendlichen bei der Selbstsozialisation unterstützen, sodass sie sich durch individuelle Entscheidungen von vorgefertigten Normen unabhängig machen können und ihnen mehr Handlungsspielräume zur Verfügung stehen.

Teilnehmerin & Dozentin beim 1. Jazz Girls Day in Frankfurt 2019 (Foto: Jacci Larius)

Junge Musiker*innen würden durch das Erlernen von Improvisation und das Eingehen von möglichen Risiken in der musikalischen Interaktion ihr Selbstbewusstsein steigern und sich von selbstgesteckten Grenzen und Unsicherheit befreien. Das stärke Mädchen und Frauen in dem Vorhaben, ihr künstlerisches Potential an einem Instrument zu entwickeln, das ihnen liegt. Anstatt Bildungsangebote immer auf individuelle Exzellenz zu fokussieren, sollte die Aufmerksamkeit auf das kreative Kollektiv, auf den Gruppenprozess gelenkt werden. Musiklehrer*innen sollten Mädchen zum Erlernen von Blasinstrumenten, Schlagzeug, Bass und E-Gitarre motivieren, was erleichtert wird, wenn diese Instrumente in den Musikschulen auch von Instrumentalistinnen präsentiert werden, sodass eine Identifikationsmöglichkeit besteht. Auch könnten die Lehrer*innen beeinflussen, dass Mädchen mehr in informelle Kontexte gelangen und sich autodidaktisch betätigen und vom reinen Lernen nach Noten wegbewegen.

Auch die beruflichen Rahmenbedingungen und Konditionen könnten für Frauen so gestaltet werden, dass ihnen eine Karriere als Jazzmusikerin attraktiv erscheint. Dazu gehörten mehr Krippenplätze in Hochschulen und flexiblere Betreuungszeiten, eine gesicherte Freistellung im Falle einer Mutterschaft, höhere Gagen und flexiblere Arbeitszeiten für Mütter und bessere Sozialleistungen (vgl. Stelzer 2013).

Die vollständige Bachelorarbeit könnt ihr unter folgendem Link runterladen: Bachelorarbeit Lena-L. Senge 

Zur Person: Lena-Larissa Senge ist Sängerin (Pop/Jazz), Komponistin und Vokalpädagogin. 2017 hat sie ihr Bachelorstudium Musikerziehung abgeschlossen, momentan ist sie im Masterstudium der Musikvermittlung/Medienkulturwissenschaft an der Uni Köln. Sie gibt Gesangsunterricht, veranstaltet Konzerte, ist u.a. mit ihren Bands LARIZA (Contemporary Jazz), LUAH (Folk/Jazz), Inspiration, Dear! (Vocal Jazz Ensemble/Trad. Jazz) und im Landesjugendjazzorchester NRW unterwegs. Außerdem ist sie Mitglied im Netzwerk Musikvermittlung e.V. Infos

(Titelfoto: hr Bigband 2011, Dirk Ostermeier)

Ampaire:e sind Teil des diesjährigen Peng-Festivals (Foto: Ernst Luk)

Den sieben Jazzmusikerinnen (Barbara Barth, Marie Daniels, Rosa Kremp, Maika Küster, Mara Minjoli, Johanna Schneider und Christina Schamei) des PENG Kollektivs liegt es besonders am Herzen, Frauen im Jazz zu fördern und zu zeigen, wie vielfältig und lebensnah der Jazz im Ruhrgebiet ist. So unterschiedlich wie die Mitglieder des PENG e.V., so bunt ist auch dieses Festival und seine Musik. Dieses Jahr wird das Anna-Lena Schnabel Quartett aus Hamburg live zu sehen sein. Das Quartett hat es sich zur Aufgabe gemacht, ungewöhnliche und vertraute Klänge verschmelzen zu lassen. Thea Soti Electrified Island aus Serbien hingegen überraschen die Zuhörer mit einer Mischung aus Performance und Improvisation, bei der ungewöhnliche Klangexperimente mit der Stimme gezeigt werden.  Ampair:E spielen improvisierte, elektronische Musik und Kusimanten aus der Ukraine begeistern mit einer extremen Präzision der Stimmführung von Sängerin Tamara Lukasheva. Caris Hermes ist ein Trio, welches bereits seit 11 Jahren zusammen musiziert, dies hat zur Folge, dass die Mitglieder perfekt aufeinander abgestimmt sind. Das Eva Klesse Quartett ist international renommiert und wurde bereits mit einem Echo ausgezeichnet. Über das Festival 2017 schrieb nrwjazz.net: „Den Damen gebührt mein Respekt. Dieses „Frauen“ -Jazzfestival bietet eine bunte Mischung unterschiedlicher Stilrichtungen des modernen Jazz mit lokalen Bandleaderinnen und überregionalen Größen.“ Wir haben mit einer der sieben Gründerinnen, Mara Minjoli, ein Interview geführt, in welchem sie unter anderem über die Chancenungleichheit zwischen Musikerinnen und Musikern spricht, aber auch ihre Wünschen über die Zukunft des Festivals äußert.

Wie kam Euch die Idee für ein reines Frauenmusikfestival?

Thea Soti Electrified Island werden live auf dem Peng-Festival zu sehen sein

Eigentlich war es Maikas Idee, ein Kollektiv zu gründen. Zunächst ging es erstmal darum, sich gegenseitig als Musikerinnen zu unterstützen, sich auszutauschen und Erfahrungen miteinander zu teilen. Im Gespräch wurde schnell klar, dass wir alle ähnliche Erfahrungen gesammelt hatten, gerade auch im Hinblick auf die Situation, sich als Frau in einer Männerdomäne durchzuschlagen. Dann kam die Idee, sich nicht nur gegenseitig zu unterstützen, sondern auch anderen Musikerinnen eine Plattform zu bieten. So entstand die Idee des Festivals.

War es von Anfang an klar, dass Ihr ein Jazzfestival gründen wollt, oder standen noch andere Genres zur Debatte?

Da wir alle Jazz studiert haben und uns auch hauptsächlich in diesem Genre bewegen, war klar, dass es ein Jazzfestival werden würde. Allerdings ist der Begriff so weit und läßt viel Raum für Vielfalt. Wir suchen Bands und Musikerinnen aus, die uns schlicht und ergreifend inspirieren.

Die Resonanz ist sehr positiv und die letzten Festivals waren ausverkauft; gab es auch Kritik oder hattet Ihr mit Vorurteilen zu kämpfen?

Kusimaten treten 2018 beim Peng-Festival auf

Hin und wieder tauchte durchaus die Frage auf „wofür braucht man ein FRAUEN Jazzfestival, sollte es nicht ausschließlich um die Musik gehen und nicht um das Geschlecht?“ Wir haben uns die Frage selbst gestellt. Und ja, es soll um die Musik gehen. Allerdings sind Frauen in dieser Szene noch immer einer starken Männerdomäne unterworfen. Es gelten eben nicht die gleichen Rechte und als Frau hat man mit Vorurteilen zu kämpfen. In vielen Situationen wird leider allzu deutlich, dass man als Musikerin nicht die selben Chancen hat wie als Musiker. Viele sind skeptisch, dass Frauen ebenso gute MusikerInnen sein können wie Männer. Das Aussehen spielt auch immer noch eine große Rolle. Viele Frauen werden nur über ihre Außenwirkung und ihre potentielle Attraktivität bewertet. Gerade im Zuge der Festival-Planung und Verwirklichung ist unsere Motivation gewachsen, dran zu bleiben und hartnäckig weiter zu machen. Es gab immer wieder Momente, in denen wir selbst feststellen mußten, dass unserer Entscheidung ein Frauen-Festival zu gründen eine gewisse politische Notwendigkeit birgt. Wir als Musikerinnen und Organisatorinnen, aber auch die Künstlerinnen die wir eingeladen haben, mussten mehrmals feststellen, dass Gender-Equality keine Selbstverständlichkeit ist.

Wie wichtig ist es Euch, die regionale Jazzszene zu unterstützen?

Das Eva Klesse Quartett tritt auf dem Peng-Festival auf (Foto: Arne Reimer)

Das ist uns ein großes Anliegen. Wir haben alle in Essen studiert und einige von uns leben auch immer noch im Ruhrgebiet. Es gibt ein sehr großes Potential von jungen MusikerInnen, die aber leider kaum lukrative Auftrittsmöglichkeiten im Pott haben. Wir möchten unseren KünstlerInnen eine schöne Auftrittsatmosphäre schaffen und sie durch eine angemessene Gage wertschätzen.

Hat sich die Kulturszene im Ruhrgebiet in den letzten Jahren verändert? Finden Jazzmusiker*innen hier gute Bedingungen vor?

Es hat sich in den letzten Jahren auf jeden Fall was getan. Es gibt einige, die sich in der Jazzszene engagieren. Das hat dafür gesorgt, dass die Szene etwas gewachsen ist und Studenten nach Abschluss ihres Studiums im Ruhrgebiet bleiben. Aber es kann noch viel mehr passieren. Es gibt viel Hochkultur und große Konzertsäle im Pott. Aber wirklich attraktiv wird eine Region erst durch ein Kulturangebot, das für jeden zugänglich ist. Die Auftrittsbedingungen sind leider meistens eher bescheiden. Deswegen versuchen wir durch die Unterstützung von Sponsoren, unseren KünstlerInnen eine angemessene Gage zu gewährleisten.

Würdet ihr Euch erhoffen, dass das Festival in den nächsten Jahren weiter wächst, oder ist es Euch wichtig, die eher familiäre Atmosphäre zu bewahren?

Auch im Line-Up: das Anna-Lena Schnabel Quartett

Wir freuen uns natürlich über steigende Besucherzahlen. Wir sind uns aber auch im Klaren darüber, dass der Charme unseres Festivals auch durch die familiäre Atmosphäre entstanden ist. Einen Ort zu finden, der mit dem Charme des Maschinenhauses mitzuhalten vermag, würde sich als sehr schwer erwiesen. Wahrscheinlich sogar unmöglich. Die Atmosphäre dort ist eine ganz besondere. Und auch das Team vor Ort ist respektvoll und „menschenorientiert“. Wir können mithilfe der Maschinenhaus-Mitarbeiter die KünstlerInnen aufgeschlossen willkommen heißen und sie in eine angenehme Atmosphäre aufnehmen. Wir wollen dem Maschinenhaus auf jeden Fall treu bleiben und zusammen mit den jeweiligen Organisatoren weitere Festival und Projekte planen.

Was wünscht Ihr Euch für die Geschlechterverhältnisse innerhalb der Musikszene, bzw. insbesondere der Jazzszene?

Caris Hermes ist Teil des diesjährigen Peng-Festivals

Noch ist es so, dass beispielsweise Instrumentalistinnen in der Minderheit im Jazz sind. Es wäre toll, wenn noch mehr junge Frauen ermutigt würden, den Weg als Musikerin zu beschreiten. Außerdem wünschen wir uns die gleichen Chancen, wenn es darum geht in bestimmten Clubs zu spielen, die gleichen Gehälter und den gleichen Respekt. Allerdings geht es vielen Frauen leider immer noch so, dass sie auf Grund ihres Geschlechts mit Vorurteilen zu kämpfen haben und noch immer nicht die gleichen Chancen wie Männer bekommen, ihre Musik zu präsentieren. Frauen sind in dieser Szene noch immer einer starken Männerdomäne unterworfen.

Die Festivaltickets kosten 25.-€/15.-€ erm. und Tagestickets 15.-€/10.-€ erm., hier sind sie erhältlich.

Veranstaltungsort: Maschinenhaus Essen, Wilhelm-Nieswandt-Allee 100, 45326 Essen

Infos

Das Reeperbahnfestival war im Jahr seiner Entstehung 2006 noch als reines Musikfestival konzipiert, doch bereits drei Jahre später wurde ein umfangreiches Kunstprogramm sowie eine Business-Plattform für Unternehmen und Organisationen aus der internationalen Musik- und benachbarten Digitalwirtschaft geboten. Vor allem die gleichzeitig stattfindende Konferenz hat sich zu einem Medium entwickelt, das die großen Zukunftsfragen nicht nur der Musikwirtschaft, sondern unserer Gesellschaft als Ganzes in den Blick nimmt und Lösungsvisionen entwirft. Neben dem Festival, das vielversprechende Newcomer*innen fördert, ist also ein regelrechter „Zukunftskongress“ entstanden. Fragen nach einer deutlichen politischen Haltung von Künstler*innen, nach dem, was Kunst darf (und was nicht), wie der Gender Gap überwunden und der veränderten Mediennutzung begegnet werden kann und vieles mehr.

Die im vergangenen Jahr gestartete Initiative „Keychange“ der britischen PRS Foundation, bei der das Festival mitgewirkt hat, hebt den gesellschaftspolitischen Anspruch der Macher*innen auf eine neue Ebene. Keychange setzt sich für die Stärkung der Rolle der Frau in der Musik ein und fördert die internationale Vernetzung und Auftrittsmöglichkeiten von Musikerinnen und Musikwirtschaftenden gezielt beim Zugang zu neuen Märkten. Die Initiative hat sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, dass 2022 50 Prozent der Festivalmitwirkenden Frauen sein sollen.

Auch die im Rahmen des Festivals stattfindenden VUT Indie Days wirken am Programm mit. In diesem Jahr wird es bei der Konferenz also einmal mehr darum gehen, eine Art „moralischen Kompass“ für die Musikindustrie zu entwickeln und zu diskutieren.

Programm

Gründerin der HipHop-Agentur „Die Marina“: Marina Buzunashvilli (Foto: Robert Maschke)

FRAUEN IM RAP 20.09. (Uhrzeiten stehen noch nicht fest)
Marina Buzunashvilli (Agentur Die Marina), Miriam Davoudvandi (Chefredakteurin splash!Mag), Sookee (Musikerin) und Salwa Benz (Journalistin Radio Fritz) diskutieren darüber, ob es immer noch nötig ist, Frauen im Rap zu thematisieren.

IMPROVING AN ARTIST’S MENTAL HEALTH 20.09.
Beim Vortrag von Sarah Anna Psalti-Helbig geht es um die Gesundheit von Musiker*innen und was gegen Angst, Depressionen usw. getan werden kann. Psalti-Helbig gibt ein monatliches Online-Zine über psychische Gesundheit heraus und ist seit 2016 Beiratsmitglied von DOMUS – der deutschen Lobbyorganisation für Künstlerrechte, Gründungsmitglied der International Artists Organisation.

THE PATH TO A HAPPY & HEALTHY CAREER 20.09.
Hier können sich Musiker*innen & das Festivalpublikum von einer Food-Coach, Diplom-Psychologin und einer Personal Trainerin erklären lassen, welche Wege zu einem gesunden und glücklichen Lebensstil führen, auch unter erschwerten Bedingungen, die Musiker*innen nicht selten zu schaffen machen (wenig Schlaf, Langstreckenflügen, volle Terminkalender, ständiger Erfolgsdruck usw.).

Kinnie Starr (Foto: Robin Gartner)

WOMEN IN MUSIC 20.09.
Eine Gesprächsrunde über den Status Quo, Verbesserungsbedarf und Zielvorgaben für das künftige Miteinander von Frauen und Männern im Musikgeschäft der Gegenwart und in naher Zukunft u.a. mit der kanadischen Musikerin Kinnie Starr.

NEUE ARBEITSWELTEN 20.09.
Diese Veranstaltung beschäftigt sich mit der Frage: Wie kann die Musikwirtschaft in Zukunft, ungeachtet der wirtschaftlichen Herausforderungen, eine für Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen vorteilhafte Umgebung schaffen?

OLL INCLUSIVE 20.09.
… nimmt die Generation 60+ in den Fokus, wie sie aktuell und zukünftig von der Musikwirtschaft bedient werden kann und welche Chancen sich für Künstler*innen und Kulturanbieter*innen dabei eröffnen.

POP UND POPULISMUS 20.09.
Wie ist es um die freiwillige Selbstkontrolle der Musikwirtschaft bestellt? Welche Verantwortung haben Künstler*innen und die Teams hinter den Kulissen dafür, dass der Populismus – die Wiederholung einfacher Wahrheiten und niederer Vorurteile – sich zum in der Breite akzeptierten kulturellen Stilmittel aufschwingt? Ist es alles halb so schlimm oder bereits der Soundtrack zu einer Politik zwischen Fake News und Fremdenangst?

ANTISEMITISMUS, VERSCHWÖRUNGSTHEORIEN, MUSIK 20.09.
Auch Antisemitismus kommt in der Musik vor, vor allem im HipHop haben menschenverachtende Inhalte in jüngster Zeit Konjunktur. Besonders besorgniserregend: Musik ist ein wichtiger Bezugspunkt für Kinder und Jugendliche, Künstler*nnen sind oft Vorbilder. Bei dieser Session befassen sich daher die Springstoff-Labelbetreiberin Anna Groß, die Journalistin und Künstlerin Azadê Peşmen u.a. mit der Frage, was getan werden muss, damit menschenverachtendes Gedankengut als solches erkannt, eingeordnet und entlarvt wird. Wie sollte die Musikbranche ihrer Verantwortung nachkommen?

INKLUSIVE KULTURARBEIT 21.09.
… behandelt die Fragen, ob es eine gleichberechtigte Teilhabe für Menschen mit Behinderung gibt und was der Kulturbereich, insbesondere die Musikwirtschaft auf dem Gebiet der Inklusion tut und noch tun sollte. Ein Workshop vermittelt die Grundlagen der barrierefreien Veranstaltungsplanung und –kommunikation.

THE FORGOTTEN AUDIENCE 21.09.
… nimmt die 80 Millionen Menschen in der EU in den Blick, die entweder physisch oder psychische Behinderungen haben und von der Musikwirtschaft vernachlässigt werden. Es gibt kaum Zugang zu musikalischer Ausbildung, keine Förderung von Talenten mit Behinderung, wenige behindertengerechte Live-Venues und nicht mal einen Ticketing Service im Internet, der barrierefrei wäre. Der Vortrag zeigt Wege auf, eine wirklich integrative Welt der Musik aufzubauen.

MUSIC INDUSTRY WOMEN-GET-TOGETHER 21.09.
Ein Treffen von Akteurinnen deutscher und französischer Musiklabels, die darüber sprechen, wie frau eine Plattenfirma gründet und betreibt.

MUSIC IN THE MIDDLE EAST 21.09.
… wagt einen Blick über den (deutschen) Tellerrand: in „Music In The Middle East“ bekommen Vertreter*innen lokaler Musikunternehmen wie Maram Kablawi (Künstlermanagerin Palästinensische Gebiete, Foto rechts) aus dem Iran, Palästina und dem Libanon die Gelegenheit, uns von den Schwierigkeiten, Problemen und Herausforderungen ihrer Märkte zu erzählen und einen Einblick in die unabhängige lokale Musikszene zu geben.

So viel hochkarätiges Programm hat leider seinen Preis: Konferenztickets sind teuer (ab 178.-€ für ein Sessions Only Ticket) und hier erhältlich. Vergünstigungen für Musiker*innen und Unternehmen aus der Region Stuttgart bietet das Popbüro hier an.

Vor allem die Stimme wird hierbei als klangliche Performanz von Körperlichkeit und Subjektivität zum Ausgangspunkt näherer Betrachtungen. In der Analyse einiger bekannter Popsongs arbeitet sie* auf dieser theoretischen Basis Unterschiede in der Darstellung von Geschlecht heraus, die nahelegen, dass die Beziehung zur eigenen Stimme und zum eigenen Körper nach geschlechtsspezifischen Normen geformt wird. Es geht ihr* dabei um den Anteil von Musik an der machtvollen kulturellen Reproduktion von Geschlechter- und Sexualitätsbildern in populären Medien und wie Sexismus z.B. in der Stimmgebung oder Nachbearbeitung entsteht. Wie Sängerinnen oft auch im Klang zu Anderen gemacht werden, wir uns aber mit scheinbar emotional bedürftigen Sängern identifizieren, erklärt sie* in unserem ausführlichen Interview.

Sexismus im Klang populärer Musik zu untersuchen – wie sind Sie auf diese Idee gekommen?

Eigentlich, glaube ich, es liegt sehr nahe sich zu fragen, wie sich Sexismus im Klang von Popmusik ausdrückt. In Videos und Texten wird er schließlich auch kritisiert. Und dass die meisten Sänger*innen ihr Geschlecht nicht einfach nur durch den Tonumfang transportieren, sondern unterschiedliche Gesangstechniken einsetzen und dass ihre Stimmen hörbar verschieden bearbeitet werden, ist eigentlich offensichtlich. Aber was sagt uns das über gesellschaftliche Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit? Eine Antwort auf diese Frage erscheint mir nicht nur spannend, sondern eigentlich notwendig, denn wenn auf dieser Ebene Geschlechterbilder geformt werden, dann ist hier auch eine Reflexion und Kritik nötig.

Ich weiß daher nicht mehr, wann ich angefangen habe mir diese Frage zu stellen. Sie hat mich wahrscheinlich mein ganzes Studium über begleitet. Zuerst habe ich lange nach Texten oder Autor*innen gesucht, die mir diese Fragen beantworten. Auf der Suche ergaben sich dann zuerst weitere Fragen (z.B. Wieso fehlt hier so offensichtlich eine entsprechende Analyse? Was sind die Schwierigkeiten?) und dann entwickelten sich mehr und mehr Ansätze einer möglichen Antwort.

Haben Sie sich bei Ihrer Analyse ausschließlich auf den Klang beschränkt und z.B. die Inszenierung, Kleidung, Image usw. außen vor gelassen oder beziehen sie diese mit ein?

Ich beschränke mich tatsächlich auf den Klang und mache keine Analyse von Videos, Interviews, Songtexten, Images oder Performances. Dabei denke ich nicht, dass diese anderen Ebenen für die Musikrezeption irrelevant sind, und je nach Fragestellung gehören sie zu einer möglichst vollständigen Untersuchung eines Songs oder einer*s Sänger*in dazu. Allerdings wollte ich den Fokus ganz bewusst auf die klangliche Ebene legen, um mich nicht in der Fülle des Materials zu verlieren und um herauszuarbeiten, was klanglich bereits ohne visuelle oder sprachliche Unterstützung passiert. Und da es mir hier um die Entwicklung einer feministischen Musik- und Klangkritik geht, erschien es mir sinnvoll den Fokus so zu setzen.

Zum Sender/zur Senderin gehören Empfänger*innen: In der populären Musik gibt es ja auch Stimmen, die eine*n stark berühren können und die eine große Tiefe haben. Beziehen Sie diese Hörerfahrung in Ihre Überlegungen mit ein?

Ja, genau darum geht es mir. Dass Stimmen uns berühren, ist eine bekannte Sache. Ich möchte aber herausfinden, wie sie das tun.

Es gibt große Unterschiede zum Beispiel dazwischen, ob ich von den verschiedenen akustischen Auffälligkeiten einer Stimme fasziniert bin oder mich mit ihrem emotionalen Ausdruck identifiziere, ob ich mich einfach im Klang geborgen und aufgehoben oder mich direkt angesprochen und zu irgendetwas aufgefordert fühle. Und selbst diese Beschreibungen sind noch recht ungenau. Außerdem erzeugen Stimmen Vorstellungen und Bilder vom Innern der Sänger*innen, zum Beispiel von Emotionen, Vitalität und Intentionen.

Mit Tiefe oder Berührung durch eine Stimme werden oft je nach Kontext verschiedene Erfahrungen benannt, weil schnell die Worte fehlen, um selbige näher zu beschreiben. Diese Schwierigkeit im Benennen halte ich für einen der Hauptgründe für das bisherige Fehlen einer feministischen Klangkritik. Solche teilweise sehr intensiven Erfahrungen sind aber sehr spezifisch und können als solche analysiert werden. Ich komme dabei zu dem Schluss, dass die möglichen emotionalen Erfahrungen mit Stimmen in der Popmusik in der Breite geschlechtsspezifisch verteilt sind, dass wir also im Klang populärer Musik eingeladen werden, bestimmte Erfahrungen eher mit männlichen und andere eher mit weiblichen Stimmen zu machen. Das, was uns an einer Stimme berührt, ist damit traurigerweise oft mit der Reproduktion und Naturalisierung sexistischer Geschlechterbilder eng verbunden.

Ihr Fokus liegt ja auf der Stimme. Nehmen wir mal an, es gäbe keine optische Inszenierung, also nur die Möglichkeit, die Lieder zu hören, aber nicht die Texte zu verstehen – ist dann Sexismus für Sie noch herauszulesen? Oder anders gefragt: war für Sie entscheidender, was die Stimme singt oder wie sie etwas singt?

Es geht, denke ich, weniger darum zu fragen, ob das „was“ oder das „wie“ entscheidender ist, sondern darum einen Ansatz zu finden, um das „wie“ zu thematisieren. Die Kritik von sexistischen Texten ist natürlich trotzdem wichtig. Aber es ist auch nötig zu verstehen, wie Sexismus klanglich, z.B. in der Stimmgebung oder Bearbeitung entsteht.

Bei manchen Stimmgebungen entsteht beispielsweise recht verbreitet der Eindruck, dass sie „sexualisiert“ klingen, z. B. in Britney Spears‘ Song „Baby One More Time“; dabei geht es im Text eigentlich eher um Leibeskummer.

Ein beliebter Erklärungsansatz verweist auf den stöhnartigen Klang von Britney Spears‘ Knarrstimme und setzt diesen dann sofort mit Sexualität gleich. Solche Erklärungsmuster laufen aber Gefahr, einen biologischen Automatismus nahezulegen, in der weibliche Knarrstimmen unweigerlich den Gedanken an Sex auslösen oder Sexualität ausdrücken. Das ist natürlich sehr problematisch, da es dazu tendiert, patriarchale Vorstellungen von Heterosexualität (= Männer sind aktiv und begehren Frauen) zu naturalisieren.

Dennoch findet hier ganz klar Sexualisierung statt: Diese geschieht jedoch viel eher dadurch, dass uns die Knarrstimme als interessante akustische Eigenschaft präsentiert wird und sie im Klang, z.B. in der Intro mit ihrem wiederholten und bearbeiteten „Oh baby baby“ regelrecht fragmentarisch ausgestellt und gleichzeitig auf Distanz (wie hinter einem Schleier) gehalten wird. Die Knarrstimme wird insgesamt übertrieben und erscheint nicht mehr als Ausdruck eines emotionalen Gehalts (Knarrstimmen sind eigentlich eher Zeichen für Langeweile, Müdigkeit oder Entspannung und bei männlichen Stimmen wird dadurch oft eine lässige coole Haltung ausgedrückt), sondern als eine Art akustischer Aufmerksamkeitsköder.

Damit setzen wir uns automatisch in Distanz zu Britney Spears und „betrachten“ hörend ihren spezifischen Stimmklang, wodurch sie, bzw. ihre Stimme tendenziell objektiviert wird. Dazu kommt, dass sie im Klang wiederholt mit Schmolllippen singt (hörbar z.B. bei „supposed to know“) und damit ein offenkundig vorgespieltes Bild von Kindlichkeit und Unschuld präsentiert. Auch das läuft einer möglichen Identifikation zuwider, sondern wirkt wie eine aufgesetzte Maske, die eher Begehren nach Enthüllung weckt.

Eine herkömmliche Musikanalyse (Harmonie, Melodie, Form) erschien Ihnen eher ungeeignet, Sie haben daher neue Werkzeuge zur Untersuchung populärer Musik entwickelt. Wie dürfen wir uns das vorstellen?

Ich denke, hier ist es zuerst wichtig zu klären, was Musik ist. In der allgemeinen Vorstellung ist Musik dabei gerne eine Art Gegenstand, etwas Objektives, das in der Welt existiert und über das bestimmte Aussagen getroffen werden können.

Was tatsächlich physikalisch existiert ist jedoch nur Schall. Dieser wird erst in dem Moment zu Musik, wenn jemand ihn als solche hört. Dies lässt sich vielleicht damit vergleichen, dass eine Zeichnung nur aus Linien besteht, in denen wir aber ein Haus erkennen. Das Erkennen ist dabei etwas, das in der Interaktion von Subjekt und Gegenstand passiert. Genauso entsteht Musik nur im Moment des Hörens. Sie passiert gewissermaßen zwischen Subjekt und Schall und basiert darauf, dass wir beim Hören den Schall in einer bestimmten Weise interpretieren, durch die überhaupt erst die ganzen faszinierenden Wirkungen entstehen können, die Musik ausmachen.

Diese Erkenntnis ist eigentlich nicht neu, denn beispielweise viele Phänomene der traditionellen Musiktheorie basieren hierauf. Hier gibt es z.B. die Vorstellung, dass ein „Leitton zum Grundton strebt“ (in C-Dur ein h nach oben zum c), was natürlich nicht der Klang selbst tut, sondern eigentlich eine Beschreibung einer verinnerlichten musikalischen Erwartungshaltung ist, die auch nicht von allen Menschen auf diesem Globus geteilt wird. Das Phänomen Leitton entsteht somit zwischen Hörer*in und Klang und ist streng genommen nicht objektiv gegeben.

Solche Dynamiken, in denen durch den Klang unwillkürlich Wirkungen in den Hörer*innen ausgelöst werden (z.B. bestimmte Erwartungshaltungen, Anspannung, Interesse, emotionales Mitfühlen), existieren m.E. auch auf anderen Ebenen, die bisher nicht näher untersucht wurden. Das Beispiel mit Britney Spears macht deutlich, dass bestimmte stimmliche (Knarrstimme, vorgestülpte Lippen) und technische Mittel (technisch bearbeitete Ausstellung in der Intro) eingesetzt werden, die im Hören dazu motivieren sich objektivierende und begehrende Vorstellungen von der Sängerin zu machen. Ähnlich, wie beim Leitton wird damit jedoch recht direkt ein (erlerntes) Begehren im Hörprozess ausgelöst, was aber genau der emotionale Kommunikationsprozess ist, den der Song m. E. erzeugen möchte.

Nun ist die Frage, wie wir an solche Momente musikanalytisch herankommen. Meine Antwort ist eigentlich ganz einfach: Möglichst genau Hinhören und dabei die beiden Ebenen – Schall und subjektiver Prozess – gleichzeitig im Auge behalten. Für Sexismus sind dabei nach meiner bisherigen Arbeit vor allem drei Aspekte wichtig: 1. die Vorstellungen, die der Klang vom hörbaren Körper, d.h. in der Regel den der*s Sänger*in, vermittelt, 2. die Positionen, die beim Hören zu diesem hörbaren Körper eingenommen werden (können), und 3. die emotionalen Prozesse (z.B. Begehren, Geborgenheit oder Identifikation), die durch die Musik ermöglicht werden.

All das versuche ich möglichst genau zu beschreiben, damit jede*r es nachhören kann.

Können Sie uns ein Beispiel geben?

Gerne. Nehmen wir den Song „Shape of you“ von Ed Sheeran (aber das Folgende funktioniert mit fast jedem Mainstreamhit eines weißen Cis-Sängers). Die Stimme drückt über weite Teile die emotionale Position des Sängers aus: Begehren und Genuss des eigenen begehrenden Zustandes. Dabei wird der Sänger in seiner körperlichen Anspannung hörbar, z.B. in den auffällig vehement agitierten und schon fast aggressiv gerufen klingenden Worten „trust“ und „stop“ in der ersten Strophe, die vielleicht seine Aufregung und Begeisterung ausdrücken. Stark körperlich affizierend wirkt zudem das Summen „mmm“, das entspannt und bestätigend wirkt. Es klingt (v.a. unter Kopfhörern) sehr wie ein Summen im eigenen Kopf/Körper, so dass wir uns leicht in Sheerans Position hineinversetzen können. Zudem wird die Stimme im Chorus zwar von anderen Stimmen überlagert, aber diese Dopplungen sind extrem gleichzeitig, und wirken so wie eine Verstärkung, Bestätigung und Unterstützung des Sängers oder genauer: Der Sänger wirkt wie die Personifikation eines Kollektiv.

All das lädt beim Hören dazu ein, sich unwillkürlich mit dem Sänger zu identifizieren und sich emotional auf ihn einzustellen. Wir befinden uns damit beim Hören schnell in einer Art emotionalem Alignment mit dem Sänger und werden Teil seines Kollektivausdrucks: Wir singen mit, bewegen uns im Takt und freuen uns gewissermaßen mit ihm. Darüber überhören wir schnell den offenkundigen Sexismus von Sätzen, wie „I’m in love with your body“.

Und selbst wenn der sprachliche Sexismus nicht vorhanden wäre, erzeugt diese Art und Weise der Artikulation den Sänger als emotional relevantes Subjekt – was vor allem deshalb problematisch ist, weil diese Position insbesondere von Sängerinnen im Pop-Mainstream nur sehr selten eingenommen wird. Zudem werden hier die ausgedrückten Gefühle, die (wie sehr oft in Popmusik von weißen Sängern) vor allem im Ausdruck von sexuellen Wünschen und Begehren bestehen, durch die emotionale Vehemenz fast wie Bedürfnisse präsentiert und als solche naturalisiert.

Außerdem wird klanglich auch durch den Kollektivklang vermittelt, dass das eigentlich grenzverletzende Verhalten, das im Song performt wird, legitim ist und durch die Identifikation sogar eine Art emotionale Beteiligung erzeugt, die Mitgefühl und Verständnis für das arme bedürftige singende Subjekt produziert.

Das Popbusiness war ja zugleich auch immer ein Ort, an dem alternative Selbstentwürfe entwickelt werden konnten, z.B. gibt es erfolgreiche, androgyne Erscheinungen und Inszenierungen im Popbusiness, von Annie Lennox, Sinead O’Connor, Grace Jones, Prince, Boy George, David Bowie, HIM bis Conchita Wurst, die 2014 mit ihrer Ballade „Rise Like A Phoenix“ den Eurovision Song Contest gewann. Lässt sich das auch auf klanglicher Ebene beobachten?

Das ist bisher nicht der Schwerpunkt meiner Arbeit, aber natürlich passieren da auch spannende Dinge im Klang. Dabei lässt sich das Subversive m.E. am besten im Bezug zur Norm verstehen. Beispielsweise müssen wir eine Idee davon haben, wie normative Bilder von Geschlecht klanglich produziert werden, um zu erklären, was Conchita Wursts vokales Cross-Dressing so überzeugend macht, oder wieso Boy George irgendwie queer klingt. Ansonsten wird Androgynität schnell auf einen bestimmten nicht eindeutigen Tonraum reduziert und Geschlecht damit wieder nur biologisch verstanden.

Wir wollen den Leser*innen natürlich nicht alles verraten, aber vielleicht können Sie schon einige Ihrer Haupt-Erkenntnisse preisgeben?

Ich komme im Großen und Ganzen zu zwei Thesen:

Zum einen denke ich, dass in Popmusik insgesamt tendenziell etwas passiert, dass dem männlichen Blick im Film vergleichbar ist. Das heißt, dass wir oft dazu motiviert werden, die subjektive Position von Männern zu teilen und uns zu identifizieren. Frauen werden hingegen auch im Klang oft zu Anderen gemacht. Hörend identifizieren wir uns mit ihnen weniger, sondern werden durch die klanglichen Anordnungen im imaginären Raum und durch Gesangstechniken eher in einer getrennten Position angesprochen. Dadurch können Frauen klanglich leicht objektiviert, sexualisiert, ausgestellt und fragmentiert werden oder zur emotionalen Unterstützung und klangliche Umarmung dienen. Diese Position führt aber auch zur Entwicklung von klanglichen Mitteln, die auch kreativ eingesetzt werden können, um die bestehenden Verhältnisse zu kritisieren.

Bei meiner Analyse kam jedoch ein zweiter Aspekt, der damit zusammenhängt, aber eigentlich darüber hinaus geht mehr und mehr zum Vorschein: Hierbei geht es um die Frage, was für eine Beziehung zum eigenen Körper durch die Stimmklänge vermittelt wird. In den beiden hier kurz angerissenen Beispielen wird dabei schon klar, dass Birtney Spears ihre Stimme und damit ihren Körper extrem kontrollieren muss: Ihre Stimme wird zum Objekt, nicht zum Ausdruck ihrer Gefühle. Im Gegensatz dazu drückt Sheeran in seiner Stimme seinen emotionalen Zustand scheinbar direkt aus. Sein Körper erscheint wie die natürliche Erweiterung seines Gefühlslebens. Damit wird aber der Körper der Sängerin sogar im Verhältnis zu ihr selbst objektiviert, während der Gefühlsausdruck des Sängers selbigen auch noch zum Träger eines im Diskurs privilegierten ehrlichen oder authentischen Ausdrucks macht.

Beides wird klanglich konstruiert und ist nicht einfach gegeben (denn auch der scheinbar authentische Ausdruck ist erlernt und entsteht durch Selbstdisziplinierung). Dabei ist, denke ich, die These naheliegend, dass diese in der Popmusik sehr verbreitet auftretenden Muster auch Auswirkungen auf den Alltag haben könnten. Es macht mir Sorgen, welche Auswirkungen die verbreitete Vermittlung solcher Bilder z.B. für die wahrgenommene Glaubwürdigkeit, Autorität und spontane Handlungsfähigkeit von Männern und Frauen hat.

Sie haben in ihrem Buch einige „bekannte Popsongs“ untersucht, welche waren das z.B. und aus welcher Zeit stammen sie? Ordnen Sie diese auch zeitgeschichtlich ein?

Ich habe mich nur mit sechs Songs näher befasst. Es ging mir um eine paradigmatische Auswahl, wobei ich mich zudem auf weiße Sänger*innen beschränkt habe. Dabei arbeite ich in den beiden Beispielen von Männern („Smells like teen spirit“ von Nirvana und „Feel“ von Robbie Williams) die Gemeinsamkeiten in diesen sehr unterschiedlichen Songs heraus: Beide Sänger werden bei allen Unterschieden zu emotionalen Subjekten.

In den vier Songs von Sängerinnen („Can’t get You Out of my Head“ von Kylie Minogue, „Feel it“ von Kate Bush, „All is full of love“ von Björk und „People Help the People“ von Birdy) zeige ich einerseits, dass trotz der Unterschiedlichkeit keine der Sängerinnen in derselben Weise zur emotionalen Identifikation einlädt, wie die beiden Sänger und arbeite dann die hier jeweils angewendeten anderen ästhetischen Strategien und ihre emotionalen Wirkungsweisen heraus. Dabei geht es mir auch darum Frauen nicht als passive Opfer zu verstehen, sondern sexistische Strukturen als Rahmenbedingungen der ästhetischen Praxis in der Popmusik zu verstehen, mit denen Sängerinnen* unterschiedliche Umgangsweisen finden (müssen).

Da ich die einzelnen Beispiele sehr genau untersuche, sprengt eine historische Einordnung leider ebenso den Rahmen, wie die angemessene Berücksichtigung weiterer diskriminierender Dynamiken, insbesondere Rassismus. Beides sind für mich offene Baustellen, an denen ich wahrscheinlich in irgendeiner Form in der Zukunft weiterarbeiten werde.

Was meinen Sie: Ist unsere Gesellschaft offener geworden, in der sich eine individuelle Künstler*innen-Persönlichkeit jenseits geschlechterbezogener Erwartungen eher entfalten kann oder unterliegen Musiker*innen heute mehr denn je ökonomischen Erfolgszwängen, die sie in bestimmte Stereotypen zwingen?

Es ist schwer die eigene Gegenwart zu analysieren. Mir geht es bisher um das Herausarbeiten sehr großer Kontinuitäten, in denen mit immer neuen musikalisch-technischen Mitteln eigentlich alte Geschlechterstereotype aktualisiert werden. Dazu gab und gibt es immer Alternativen und ich nehme hier auch aktuell recht viel Bewegung wahr, die mich tatsächlich ein wenig hoffnungsvoll stimmt.

Die entscheidende Frage ist aber m.E., ob die hegemoniale Position des männlichen Blicks und die damit in Beziehung stehenden Dynamiken von männlichem Subjekt und weiblichem Objekt in unserer kulturellen Vorstellungswelt nachhaltig gebrochen werden können. Solange das nicht gelingt, steht jeder kreative Ausdruck vor diesem sexistischen Hintergrund, der jede Vorstellung einer freien künstlerischen Artikulation zu einer Farce macht. Weibliche und queere Künstler*innen haben damit grundsätzlich nicht nur mit den schon bekannten Benachteiligungen in der Musikindustrie zu kämpfen, sondern auch mit ästhetischen, da z.B. die Vorstellungen einer „ausdrucksstarken Stimme“ nicht geschlechtsneutral sind.

Popmusik zeigt mir daher in der Breite eigentlich vor allem, wie weit, wir von irgendeiner Gleichheit oder Gerechtigkeit weg sind und wieviel es noch zu verändern gilt. Sicherlich gibt es Songs und Sänger*innen, die Alternativen dazu entwickeln. Jedoch wird, denke ich, vor allem ein Hinterfragen und Dekonstruieren der zentrierten männlich-weißen Position in der Breite notwendig sein.

Hier gibt es das Inhaltsverzeichnis als pdf.

Marta Press, April 2018
204 Seiten
ISBN: 978-3-944442-55-6 
24,00 € (D), 26,00 € (AT), 28,00 CHF UVP (CH)

Nachtrag: L.J.Müller hat für ihr* Buch den IASPM Book Prize 2019 als beste nicht-englische Erstveröffentlichung zu populärer Musik erhalten.

Infos

Empowerment Day 2016 (Foto: zvg)

Der Gleichstellungstag der Schweizer Musikbranche hat bereits zweimal stattgefunden und wird bis 2020 in diversen Formen weitergeführt: An verschiedenen Veranstaltungen setzen sich professionelle Berufsschaffende aus dem Schweizer Musikbusiness – auch Vertretungen aus Veranstaltungstechnik, Wirtschaft, Kulturpolitik und Bildung – mit der Präsenz, dem Status und dem Anteil der Frauen und Männer in der Schweizer Jazz- und Pop-Musikszene auseinander. Diverse Formate wie Workshops, Podien und Referate, dienen zur Bearbeitung der verschiedenen Themenfelder und zur Entwicklung von konkreten umsetzbaren Lösungen für den Veränderungsprozess.

Der Empowerment Day 2018 setzt in diesem Jahr auf sogenannte Satellitenveranstaltungen: An bestehenden Festivals werden mit verschiedenen Kooperationspartnerschaften Workshops, Panels, Referate und Konzerte angeboten. Am 27. Oktober 2018 findet dann, in gekürzter Form, der eigentliche Empowerment Day in Bern statt. Los geht es mit:

+++ EMPOWERMENT DAY GOES M4MUSIC +++
Gender who cares?!
c/o m4music Zürich in Kooperation mit Les Belles De Nuit
24. März 2018 / 13:15 – 14:30 Uhr / Matchbox / Eintritt frei
Panel mit Katja Lucker, Geschäftsführerin Musicboard Berlin GmbH, Regula Frei, Geschäftsleitung Helvetiarockt, Hedy Graber, Direktorin Kultur und Soziales Migros-Kulturprozent, Philippe Phibe Cornu, Mitinhaber wildpony AG, Sandro Bernasconi, Programmleitung Musik, Kaserne Basel. Moderation: Anne-Sophie Keller, Autorin & Journalistin izzy. Infos

+++ EMPOWERMENT DAY GOES CULLY JAZZ +++
Jazz History – Frauen im Jazz (Vortrag)
c/o Cully Jazz Festival, Cully VD (CH) / 16. April 2018 / 19 Uhr / Le Club
Die Journalistin Élisabeth Stoudmann und der Historiker Christian Steulet beleuchten in dieser Session von Jazz History die Frauen im Jazz. Von den unabhängigen Pionierinnen der 1920er Jahre bis hin zu den talentierten Instrumentalistinnen der heutigen Zeit. Aber auch Frauen-Bigbands und ihre Rollen im Free Jazz werden thematisiert und mit Musik und Bildern ergänzt. Infos

Panel: Frauen in der Musikbranche
17. April 2018 / 14 Uhr / Le Club
Ein Austausch über aktuelle Debatten und zukünftige Perspektiven zum Stand der Gleichstellung in der Schweizer Musikbranche. Mit: Marie Krüttli, Pianistin, Komponistin & Bandleaderin, Laurence Desarzens, Direktorin HEMU, Musik Fachhochschule Lausanne, Standort Flon, Jazz & Pop, Arnaud Di Clemente, Künstlerische Leitung bee-flat im PROGR & Programmteam Cully Jazz Festival, Antoine Bos, Generalsekretär Netzwerk AJC (Association Jazz Croisé), Frankreich.

Zara McFarlane (UK) Konzert für Kinder
18. April 2018 / 14 Uhr / Next Step
Der aufstrebende Star des britischen Jazz, Zara McFarlane und ihre weiche Stimme, transportiert uns zu ihrem jamaikanischen Erbe mit einer Mischung aus meditativem Jazz und sinnlichem Neo-Soul. Für dieses spezielle Konzert, das den Kleinen gewidmet ist, wird diese sensible und gelassene Interpretin ihr Repertoire anpassen, um die Kinder zu bezaubern und ihnen ihr Wissen zu vermitteln. Zara McFarlane wird am Mittwochabend im Next Step mit ihrer kompletten Gruppe auftreten. Kinder von 6 bis 12 Jahren in Begleitung eines Erwachsenen. Jeder Eintritt ist kostenpflichtig.

+++ EMPOWERMENT DAY GOES B-SIDES FESTIVAL +++
Sharing is caring
c/o B-Sides Festival, Luzern / 14. Juni 2018 in Kooperation mit SAYHI!
Nur für geladene Gäste

+++ EMPOWERMENT DAY GOES OPEN AIR BASEL +++
Präsentation der Studie „Frauenanteil in Basler Bands“
c/o Open Air, Basel / 9. August 2018 / 18 Uhr in Kooperation mit RFV Basel
Präsentation einer Erhebung zur Geschlechtergerechtigkeit und Sichtbarkeit von Frauen in der Basler Popszene von Seline Kunz, Fachleiterin RFV Basel, Musikerin. Anmeldung zur Präsentation hier. Infos

+++ EMPOWERMENT DAY 2018 +++
Netzwerk- und Austauschtreffen
PROGR in Bern / 27. Oktober 2018 / 16 Uhr

A world that is good for women is good for everyone.“ *

  1. Teilnehmerinnen des ersten internationalen Frauentages am 19. März 1911 in Berlin (Quelle: Ullstein)

    Um die bisherigen Errungenschaften, Freundschaften und Netzwerke zu feiern, die der Kampf um Frauenrechte seit vielen Jahren gebracht hat und bringt.

  2. 100 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts ist das deutsche Parlament so männlich wie seit zwanzig Jahren nicht mehr, nur ein Drittel der Abgeordneten sind Frauen.
  3. Rechtspopulisten mit einem widerwärtigen Welt- und rückständigen Frauenbild mit kruden Familienvorstellungen von vorvorgestern wollen Frauen wieder in enge Schranken weisen.
  4. Frauendominierte Berufe werden immer noch schlechter bezahlt.
  5. Frauen haben immer noch geringere Karrierechancen (s. Punkt 8).
  6. Frauen bekommen meist eine kleinere Rente als Männer. Das alles betrifft auch uns als freischaffende Musikerinnen und Musikpädagoginnen ohne Festanstellung!
  7. Der World Economic Forum’s Global Gender Gap Report hat 2017 prophezeit, dass es noch über 200 Jahre dauern wird, bis eine Gleichstellung der Geschlechter in der Arbeitswelt erreicht ist, wenn keine neuen Maßnahmen ergriffen werden. Packen wir’s also an: unterstützt z.B. die Union Deutscher Jazzmusiker, die sich für faire Bezahlung einsetzen.
  8. Sexismus bestimmt in vielen Teilen die Arbeitswelt und natürlich darüber hinaus immer noch unseren gesellschaftlichen Umgang, wie die #metoo-Debatte eindrücklich gezeigt hat. Auch im Kulturbereich gibt es ihn! Mangelnde Akzeptanz bis hin zur Ignoranz, Stereotypen und Vorurteile beeinträchtigen nach wie vor die musikalischen Karrieren von Frauen.
  9. Die Lebenssituation von Frauen hat sich in vielen Ländern außerhalb Europas nicht verbessert oder sogar verschärft: weltweit kämpfen Frauen und Mädchen nach wie vor um Freiheit und das Recht, zur Schule gehen und arbeiten zu dürfen. Diskriminierung, Unterdrückung, Gewalt, Krieg und Vertreibung bestimmen in vielen Ländern den Alltag von Millionen von Frauen und ihren Familien. Schon allein deswegen lohnt es, auf die Straße zu gehen und sich zu solidarisieren!
  10. Unzählige tolle Veranstaltungen rund um den Internationalen Frauentag laden zum gemeinsamen Kämpfen, Erobern, Protestieren, Reden, Diskutieren, Musikmachen, Tanzen, Freundschaften & Netzwerke schließen ein.

In diesem Jahr trägt der Tag übrigens das Motto „PressForProgress“, was so viel heißt wie „Auf Fortschritt drängen“. Auch der Leitsatz, den die Vereinten Nationen für den International Women’s Day 2018 gesetzt haben, dringt auf Action und Veränderung: “Time is Now: Rural and urban activists transforming women’s lives”.

Wenn Euch das jetzt noch nicht überzeugt hat, dann schaut mal in unseren Veranstaltungskalender rein, den wir wie jedes Jahr für Euch rund um den 8. März zusammengestellt haben. Eure Veranstaltung ist noch nicht dabei? Wir freuen uns, wenn Ihr uns eine Nachricht schreibt.

 

VERANSTALTUNGSKALENDER

FRANKFURT

03.03.2018 DGB-FEST
DGB-Gewerkschaftshaus Frankfurt am Main, 14-21 Uhr
Der DGB lädt ein zu interessanten Workshops (Frauen und Flucht | Care Revolution | Frauenpower International | 100 Jahre Frauenwahlrecht), Infobörse und Vernetzung der Frauenverbände und Aktivist*innen mit Kaffee und Kuchen (Kuchenspenden willkommen, mit Kinderbetreuung), gemeinsamem Dinner mit politischem Austausch, Input zur Situation von inhaftierten Journalist*innen in der Türkei mit Ilkay Yücel, und einem Konzert ab 19 Uhr Frauenpower & Folk mit Tine Lott sowie einer feministischen Bierprobe „Von Ladies für Ladies“. Die Teilnahme am inhaltlichen und Musikprogramm ist kostenlos. Essen und Getränke sowie die Bierprobe müssen selbst bezahlt werden. Infos

Diva Diva

03.03.2018 VORTRAG, SOLI-KONZERT & BARABEND
Klapperfeld, 19:30 Uhr

Das 8. März Bündnis für queer-/feministische Kampftage (Ffm) lädt zum Vortrag in Englisch: “What about the feminist movement in Athens?” mit anschließendem Soli-Konzert mit Diva Diva (Dark Synthie Pop aus Hamburg), danach feministischer Soli-Barabend mit fem Rap&Drinks.

05.03.2018 POETRY SLAM & OPEN MIC
Buchhandlung Land in Sicht, 20:30 Uhr
Das 8. März Bündnis für queer-/feministische Kampftage (Ffm) lädt zum Poetry Slam und Open Mic mit Fathiya Galaid, Fee, Felicitas Friedrich, Yara Salha und Sanna Hübsch. Der lyrische Abend soll unter der Überschrift „voice“ stehen. Die haben wir somit wörtlich genommen und wollen feministischen Stimmen ein Raum geben und starke Frauen zu Wort kommen lassen. Poetry Slammer*innen werden ihre frauenpolitischen, feministischen und antirassistischen Texte vortragen. Danach Open Mic.

08.03.2018 MITMACHBUFFET
Römerberg, 14 – 16 Uhr
Frauenverbände und Einrichtungen in Frankfurt laden herzlich zum Mitmachbuffet auf dem Römerberg ein! Bei Snacks und Getränken möchten diese gemeinsam mit Euch und Passant*innen über 100 Jahre Frauenwahlrecht und aktuelle Positionen der Frauen*politik diskutieren sowie eigene Forderungen artikulieren und festhalten. Interessierte Verbände und Einrichtungen der Mädchen*- und Frauen*arbeit können sich bezüglich der Teilnahme und Präsentation im Rahmen des Mitmachbuffets bei Ulrike Gros melden, Tel.: 069-920 708 12.

08.03.2018 DEMO
Treffpunkt Unicampus Bockenheim (Ex-Theodor-Adorno-Platz), 16 Uhr
Das 8. März Bündnis für queer-/feministische Kampftage (Ffm) lädt ein zur Demo “MY BODY MY CHOICE – OUR* RIOTS OUR* VOICE”, die Demo endet an der Hauptwache. Unterwegs erwarten Euch beats, voices und riots! Let‘s make some beautiful trouble. Infos

08.03.2018 WOMEN’S MARCH TALK & PARTY
DGB-Haus, 19 Uhr
Gespräch “Hear our voice!”mit Cassady Fendlay (Women’s March, New York) und Nadja Erb (Frankfurter Rundschau), anschließend Frauen*Disco im DGB-Jugendclub U68. Alle Veranstaltungen finden statt im Gewerkschaftshaus (DGB-Haus) Frankfurt am Main, Wilhelm-Leuschner-Str. 69-77. Ein Zugang mit Rollstuhl ist möglich.

08.03.2018 FRANSENBAR
Exzesshalle, 20 Uhr
Ein 8. März ohne Fransenbar? Das geht natürlich nicht. Ab 20 Uhr öffnet die Exzesshalle für alle Aktivist*innen und Unterstützer*innen der Demo, unterstützt von den Ranzfurter Schwestern. Die Bar ist open for all gender. An den Plattentellern DonDiva718 aka Nikki on Fleek und Febi.

The Floreas

08.03.2018 THE FLOREAS
Fabrik, 20 Uhr
Das Quartett, bestehend aus den vier Profi-Musikerinnnen Kathi Monta (voc, sax), Claudia Zinserling (piano), Nina Hacker (bass)  und Thea Florea (dr) bietet anlässlich des Weltfrauentages ein buntes Potpourri mit dem Besten aus Jazz, Swing, Pop und Rock sowie Eigenkompositionen. Infos

 

Dulabi

08.03.2018 DULABI mit „Reisefieber“
Gallustheater, 20 Uhr
Heike Michaelis (Piano, Gesang, Vibraphon, Percussion) und Regina Fischer (Saxophon, Gitarre,Gesang, Piano) gehen unter ihrem neuen Namen ‚dulabi‘ zum Internationalen Frauentag mit Energie und Tempo auf Reisen. Infos

08.03.2018 JULIA KADEL TRIO
Frankfurt Art Bar, 20 Uhr
Unser nächstes MELODIVA Club Concert in Zusammenarbeit mit der Jazzinitiative und der Frankfurt Art Bar findet am Internationalen Frauentag statt: es präsentiert das Trio von Julia Kadel (p), Karl-Erik Enkelmann (b), Steffen Roth (dr), die ihr aktuelles Album „Über und Unter“ auf die Bühne bringen. Infos

WIESBADEN

08.03.2018 AUSSTELLUNG & KONZERT
IG Metall Geschäftsstelle Wiesbaden-Limburg, 17 Uhr
Die IG Metall lädt zur Ausstellung „100 Jahre Frauenwahlrecht“ mit Musik von der Singer-/Songwriterin Vanessa Novak. Um Anmeldung wird gebeten unter: ed.ll1734799843atemg1734799843i@gru1734799843bmil-1734799843nedab1734799843seiw1734799843. Infos

MÜNCHEN

08.03.2018 PODIUMSDISKUSSION, POETRY SLAM & MUSIK
Gasteig, 17 Uhr
Eine Veranstaltung des DGB u.a. zum Thema „Macht_Frau_Politik – Wo stehen wir nach 100 Jahren Frauenwahlrecht?“ mit Podiumsdiskussion  und Musik des Duos blind & lame. Eintritt frei, Anmeldung erforderlich und hier möglich.

MARBURG

07.03.2018 VORABENDDEMO
Hauptbahnhof Marburg, 18 Uhr
Das autonome Frauenlesbenreferat Marburg lädt ein zur Demo „Our bodies, our streets, our nights“: Wir kämpfen für einen solidarischen und radikalen Feminismus, der selbstbestimmte Autonomie über unsere Körper, unsere Leben und Lieben fordert.

DARMSTADT

Dada und die Frauen

Achtung, entfällt wegen Krankheit
(nächster Spieltermin: 08.04. in Frankfurt, Internationales Theater)
08.03.2018 DADA UND DIE FRAUEN
Theater Mollerhaus, 20 Uhr
Zum Internationalen Frauentag – ein literarisch-musikalisch-dadaistischer Abend über ungewöhnliche Frauen und Künstlerinnen: „Überschläge am Abgrund… Dada und die Frauen – eine Szenische Collage zwischen Utopie und Realität, mit Sprache, Gesang, Musik und dadaistischem Schauspiel“. Lesung und Spiel: Nadja Soukup, Anka Hirsch (Cello, Komposition) und Beate Jatzkowski (Akkordeon). Infos

 

LIEDERBACH

10.03.2018 FRAUEN-TANZPARTY MIT KICK LA LUNA
Kulturscheune, Liederbach, 19 Uhr
Infos

BERLIN

02.03.2018 GEW BERLIN
GEW-Haus, 18 Uhr
Mit Musik von 3 WOMEN (Afro, Soul, Acapella), Gesprächsrunden mit frauenpolitischen und feministischen Aktivistinnen, Begegnung und Vernetzung und einem Buffet mit Fingerfood und Getränken. Infos

08.03.2018 DEMO
Hermannplatz, 17 Uhr
Kundgebung und Demo in Berlin für die Rechte und Selbstbestimmung von Frauen*!

 

 

08.03.2018 COMPOSERS‘ ORCHESTRA BERLIN
Kunstfabrik Schlot, 20 Uhr
Am Abend des Internationalen Frauentags präsentiert das Composers’ Orchestra Berlin ein ganz besonderes Programm: aktuelle Kompositionen ihrer Bandmitglieder Hazel Leach, Fee Stracke, Susanne Paul, Ruth Schepers und Anne Dau zwischen Klassik, Jazz, Weltmusik, Pop und Neuer Musik. Um Fragen wie „Gibt es weibliche Musik?“, „Soll frau dafür mit Stücken von Männern werben?“ und andere zu beantworten, machen sich die oben genannten Komponistinnen am 8. März auf, dem gespannten Publikum in der Kunstfabrik Schlot ihre Musik zu präsentieren! Eintritt frei – Spenden erwünscht. Infos

 

Two Hearts in Ten Bands

OSNABRÜCK

08.03.2018 DEMO „Frauen auf die Barrikaden“
Rathausplatz, 17 Uhr
Kundgebung 18 Uhr, Nikolaiort, mit Livemusik von Two Hearts In Ten Bands.

DÜSSELDORF

10.03.2018 DEMO
DGB-Haus, Friedrich-Ebert-Str. 34-38, 14 Uhr
Das Bündnis Internationaler FrauenKampftag NRW lädt ein zur Demo nach Düsseldorf: Wir wollen feministische und antirassistische Inhalte laut und deutlich, bunt und vielfältig, solidarisch und kämpferisch auf die Straßen tragen.

15.3.2018 Caroline Thon & Friends feat  Tamara Lukasheva (voc),Veronika Todorova (acc), Ulla Oster (bass)
Bürgerhaus Reisholz, Kappeler Str. 231, 40599 Düsseldorf

BIELEFELD

08.-11.03.2018 FRAUENFILMTAGE
versch. Kinos in Bielefeld
Rund um den Internationalen Frauentag, vom 8. – 11. März 2018 zeigen die FrauenFilmTage Bielefeld – veranstaltet von Terre des Femmes – neun Dokumentar- und Spielfilme von, mit und über Frauen, u.a. einer Rapperin aus dem Senegal („LITTLE STONES“) u.v.a. Infos

HAMBURG

07.03.2018 FILMVORFÜHRUNG „SONITA“ & PODIUMSDISKUSSION
Kommunales Kino Metropolis, 19 Uhr
Sonita stammt aus Afghanistan und lebt ohne ihre Familie in Teheran. Ihr sehnlichster Wunsch: eine berühmte Rapperin zu sein. Doch ihre Familie hat ganz andere Pläne: Sie plant, Sonita an einen fremden Ehemann nach Afghanistan zu verkaufen. Um sich Zeit zu verschaffen für die Verwirklichung ihres Traumes, gelingt es Sonita, vorerst die drohende Rückkehr nach Afghanistan zu verhindern. Diese Zeit nutzt sie, um in Teheran ein Musikvideo aufzunehmen und dieses auf YouTube zu stellen. Der Clip ist ein furioser Aufruf gegen die Zwangsheirat und bekommt eine weltweite Aufmerksamkeit, die das Leben von Sonita entscheidend verändern wird. Podiumsgespräch: Heidemarie Grobe, TERRE DES FEMMES Städtegruppe Hamburg und Rukiye Cankiran, Kulturwissenschaftlerin, MUT-Projekt – DaMigra e.V. Eintritt frei. Infos

SAARBRÜCKEN

08.03.2018 DIKANDA (Weltmusik)
Kulturzentrum Breite63, 20 Uhr
Infos

Mehr Infos zum Internationalen Frauentag:
https://www.internationalwomensday.com
http://www.unwomen.org/en/news/in-focus/international-womens-day
https://frauen.verdi.de/++file++54d9ccdcba949b1c1300003f/download/IFT-Zeitung-Hannoversches-Frauenbuendnis_2018.pdf

* gesehen bei: Wellesley Centers for Women