Raketerei Podcast #38: Doris Cornils über Mikropolitik
Sobald wir einen Raum betreten und in diesem Raum befinden sich andere Menschen, werden wir umgehend Teil eines mikropolitischen Spielfeldes. In diesem Feld bewegen sich auf unterschiedlichen hierarchischen Positionen Menschen mit verschiedenen Interessen. Sind Interessen ähnlich oder gleich geartet, verbünden sie sich in der Regel, um gemeinsam diese gegenüber anderen durchzusetzen und Macht auszuüben. Denn „die kleinen Spiele der Macht finden auf der Hinterbühne statt,“ sagt Doris Cornils, freiberufliche Soziologin und Genderforscherin aus Hamburg im neusten, sehr interessanten Podcast von Imke Machura auf ihrer Plattform Raketerei.
In ihrer wissenschaftlichen Arbeit und in ihren Workshops, die sie zum Thema Mikropolitik gibt, hat Cornils herausgefunden, dass vor allem Frauen eine ambivalente oder ablehnende Haltung gegenüber Macht haben. Ganz im Gegensatz zum englischen Wort „power“, das als sehr kraftvoll empfunden wird, sei der Begriff „Macht“ bei uns stark negativ besetzt. Das habe einen negativen, weil blockierenden Einfluss auf die Handlungsfähigkeit des Menschen, vor allem bei Frauen, die in ihrer geschlechtsspezifischen Sozialisation häufig zu Fleiß und Perfektion erzogen würden. Ob ich Macht ausübe, hänge nicht nur von der formellen Position ab, sondern ihrem/seinem Zugang zu informellen Informationen, was Cornils so erklärt: eine Sekretärin hat zwar keinen hohen formellen Status, weiß aber viel über Vorgänge hinter den Kulissen, die nicht jede*r weiß und ist deshalb informell viel mächtiger als man annehmen könnte. Bei männlichen Doppelspitzen gäbe es häufig einen „König“, der nach außen als Chef wirkt, und einen Nebenmann, der der eigentlich einflussreiche „Fürst“ ist, der aus dem Hinterhalt regiert. Dieses König-Fürst-Machtspiel gäbe es überwiegend unter Männern, die dann auch die Spielregeln bestimmen. Komme frau z.B. in eine neue Firma, sei es gut, dieses Gefüge vorher zu analysieren, um selbst für sich Handlungsoptionen abzuchecken und z.B. nicht in mikropolitische Spannungsfelder zu geraten. Das nennt sie „mikropolitische Kompetenz“: 1. Kann ich erkennen, was die anderen spielen? Welche Spiele sind für meine Interessen förderlich und hinderlich“? 2. Kenne ich die Spielregeln der Organisation? 3. Inwieweit kann ich mikropolitische Strategien in mein Selbstkonzept aufnehmen? Wie kann ich Taktiken und Strategien in mein Handlungsrepertoire integrieren?
Wichtig sei dabei, eine Bereitschaft zu haben, sich zu verändern und Neues zu lernen, ein neues, positives Verhältnis zu „Macht“, zum „Machen“ zu entwickeln. Auch hier sei mikropolitische Kompetenz nützlich, um z.B. destruktive Machtspiele zu erkennen, um nicht in sie verstrickt zu werden. Denn Macht könne ja positiv, zum Wohle anderer ausgeübt werden. Allerdings sei die Machtpolitik, die derzeit in den meisten Wirtschaftsbereichen vorherrsche, überwiegend destruktiv und verlaufe zugunsten der Männer. Die AllBright-Stiftung habe einen sog. „Thomas-Kreislauf“ identifiziert: „er macht deutlich, dass sich da immer die gleiche Gruppe von Männern reproduziert“. Die weiße, männliche Gruppe der Einflussreichen (Thomas) sucht sich immer ähnliche Männer, „Vertraute“, mit denen sie informelles Networking betreiben kann wie z.B. eine Vorstandsgruppe, die sich auf der Toilette über eine anschließende Wahl abstimmt, woran die einzige Vorstandsfrau natürlich nicht teilnehmen kann. Es sei kein Wunder, dass die wenigen Frauen in den Vorständen irgendwann frustriert aus den Positionen wieder rausgingen, weil sie ausgebootet werden, weil es ihnen zu anstrengend wird.
Sie rät Frauen und auch anderen „Nicht-Thomassen“ daher, sich mit dem eigenen Verhältnis zur Macht auseinanderzusetzen und mit den Spielregeln vertraut zu machen, die in dem Feld vorherrschen, in das frau vordringen möchte. Schon allein das Wissen um diese mikropolitischen Spielregeln würde viel bewirken und Frauen würden danach erstaunliche Karrieren erreichen. Weibliche Role Models, die eine machtvolle und konstruktive Position ausfüllten, seien ebenfalls von großer Bedeutung. Und das A und O sei Networking! Und zwar nicht als Freundschaft, sondern Tauschgeschäft von Informationen und Dienstleistungen.
Buchtipp: „Konkurrenz und Solidarität bei Frauen“ von Doris Cornils