Neue Erkenntnisse vom Gehirn: ProfimusikerInnen hören Begriffe klingen

Ulmer Kognitionswissenschaftler machen sichtbar, wie der Mensch Begriffe verarbeitet. Das Forscherteam zeigte, dass beispielsweise bei Orchestermusikern Wörtern wie „Violine“ nicht nur das für Sprache zuständige Hirnareal aktivierte. „Was wir sehen, hören, fühlen, riechen oder schmecken, hinterlässt dauerhafte Gedächtnisspuren im Gehirn. Das wiederum macht die Bedeutung eines Begriffs aus“, erklärt der Ulmer Kognitionswissenschaftler Markus Kiefer. Er ist überzeugt davon, dass ein abstraktes Denken nicht losgelöst von den „primitiven“ Sinnen existiert. Im Gegenteil: Wer als abstrakter Denker gelte, sei in Wirklichkeit kein guter Theoretiker, sondern ein guter Praktiker, weil er Bilder und Analogien bilden könne. Bei einem Experiment zeigte Kiefer mit seinem Team, dass Begriffe im Gehirn „klingen“ – etwa beim Lesen des Wortes Telefon. Bei den Probanden konnten die Forscher beobachten, dass Geräusch-Begriffe wie Telefon Bereiche im Gehirn aktivieren, die auch beim tatsächlichen Hören eines Klingeltons aktiv sind. Das Gehirn erzeugt also die Bedeutung von Begriffen durch die Wiederherstellung der dazugehörenden Sinneswahrnehmung. „Fehlt diese Verknüpfung, dann bleiben die Begriffe blutleer, sie können abgerufen werden, aber werden nicht verstanden.“ Wie wichtig die Verknüpfung zwischen Worthülse und seinem mit den Sinnen erfassbaren Inhalt ist, zeigt eine noch unveröffentlichte Studie der Universität Ulm. Der Psychologe und Psychotherapeut Klaus Hoenig lud Profimusiker ins Labor, weil sie wie kaum eine andere Gruppe geeignet sind, um die Plastizität des Gehirns zu erforschen, also zu entdecken, wie es sich – beispielsweise durch häufiges Üben mit einem Instrument – umorganisieren kann. Das Ulmer Forscherteam zeigte sowohl Orchestermusikern als auch musikalischen Laien Bilder beziehungsweise Begriffe von Instrumenten und beobachtete dabei mit der MRT die Gehirnaktivität. Das Ergebnis: Bei den Profimusikern aktivierte das Lesen von Wörtern wie „Violine“ nicht nur das für Sprache zuständige Hirnareal, sondern auch das erweitere Hörzentrum – obwohl es de facto keinerlei Geräusche gab. Bei den musikalischen Laien war das jedoch nicht der Fall. Das Hörareal war nicht aktiv. Vereinfacht gesagt tickt also das Hirn der Musiker anders beziehungsweise komplexer als das der Laien. Für Profis „klingt“ der Begriff im Gehirn, weil er eng verwoben ist mit der individuellen Klangerfahrung und dem jahrelangen Musizieren. Andere Studien mit Profimusikern haben gezeigt, dass permanentes Üben mit Tuba oder Trompete nicht nur den musikalischen Meister hervorbringt. Vom Training profitieren auch andere Hirnregionen. So stellte der Neuropsychologe Lutz Jäncke von der Universität Zürich bei einem Experiment mit 60 Konzertmusikern fest, dass die Profis sowohl ein besseres Kurzzeitgedächtnis hatten als auch bei räumlichen Tests besser abschnitten als die Kontrollgruppe.

04.11.2010