Wortart Ensemble trifft Nora Gomringer
“Wie sag ich Wunder“
Bis die Kunstform Poetry Slam aufkam, waren Gedichte out. Mit Gedichten mussten sich zwangsweise interpretationsgeplagte SchülerInnen befassen, freiwillig taten das höchstens pensionierte Deutschlehrer. Gab es junge Menschen, die Gedichte lasen, dann trugen sie Pullunder, spielten Blockflöte und stellten eine suspekte hominide Lebensform dar. Seit den 90er Jahren gibt es Poetry Slam-Veranstaltungen, und jetzt sind Gedichte wieder in. Und zwar nicht mehr bei pensionierten Lehrern, sondern auch bei jungen Menschen.
Die Deutsch-Schweizerin Nora Gomringer ist eine von den großen Shooting Stars der Lyrik-Szene. Sie ist Mitte 30 und hat eine schwindelerregende Karriere hingelegt. Sie hat unglaubliche fünf Gedichtbände veröffentlicht und einen Essay-Band dazu. Ihr Werk wurde mit vielen renommierten Preisen und Stipendien ausgezeichnet und sie tritt in zahlreichen Poesiewettbewerben im In- und Ausland auf. Kurz: Gomringer zählt zu den besten LyrikerInnen des deutschen Sprachraums und hat schon fast alles erreicht, was man auf diesem Gebiet erreichen kann. Eines aber fehlte bislang, nämlich eine musikalische Vertonung ihrer Gedichte. Das änderte sich, als 2011 das Wortart Ensemble anlässlich einer Preisverleihung Gedichte von Gomringer vertonte. Es entstand eine fruchtbare Kooperation, deren Ergebnisse in der CD „Wie sag ich Wunder“ vorliegen.
Das Wortart Ensemble ist ein aus Lena Sundermeyer, Hannah Ginsburg, Anne Munka, Christoph Mangel und Lars Ziegler bestehendes Vokalensemble, das 2008 gegründet wurde und sich auf die Vertonung von Gedichten spezialisiert hat (Sarah Kirsch, Wolf Wondratschek u.a). Diesen Erfahrungsschatz merkt man der CD an. Sie eröffnet mit einem längeren Gedicht (oder ist es ein kurzes Essay?) über eine Schnecke, das Nora Gomringer über geflüsterten und gewisperten Wortfetzen der MusikerInnen selbst liest. Dieses Gedicht ist leider ein nicht ganz so gelungener Anfang, aber die folgenden Gedichte sind richtig gut und auch sehr gut vertont. Die SängerInnen mischen gekonnt Stile aus der Klassik mit Jazz, Pop, Rock und Soul. Die Textverständlichkeit ist fast durchweg sehr hoch. Insgesamt sind die Gedichte sehr einfallsreich in Musik umgesetzt, nach dem zweiten Hören stellen sich bereits Ohrwurm-Effekte ein („Anruf“). Ein wenig verwirrend ist die Gestaltung des Booklets, da die Gedichte nicht in der Reihenfolge abgedruckt sind, wie sie auf der CD erklingen. Aber das ist das berühmte Jammern auf hohem Niveau. Die Vertonungen der Gedichte sind einfach klasse und es ist zu hoffen, dass dieses Projekt nur der Beginn einer wunderbaren Freundschaft ist.
CD, 2014, 11 Tracks, Label: Voland & Quist
Sandra Müller-Berg11.05.2014