Grimes

“Visions“

Grimes ist das Alias der 23-jährigen Kanadierin Claire Boucher, die laut eigenen Angaben ihre Zeit vorwiegend mit Kiffen und Twittern verbringt. Vor allem aber veröffentlicht sie seit 2010 als Teil der Vancouveraner „Lab Synthèse“ (eine Art Warhol’scher Factory, in der sich KünstlerInnen aller Sparten zum Arbeiten treffen) extrem spannende Musik: für ihr Album „Halfaxa“ erfand die Web-Gemeinde den Begriff „Witchhouse“, doch diese Bezeichnung ist viel zu eng für Grimes’ musikalischen Kosmos, den sie mit Fundstücken aus allen nur denkbaren populären Styles füttert. Grimes ist eine begnadete Zitatmaschine, eine produktive Kopistin, die an ihrem Computer aus konträren Versatzstücken etwas originär Neues macht. Ihre Einflüsse reichen von Heavy Metal – siehe auch das Coverdesign von „Visions“ – über R’n’B à la TLC, Avantgarde-Elektro von Aphex Twin oder The Knife und Dubstep bis zum Plastikpop der achtziger und neunziger Jahre. „Visions“ ist angefüllt mit verführerischen Clubtunes, die wegen Grimes’ heller Stimme an La Roux und manchmal sogar an Tiffany („I Think We´re Alone Now“) erinnern, aber eine unterschwellige Düsternis mitbringen, die an der leuchtenden Fassade kratzt. „Musik, wegen der man nachts das Licht anlässt“, beschrieb unlängst ein Rezensent die Wirkung von Grimes’ Tracks. Man kann Bouchers Zitierfreudigkeit unverschämt finden – „Circumambient“ zum Beispiel reitet sehr unverhohlen auf einem funky Prince-Riff; „Visiting Statue“ geht als Neuinterpretation von Madonnas „Live To Tell“ durch – oder als echte Kunst verstehen.

CD, 2012, 13 Tracks, Label: 4ad/Beggars Group

Christina Mohr

12.03.2012