Carmen Souza
“Verdade“
„Wahrheit“ heißt die wiederveröffentlichte CD der 1981 in Lissabon geborenen Sängerin Carmen Souza. Die Wahrheit über sich selbst wollte sie finden; bestimmt nicht einfach, wenn man wie sie zwischen zwei Kulturen aufwächst – ihre Eltern waren von den Kapverden eingewandert, der wüstenähnlichen Inselgruppe im Atlantik, 460 km vor der Westküste Afrikas. „Ich weiß, dass ich in kein Stereotyp oder in eine bestimmte Kultur passe, und ich habe keinerlei Absicht, ein Purist zu werden…“, lässt sie uns im Booklet wissen. „Ich glaube, die Welt ist überall so durchgemischt, dass Du Dich entweder gegen alles um Dich herum verschließen musst, oder Du lässt Dich einfach von all den Einflüssen leiten, bist kreativ und erfindest einen neuen Sound, der am meisten über Dich aussagt.“ Genau! Und das ist ihr meisterlich gelungen. Auf „Verdade“ hören wir mit Erstaunen und wachsendem Entzücken eine ungewöhnliche Musik: jazzt Souza eben noch wie eine Sade für Fortgeschrittene, sind wir gleich darauf mitten drin in einem flotten Afrobeat, wie viele ihn von Paul Simons „Graceland“ kennen. („Afrika“) Sie singt in tiefem, warmem Alt, um im nächsten Moment mühelos in schier kindlichem Sopran zu zwitschern. „Never late to go“ ermuntert sie uns, das Leben in die Hand zu nehmen, und ab geht die Post in sprühender, karibisch anmutender Lebenslust und traumhafter Leichtigkeit, perlende Pianoläufe und übermütige Kontrabass-Lines tun das Übrige dazu. Aber es regiert nicht nur die Lebensfreude – auch eine Art Fado findet sich in der kapverdischen Musik, und diese sehnsüchtig-melancholische Stimmung regiert bei „Without Value“, wo sie die mangelnde Wertschätzung des Lebens beklagt, oder „Questions without Answers“ – Fragen an Gott. Alles in der kapverdischen Landessprache Krioul, zum Glück liegen die Texte in englischer Übersetzung vor. Alles in akustischen, sparsamen, intimen Arrangements. Die Lieder schreibt sie seit Jahren zusammen mit ihrem Bassisten Theo Pas’cal. Fast beginnt man, sie um ihr kulturelles Erbe zu beneiden… Aber wie sagt der englische Dichter T.S. Eliot: Tradition plus individuelles Talent ergeben das Genie. Carmen Souza? Genial.
CD, 2010, 12 Tracks, Label: Galileo MC
Fee Kuhn04.03.2011