Gazelle Twin
“Unflesh“
Elizabeth Bernholz kommt aus dem britischen Badeort Brighton, aber das, was die Elektrokünstlerin unter ihrem Alias Gazelle Twin fabriziert, klingt weder beschaulich-erholsam noch nach Mods-vs.-Rocker-Hymnen á la The Who. Ihr erstes Album „The Entire City“ (2011) und die Vorliebe für aufsehenerregende Kostümierungen brachten ihr Vergleiche mit Fever Ray/Karin Dreijer Andersson ein, die düstere, dystopische Atmosphäre erinnerte manche an John Carpenters Soundtrack zum Film „Die Klapperschlange“. Auf „Unflesh“ wird die Musik nicht gefälliger, die Themen nicht bequemer, schon auf dem Cover zeigt sich das: Unter blauem Hoody zeigt Gazelle Twin kein Gesicht, sondern ein rohes Stück Fleisch mit gefletschten Zähnen – Grusel auf den zweiten Blick, Spiel mit den Erwartungen: so funktioniert auch Gazelle Twins Musik, die sich nur schwer in Kategorien packen lässt. Bernholz arbeitet am liebsten mit antiken Synthesizern wie dem Moog Modular, produziert also durchaus warme, organische Sounds, aber auch wenn ab und zu Beats wummern, sind Tracks wie „Belly Of The Beast“ oder „Human Touch“ nicht zum Tanzen gedacht. Gazelle Twin spielt mit Hall und Echo, mit geschredderten Melodiefetzen und geisterhaften Stimmen: ein kubistisches Klanggefüge, faszinierend und furchteinflößend zugleich. Die Texte tun ein Übriges: das trügerisch sanfte, wie ein Wiegenlied beginnende „Premonition“ handelt von einer Fehlgeburt, in „Good Death“ geht es um Euthanasie, „I Feel Blood“ thematisiert Kolonialisierung. Traumata, Tod und Grauen überall – dennoch ist „Unflesh“ auf seltsame Weise zugänglich und mit der Fokussierung explizit körperlicher Issues ein Gegenpol zur allgegenwärtigen Fleischbeschau im Pop.
CD, 2014, 12 Tracks, Label: Anti Ghost/Moonray
Christina Mohr24.09.2014