Kitty Solaris

“Sunglasses“

Was hat am Achtziger-Hit „Sunglasses at Night“ eigentlich so genervt? Genau, die übertrieben angestrengt rausgepressten Vocals von Corey Hart, die befürchten ließen, dass seine Halsschlagader gleich platzen würde. Wie anders klingt das Stück in der Version von Kitty Solaris: Melancholisch und ein bisschen distanziert erfährt „Sunglasses“ eine neue Interpretation, die die Einsamkeit und Verletzlichkeit des singenden Ichs spiegelt. Kurzum, Corey Hart kann Kitty Solaris sehr dankbar dafür sein, dass nun endlich die wahre Schönheit seines Songs zum Vorschein kommt. Diese mehr als gelungene Coverversion ist aber nicht die einzige Sensation auf Kitty Solaris‘ neuer Platte, die passenderweise „Sunglasses“ heißt: Die Berliner Singer-Songwriterin und Labelchefin Kirsten Hahn hat ihrer Gitarre eine Auszeit verordnet, eigene Songs elektronisch neu interpretiert und zusätzlich neue Stücke aufgenommen wie „Supermoon“, das zwar Spuren in die Achtzigerjahre legt (man denke z.B. an Visage), aber nicht im Retromodus verharrt. „Trotz“ des neuen Sounds ist „Supermoon“ unverkennbar Kitty Solaris: cool und sehnsüchtig zugleich, in der Stadt zuhause, aber auch perfekte Begleitung zum Rumfahren über Land. Ältere Stücke wie „Money Back“ und „Giulia“ von Kittys 2019er Album „Cold City“ (auf dessen Cover Kitty übrigens auch Sonnenbrille trägt) funktionieren in der Synthie-Behandlung ebenso gut wie in klassischer Rockband-Instrumentierung, was für die zeitlose Qualität der Songs spricht. Das im Original rau-räudige „Dirt“ offenbart im Elektrogewand ganz neue Seiten, der Track entführt in dunkle Untiefen, während der Beat unerbittlich zum Weitertanzen auffordert – großartig. Auch der neue Song „Easy“ hat diese unterschwellig unheimliche Grundstimmung, akzentuiert mit souligen Vocal-Samples und glamourösem Dancefloor-Appeal. Kitty Solaris wird die Gitarre gewiss nicht an den sprichwörtlichen Nagel hängen, aber die klangliche Erweiterung mit elektronischen Instrumenten war eine prima Entscheidung, mit der sie ihren Indiepop-Entwurf neu definiert. Schließlich schadet es nie, von Zeit zu Zeit die eigene Komfortzone zu verlassen – Hauptsache, die Sonnenbrille ist griffbereit!

CD, 2020, 10 Tracks, Label: Solaris Empire

Christina Mohr

21.09.2020