Caroll Vanwelden
“Sings Shakespeare Sonnets“
Neben seinen Theaterstücken hat der Barde von Stratford-upon-Avon 154 Sonette geschrieben, Liebesgedichte, die der Poet abwechselnd an einen holden Jüngling („Fair Boy“) und an eine dunkle Dame (Dark Lady) adressierte. Sechzehn davon hat die belgische Sängerin Carol Vanwelden für ihre neuste Scheibe ausgewählt. Gewidmet hat sie das Album ihren Kindern („I love you so much“), was vielleicht auch ihre Auswahl der Gedichte erklärt. In den ersten 12 Sonetten appelliert Shakespeare an das Objekt seiner Liebe, einen Nachkommen zu erzeugen, denn nur durch Kinder kann der Mensch Liebe und Schönheit weitergeben, nur durch Kinder bleiben wir unsterblich. Shakespeares Liebeslyrik erkundet verschiedene Stimmungen: dieses mächtigste aller Gefühle löst nicht nur Entzücken, Stolz oder Freude hervor. Auch Melancholie, Scham, Abscheu und Angst gehören dazu. So schön und kraftvoll auch Vanweldens Stimme klingt, leider vermag sie mit ihrer musikalischen Interpretation der Gedichte bei mir nicht diese Bandbreite an Gefühlen hervorzurufen. Das liegt vielleicht zum einen daran, dass es sehr schwer ist die Songtexte überhaupt zu verstehen, und das, obwohl die Band sich meist sehr im Hintergrund hält und der starken Stimme den Vortritt lässt. Nur Thomas Siffling an Trompete und Flügelhorn bekommt genau so viel Raum wie die Sängerin. Doch das ist für mich auch schon das zweite Problem: seine coolen Trompeten-Soli, die an vielen Stellen an Chet Baker erinnern (Lob!), rufen bei mir eher Assoziationen von späten Stunden auf nächtlichen Herbstrassen hervor. Die letzte Bar geschlossen, ein paar Fußgänger zur fortgeschrittenen Stunde auf dem Nachhauseweg, ein vereinzelt vorbei fahrendes Auto dessen Scheinwerfer sich im nassen Asphalt spiegeln… diese Bilder laufen beim Hören der Scheibe in meinem Kopfkino ab. Von Shakespeare jedoch leider keine Spur. Vielleicht wäre das anders gewesen, wenn zumindest ein paar der bekannteren von Shakespeares Sonetten (z.B. Nr. 18) mit aufgenommen worden wären. So ist das Ganze eine schöne Jazzscheibe mit exzellenten Musikern, auf der die Sängerin sich genauso gut statt Shakespeares Gedichte des Scat-Gesangs hätte bedienen können.
CD, 2012, 16 Tracks, Label: Jazz'n'Arts
Tina Adomako11.12.2012