Henry Girls

“Shout Sister Shout“

Mit ihrem 7. Album begeben sich die Henry Girls auf eine Reise in die Vergangenheit. Meine erste Assoziation beim Reinhören in diese CD war, „die klingen ja wie die Andrews Sisters“. Doch es sind nicht die Andrews Sisters, denen hier gehuldigt wird, sondern ein viel früheres Schwestern-Gesangstrio. Als ihr Vorbild geben die drei Musikerinnen aus Donegal County, Irland, die Boswell Sisters an. Diese waren schon in den 1920ern in Radiosendungen in den USA aufgetreten und hatten 1925 ihren ersten Plattenvertrag. Und, so erfährt man auf Wikipedia: die Boswells waren auch das Vorbild der Andrews Sisters. Die Henry Girls kehren also weit zurück zum Original. Back to the roots, sozusagen.
Boswell Sisters? Wer sind die denn? Warum sind die Schwestern aus New Orleans derart in Vergessenheit geraten? Das fragten sich auch die drei Schwestern Karen, Lorna und Joleen McLaughlin aka The Henry Girls. Die übrigens viel gemeinsam mit ihren Vorbildern haben. Wie die Boswell Schwestern sind die McLaughlins nicht nur hervorragende Sängerinnen, die eine klassische Musikausbildung genossen haben. Sie sind auch Multi-Instrumentalistinnen. Die Boswells spielten Klavier, Banjo, Cello, Posaune, Gitarre und Altsaxophon. Genauso lang ist die Liste bei den Henry Girls, die Geige, Banjo, Mandoline, Gitarre, Harfe, Klavier und Akkordeon beherrschen. Mit ihrem neustem Album „Shout Sister Shout“ setzen sie der Musik der Schwestern Martha, Constance und Helvetia ein Denkmal, indem sie deren beste Songs neu aufnehmen. Dabei geht es nicht darum, die Songs neu zu interpretieren, sondern als exakte Coverversionen zu performen. Los geht es mit dem Song „Why Don’t You Practice What You Preach“, das die Boswell Sisters 1934 aufnahmen, gefolgt von dem etwas bluesigeren „Down On The Delta“ von 1932 und der Ballade „If It Ain’t Love“ aus dem selben Jahr. Bis auf die bessere Aufnahmequalität der neuen Versionen klingen die Songs verblüffend identisch mit den Originalen. Das gilt auch für alle restlichen Tracks auf dem Album. Die Stimmhöhen der Henry Girls und ihrer Vorbilder sind gleich, die Songs gleich orchestriert. Nur ein Track, das Titellied „Shout Sister Shout“ von 1931 weist kleine Unterschiede auf. So beginnt die Coverversion direkt im Swing-Modus, während die Boswells mit einem traurigen Violinsolo einleiten und irgendwo in der Mitte des Songs eine Solo-Gesangseinlage im gefühlvollen Gospel-Stil einfließen lassen. Die Version der Henry Girls ist heller und luftiger, der Schmerz, der in einem Spiritual mitschwingt, fehlt hier. Mit „Let Yourself Go“, ein Swing-Stück voller Lebensfreude, endet diese Hommage an eine wunderbare, leider in Vergessenheit geratene „Girl“-Group. Ein großer Dank an die Henry Girls, dass sie mit diesem Album den musikalischen Blick fast ein Jahrhundert zurück geworfen haben und die Musik von anno damals wieder zum Leben erwecken. Und damit gleichzeitig auch auf ihre eigene Musik neugierig machen. Ich kannte beide Formationen vorher nicht und freue mich sehr, dass ich ihre Musik jetzt kennenlernen durfte.

CD, 2020, 16 Tracks, Label: Beste! Unterhaltung

Tina Adomako

22.06.2020