June Tabor & Oysterband
“Ragged Kingdom“
Nahezu 20 Soloalben hat die 1947 in England geborene Sängerin herausgebracht, ebenso viele die 1976 gegründete Oysterband. 1990 veröffentlichten sie erstmals ein gemeinsames Werk, „Freedom and Rain“, das von Kritikern als richtungsweisend in der Folk-Tradition gewertet wurde. Nun folgt die zweite Zusammenarbeit. Ein zerlumptes, ein düsteres Königreich ist es, das die Königin des britischen Folkrock zusammen mit den Polit-Folkrebellen Oysterband regiert. Ihre gerade, weiche, bisweilen kehlige Altstimme führt durch einen Reigen von britischen Traditionals und Coverversionen diverser Kollegen – allesamt angesiedelt auf der dunkleren Seite des Lebens. Unpathetisch, nie larmoyant werden in Balladen Geschichten von gescheiterten Beziehungen, verlorenen Schlachten, frühen Toden und Liebe über das Grab hinaus erzählt. Sparsam, punktgenau, exakt die Stimmung wiedergebend die Begleitung der Band, mit Gitarre, Bass, Cello, Violine, Mandoline und Percussion. Wunderbar stimmig die männlichen Backing Vocals. Ganz leicht ist der Zugang zu dieser Platte nicht – wer sich aber die Mühe eines zweiten Anhörens macht, wird ein Meisterwerk entdecken.
Los geht es in treibendem Rhythmus mit dem traditionellen, spannenden „Bonny Bunch of Roses“, auch „Napoleons Rückzug“ genannt, einem Zwiegespräch zwischen Napoleons Sohn und seiner Mutter – Napoleon, der Feind Englands, galt ja als Held in Irland. Das kommt noch recht eingängig daher, sperriger wird es mit P.G. Harveys „That was my Veil“. Hier erinnert June Tabors Stimme sehr an die unvergessene Nico mit Velvet Underground, die ja auch dieses schon fast jenseitig zu nennende Timbre hatte. „Son David“ – der Besagte muss die Heimat nach einer Bluttat verlassen. Gefühlvoll, nur mit Mandolinenbegleitung und ergreifender Violinenmelodie. Joy Divisions „Love will tear us apart“ in einer eigenen, sparsamen, umso ergreifenderen Version, gefolgt von dem irischen Traditional „(When I was no but) Sweet Sixteen“; hier blitzt erfrischende Ironie auf in dem Klagelied eines „gefallenen“ Mädchens. Die dramatische Stimmung des Anfangssongs wird wieder aufgenommen im melodiösen „Judas (was a red-headed Man)“. Das Gänsehaut-Liebeslied „If my love loves me“ endet verstörend mit einem offenen Akkord, und in „The Hills of Shiloh“, nur begleitet von einigen wenigen Gitarrenakkorden, lässt Tabor Gespensteratmosphäre aufkommen. Die Nächte werden länger, liebe Musikfreundinnen, die Gedanken besinnlicher – zündet ein paar Kerzen an und genießt „Ragged Kingdom“ in Eurer Kuschelecke.
CD, 2011,12 Tracks, Label: Westpark Music
Fee Kuhn25.09.2011