Tracey Thorn
“Love and its Opposite“
Das Familienfoto auf dem Cover von Tracey Thorns neuem Album sieht ramponiert aus: die Gesichter wurden von den Kindern mit Filzstift angemalt und man fragt sich, ob Mama und Papa heute überhaupt noch ein Paar sind. Drei Jahre nach ihrem Comeback-Album „Out of the Woods“ widmet sich die ehemalige Everything But The Girl-Sängerin („Missing“) auf „Love and its Opposite“ den Begleiterscheinungen der Liebe im fortgeschrittenen Erwachsenenalter. Bezeichnenderweise heißt der erste Song „Oh, the Divorces!“; „Long White Dress“ erzählt von den desillusionierten Träumen einer jungen Braut; „Hormones“, „You Are a Lover“ und das Lee Hazlewood-Cover „Come on Home to Me“ drehen sich um das Problem, die Liebe wach zu halten, wenn die Stürme der Leidenschaft sich längst zum kaum noch wahrnehmbaren Lüftchen gedreht haben. Das liest sich trauriger als es klingt: natürlich ist aus Tracey Thorn keine überdrehte Hupfdohle geworden, ihre Stimme wirkt noch immer schwerblütig und melancholisch. Doch „Love and its Opposite“ zeichnet sich durch eine gewisse Abgeklärtheit aus, ein augenzwinkerndes Sich-arrangiert-haben mit dem Älterwerden. Entsprechend unaufgeregt ist die Produktion: Ewan Pearson (Delphic, The Rapture) vermeidet jegliches Chi-Chi, die Arrangements sind schlicht und zurückhaltend. Klavier, ein paar Streicher, sparsame Elektronik – mehr ist nicht nötig, Traceys Stimme braucht keine Staffage. Gäste sind allerdings willkommen, es gibt ein Duett mit Jens Lekman, Cortney Tidwell und Hot Chip’s Al Doyle sind ebenfalls vertreten. Fast alle Songs sind Balladen, kammermusikalisch-intim, chansonhaft, sakral zuweilen. Die lebendigen Country-Klänge von „Hormones“ und die synthetischen Beats bei „Why Does the Wind?“ sind dazu keine Widersprüche, sondern raffinierte Details einer eleganten Gesamterscheinung. Tracey Thorn klang auch früher nicht jung und übermütig, deshalb kann man nicht behaupten, sie melde sich mit „Love and its Opposite“ als gereifte Künstlerin zurück. Das war sie schon immer. Umso schöner, dass sich die Musik für sie nicht abnutzt wie eine in die Jahre gekommene Beziehung.
CD, 2010, 10 Tracks, Label: Strange Feeling
Christina Mohr24.05.2010