Marianne Dissard

“L’Abandon“

Die Behauptung von MusikerInnen, ihr jeweils aktuelles Werk sei sehr persönlich geraten, ist längst obligatorisch. Auf Marianne Dissards zweites Soloalbum trifft diese Behauptung allerdings voll und ganz zu: „L’Abandon“ (deutsch: Abkehr) ist durch Dissards Trennung von ihrem Ehemann, dem Sänger Naim Amor geprägt. Auch wenn einige Songs melancholisch bis traurig angehaucht sind, zeichnet sich „L’Abandon“ durch großes Selbstbewusstsein aus. Eine Trennung bedeutet nicht nur Verlust, sondern auch neu gewonnene Freiheit – das ist das große Thema von „L’Abandon“. Dissard, die seit vielen Jahren in Tucson, Arizona lebt und lange Zeit mit Joey Burns von Calexico zusammen musizierte, setzt auf Stilvielfalt: stärker noch als auf der Vorgängerplatte „L’Entredeux“ spielt sie die beiden Pole ihrer Persönlichkeit aus: die durch und durch französische Chansonniere und die wüstenerprobte Wahlamerikanerin. Sie vertraut zudem ihrer Stimme mehr, sie klingt noch rauer, reifer, erfahrener und sehr sexy. Ihr neuer musikalischer partner in crime ist der Komponist und Morricone-Schüler Christian Ravaglioli, der Dissards emotionale, zuweilen bizarre Poesie in die passenden Gewänder kleidete. Jazz und Chanson, Mariachitrompeten und Indiepop greifen ineinander, kontrastieren und harmonieren. Der Opener „La peau du lait“ ist eingängig und poppig, „The One and Only“ oder „Ecrivain public“ sind eher experimentell, jazzig und anspruchsvoll. In „Almas perversas“ singt Marianne über mexikanische Pornos, das Chanson „Neige Romain“ ist das romantischste, aber auch traurigste Stück der Platte. „L’Abandon“ präsentiert Dissard als starke Künstlerin, die es sich leisten kann, in ihren Liedern ganz persönlich zu werden.

CD, 2011, 12 Tracks, Label: Le Pop Music

Christina Mohr

09.03.2011