Anna Murtola

“La Tierra Blanca“

Wie prägt uns die Gegend in der wir aufwachsen? Welchen Einfluss haben alltäglich wiederkehrende Naturerfahrungen und was lernen wir in Begegnungen und Beziehungen mit anderen Menschen? Auf ihrem zweiten Album „La Tierra Blanca“ (dt. „Das weiße Land“) begibt sich die finnische Flamenco-Sängerin Anna Murtola (Master-Absolventin des Global Music-Studiengangs an der Sibelius-Akademie Helsinki) auf persönliche Spurensuche in ihre nördliche Heimatstadt Oulu. Es ist eine nachdenkliche und tiefsinnige Reise, mit einem aufmerksamen Blick für Natureindrücke und emotionale Zwischentöne. Beeindruckend sind dabei nicht nur die Feinfühligkeit der poetischen Texte, die ausdrucksstarke Wandelbarkeit von Murtolas Stimme und die Kreativität der kollaborativ entstandenen Kompositionen, sondern auch das fein austarierte Zusammenspiel und die hohe Professionalität aller am Album beteiligten Künstler*innen.

Während Murtolas im Vorfeld oder Verlauf vieler Stücke vorgetragene Lyrik ihren Gedanken eine faszinierende Eindringlichkeit verleiht, vermitteln die von Soundkünstler Paavo Impiö atmosphärisch arrangierten Natur- und Alltagsgeräusche ein nachdrückliches Gefühl unmittelbar erlebter Realität. Mal glaubt man den unruhigen Wind um Oulu zu spüren („Täällä tuulee aina“ und „Northwind Bulería“), mal verliert man sich im verspielten Miteinander von Gesang, Gitarren-, Bass- und Percussionklängen (Robert ‚Robi‘ Svärd, Hannu Rantanen und Miguel El Cheyenne), welches von sanftem Wasserplätschern und freudigem Vogelgezwitscher begleitet wird („Puentes Blancos“).

Als thematisch eher düstere, in ihrer künstlerischen Gestaltung aber sehr berührende Stücke erweisen sich das für ein totes Kind gesungene Wiegenlied („Nana/Tuutulaulu“) und die durch ein mythisches karelisches Runengedicht inspirierte Totenklage im Gedenken an eine erhängte Jungfrau („Juoksee kolme jokea“ und „Ańńikin laulu“). Während zarte und wehmütige Gesangslinien, sacht schaukelndes Gitarrenzupfen (Joonas Widenius), klagende Violinenstriche (Lotta-Maria Heiskanen) und behutsam platzierte Percussiongeräusche (Ricardo Padilla) die von liebender Wärme durchzogene Trauer am Kindbett greifbar machen, vermittelt die Zusammenführung von gesprochener Abschiedsrede, schmerzvollen Vokalisen, in der Ferne verblassendem Begleitgesang (Venla Ilona Blom) und ätherischen oder wild wabernden Kantele-Klängen (Maija Kauhanen) die beklemmende und aufwühlende Stimmung im Kontext eines gewaltsam verursachten Todes. Ein in jeder Hinsicht gelungenes Album, dessen künstlerischer und emotionaler Reichtum nachdrückliche Spuren hinterlässt!

CD, 2023, 12 Tracks, Label: Nordic Notes

Stefanie Zimmermann

14.03.2023