Camille

“Ilo Veyou“

In der aktuellen Ausgabe der SPEX wird anhand der neuen Alben von Björk, Feist und Camille der „Biopop“ definiert, sozusagen die Gegenbewegung zu den Cyber- und Maschinenfrauen der letzten Jahre (Lady Gaga, Robyn, Janelle Monáe). Björk verliert sich in Schöpfungsmythen, Feist huldigt dem Erz und anderen „Metals“ und Camille – pupst. Deutlich hörbar am Ende des Songs „Message“. Womit klar ist: diese Frau hat Humor und Mut. Bekannt wurde die französische Vokalkünstlerin als Nouvelle Vague-Sängerin: sie zirpte die loungige Version von „Too Drunk Too Fuck“. Auf ihren Soloalben „Le Fil“ oder zuletzt „Music Hole“ zeigte Camille, was in ihr und ihrer Stimme steckt – viel mehr, als nur Gastsängerin eines semioriginellen Projekts zu sein. Für die Aufnahmen zu „Ilo Veyou“ zog die frischgebackene Mutter (noch so was Biologisches…) in eine Kirche, um ihren Stücken den größtmöglichen Entfaltungsraum zu bieten. „Ilo Veyou“ ist ein Klangexperiment, die Musik eher Skizze als Song: vom traditionellen Chanson über Sakral-opernhaftes bis zum reizenden Hit „Mars Is No Fun“ probieren Camille und ihre Musiker verschiedenste Stilrichtungen aus, Dreh- und Angelpunkt ist aber der Gesang. Der selten einfach nur Gesang ist: Camille quetscht, zwirbelt, verdreht ihre Stimmbänder, schluckt Magnesiumcarbonat, faucht, dröhnt, krächzt und zwitschert. Sie erfindet Gaga-Sprachen und singt – in verständlichem Französisch – über eine Frau, die ihrem untreuen Mann den Schniedel abschneidet und dann aufisst („Le Banquet“). Und kriegt sich über die Freuden der Mutterschaft gar nicht mehr ein: „Who made me a bubble lady? / my billie buddy bittie baby“ – „Ilo Veyou“ ist ziemlich irre und verdreht, also das Tollste, was eine Popplatte werden kann.

CD, 2011, 15 Tracks, Label: Virgin Local

Christina Mohr

23.10.2011