Karan Casey
“Hieroglyphs That Tell The Tale“
Ein menschliches Leben kann man auf verschiedene Weisen erzählen. Vielleicht als persönlichen Erlebnisbericht oder berufliche Erfolgsgeschichte. Die irische Sängerin Karan Casey interessiert sich vor allem für Narben, welche das Leben bei Menschen hinterlässt, wie die von der amerikanischen Folksängerin Janis Ian stammende Liedzeile „See these bruises? See these scars? Hieroglyphs that tell the tale“ („I’m Still Standing Here“) im Titel ihres siebten Soloalbums andeutet. Mit neu arrangierten irischen Traditionals, Coverversionen amerikanischer Folksongs und eigenen Kompositionen erzählt Casey Geschichten von persönlichen und gesellschaftlichen Narben, von menschlichen Bindungen und dysfunktionalen Gesellschaftssystemen. Als Opfer eines solchen Systems porträtiert sie den amerikanischen Farmer Hollis Brown, dessen Armut und soziale Isolation in einer Familientragödie enden („Hollis Brown“). Die Dramatik der Situation dieses von Bob Dylan adaptierten Folksongs fängt Casey in einem emotional aufgeladenen Arrangement ein. Scharfe Kritik äußert sie auch an politischen Führungsfiguren, welche im Song „Man Of God“ (das Original stammt von der amerikanischen Folkmusikerin Eliza Gilkyson) nicht nur textlich, sondern auch musikalisch karikiert werden. In einer einfühlsamen Interpretation des Songs „In The Gutter“ ihres irischen Singer-Songwriter-Kollegen Mick Flannery zeichnet Casey die widersprüchlichen Gefühle eines alkoholkranken Menschen nach. Aber auch innigen Gefühlen und Erfahrungen räumt die Musikerin einen Platz ein, etwa im selbst komponierten Liebeslied „Down In The Glen“ oder dem rhythmisch innovativ arrangierten Traditional „Sixteen Come Next Sunday“. Fazit: Eindrückliche Songauswahl, expressiver Gesang und kunstvolle Arrangements – definitiv ein Album, das im Gedächtnis bleibt!
CD, 2019, 10 Tracks, Label: Vertical Records
Stefanie Zimmermann21.05.2019