Kelis
“Flesh Tone“
Es klingt ja immer so schrecklich klischeehaft, dass Schwanger- und Mutterschaft eine Frau total verändern, bei der 30-jährigen New Yorkerin Kelis Rogers trifft diese Behauptung aber voll zu: Die Geburt ihres Söhnchens Knight (und die vorangegangene Trennung vom Gatten und Kindsvater, dem Rapper Nas) ließ die wilde HipHopperin mit orangefarbenem Afro und schrillen Klamotten zur selbstbewussten Mutter und Künstlerin reifen. O-Ton Kelis: „I adore being a mama, not just in an annoying, warm and fuzzy way, but in a triumphant women rock way.“ Starke Worte, die auf ein starkes Album hoffen lassen: Mit „Flesh Tone“ bewegt sich Kelis jedenfalls auf ganz anderem Parkett als man erwarten konnte. Kein markerschütterndes „I Hate You So Much Right Now“-Wutgebrüll wie auf ihrer frühen Single „Caught Out There“, kein anzüglicher Flirttalk wie beim Hit „Milkshake“, sondern… tja, ziemlich langweiliger, austauschbarer Elektro-Clubsound, unelastische 1-2-3-4-Eurodance-Rhythmen statt knackiger HipHop-Beats, überholte Autotune-Experimente, plastikglatte Techno-Grooves – wäre nicht Kelis‘ charakteristisch kehlige Stimme, es könnte auch die Tonspur zum neuen Kylie-, Beyoncé- oder Christina-Album sein. Schade eigentlich, denn Kelis ist die Verrückteste und Sympathischste aller HipHop- und R’n’B-Ladies (siehe der orangefarbene Afro), ihre mütterliche Metamorphose auf will.I.Ams Label hätte gewagter ausfallen dürfen. Tracks wie „22’nd Century“, „4’th of July“ oder „Emancipate“ sind schlichtweg altmodisch in Sound und Inhalt, Textzeilen wie „“Your love is blinding, I’m already home, the lights are shining“ („Home“) zeugen nicht wirklich von „animalischer Inspiration“, die das Presseinfo verkündet. Natürlich gibt es auf „Flesh Tone“ auch Lichtblicke wie das lasziv gehauchte Intro, die vom französischen Star-DJ David Guetta produzierte Single „Acapella“ und die ehrlich anrührende Ballade für Kelis‘ kleinen Babyboy, „Song for the Baby“. Das war’s dann aber auch schon. Dass „Flesh Tone“ nur knappe 37 Minuten lang ist, bedauert die Rezensentin nicht – sondern wünscht der frischgebackenen Mama Kelis einen zweiten Neustart.
CD, 2010, 9 Tracks, Label: Interscope
Christina Mohr15.06.2010