Kate Tempest

“Everybody Down“

Das Foto auf dem Albumcover führt in die Irre: Kate Tempest hat sich keineswegs verträumtem Singer-/Songwriter-Folk verschrieben. Die 27-jährige Südlondonerin ist bereits eine renommierte – und hierzulande noch unbekannte – Schriftstellerin, Dramatikerin und Spoken Word-Künstlerin und kommt jetzt mit einem Album um die Ecke, das schlicht umwerfend ist. Als 16-jährige rappte Tempest Freestyle im Bus, zehn Jahre später ist sie die Retterin des HipHop. In einem schier unendlichen Strom aus Beats und Worten handelt sie oberflächlich betrachtet die klassischen Themen ab (Geld, Drogen, Kriminalität, Prostitution), das allerdings aus HipHop-unüblicher Perspektive: Im Mittelpunkt steht die Suche nach Liebe, Zugehörigkeit und Akzeptanz; Tempest feiert nicht ihre Skills ab, sondern ihre Zweifel. Die Tracks bilden einerseits eine komplexe, durchgehende Story mit Protagonistin Becky, stehen aber auch für sich allein – und sind gleichzeitig die Kapitel eines Romans, den Kate Tempest noch in diesem Jahr veröffentlichen wird. Nicht nur inhaltlich ist „Everybody Down“ interessant und ungewöhnlich, die Musik ist es auch. Unterstützt von Producer Dan Carey alias Mr Dan (Santigold, M.I.A., Hot Chip) entfesselt Kate Tempest einen mitreißenden, düsteren Sog aus fetten Two-Step-Electro-Beats und einprägsamen Melodien, über die sie mit heiserer Stimme rappt/sprechsingt. In „Stink“ und „To the Victor the Spoils“ spiegelt sich der Dreck der Londoner Straßen, aber auch so etwas wie Hoffnung; „The Beigeness“ und „Lonely Daze“ sind großartige Dancetracks mit ordentlichen Portionen Melancholie und Nachdenklichkeit. Seit Mike Skinners/The Streets‘ „Original Pirate Material“ hat man kein so berührendes Rap-Album mehr gehört – Kate Tempest hat schon jetzt ihren Platz in den obersten Rängen der Jahrescharts sicher.

CD, 2014, 12 Tracks, Label: Big Dada

Christina Mohr

22.05.2014