Evelyn Evelyn

“Evelyn Evelyn“

Amanda Palmer ist Schauspielerin durch und durch: ob als Dresden Dolls an der Seite von Brian Viglione oder solo, das Optische und Performative ist der aus Boston stammenden Künstlerin stets genauso wichtig wie die Musik. Palmers neues Projekt Evelyn Evelyn ist nicht minder phantasievoll als ihre früheren Erscheinungsformen. Gemeinsam mit dem Singer-/Songwriter Jason Webley hat sie – zwinker, zwinker – das siamesische Zwillingspaar Eva und Lyn Neville in einem Wanderzirkus entdeckt und promotet deren erstaunliche Lieder via myspace. Siamesische Zwillinge hin, Freakshow her, das Album „Evelyn Evelyn“ ist ein Palmer-Opus par excellence: an Brecht/Weill-Kompositionen geschulte Varieteklänge mit turbulentem Piano und gaukelnde Zirkusmusik mit Banjo, Klarinette und Hammondorgel werden von narrativen Parts unterbrochen bzw. zusammengehalten. „The Tragic Events of September Pts. I – III“ erzählen die gar schröckliche Geschichte von Lyn und Eva, was aus der Platte eher ein Hörspiel-Konzeptalbum als ein Popprodukt zum Nebenbeihören macht. Die Songs funktionieren nur als Ganzes, was heutigem Musikkonsumverhalten zuwider läuft – aber das gesamte Setting von „Evelyn Evelyn“, angefangen mit der Wanderzirkus-Freakshow-Mär bis zum nostalgischen Artwork von Cynthia von Buhler, will nicht „heutig“ sein, sondern in eine geheimnisvolle Ära vor unserer Zeit entführen. Der Track „My Space“ (mit ziemlich fiesem Brian May-Gedächtnis-Gitarrensolo) und den flehentlichen Zeilen „I want my space, I need my space“ lässt sich dagegen nicht nur als Freiheitsbegehren eines im Zwillingskörper gefangenen Wesens lesen, sondern auch als Kommentar zum vermeintlich grenzenlosen Internet. Auch die rührend minimalistische Coverversion von Joy Divisions „Love Will Tear Us Apart“ – nur Duettgesang und Ukulele – bekommt aus den Mündern zweier untrennbar miteinander verbundenen Schwestern einen ganz anderen Dreh… Gäste wie Tegan and Sara, Andrew W.K. und ‚Weird Al‘ Yankovic machen aus „Evelyn Evelyn“ aber dann doch ein sehr poptaugliches Projekt.

CD, 2010, 12 Tracks, Label: SMD NEO-SD

Christina Mohr

08.04.2010