Poppy Ackroyd
“Escapement“
Toll ist Popmusik ja immer dann, wenn Genregrenzen überschritten werden und man seinen eigenen, beschränkten Horizont erweitern kann. Ich zum Beispiel habe starke Berührungsängste Klassischer Musik gegenüber und würde mich ihr nicht ohne triftigen Grund aussetzen. Umso besser (für mich), dass es Künstlerinnen wie die Londoner Komponistin, Pianistin und Violinistin Poppy Ackroyd gibt, die im Popkontext auftauchen, im Grunde aber keine Popmusik machen – andererseits: sind Chilly Gonzalez’ Piano-Alben Pop? Oder Julia Holter: Pop oder Klassik? Ihr seht schon, die Grenzen sind fließend und das ist auch gut so. Poppy Ackroyds Album heißt „Escapement“ und verweist mitnichten auf die Weltfluchtphantasien einer entrückten Musikerin, sondern bezeichnet den Moment, in dem die angeschlagene Klaviertaste zurückschnellt und der erzeugte Ton vibrieren kann. Wieder was gelernt dank Pop, äh, Klassik! Ackroyd entlockt ihrem Klavier mit Gitarrenplektren und Drumsticks ungewöhnliche Töne, die Geige bearbeitet sie ähnlich experimentell. Dazu gemischte Field Recordings wie Wind, Regen und Vogelstimmen machen die sieben vom Berliner Komponisten Nils Frahm produzierten „Escapement“-Tracks zu kontemplativen und detailreichen Mini-Hörspielen im Spannungsfeld von Klassik, Drone und Pop; Komposition und Improvisation. „Für Fans von Olafur Arnalds und Hauschka“ prangt auf dem Werbesticker des Albums, doch bei Poppy Ackroyd sollten gerade Leute zugreifen, die von den genannten Musikern noch nie gehört haben.
CD, 2012, 7 Tracks, Label: Denovali
Christina Mohr10.12.2012