Inge Brandenburg
“Easy Street“
Wenn Sie diese CD hören, glauben Sie nicht, dass die Aufnahmen über 50 Jahre vergessen im Archiv lagen – Sie würden schauen, wo es ein Live-Konzert gäbe und Tickets kaufen, um diese Sängerin zu hören. Wer singt da? Eine wunderbare Sängerin, die die Jazzsongs gekonnt, hochtalentiert und überzeugend interpretiert und ihnen mit einer Stimme, sanft, luftig, stark und einem schönen Timbre Ausdruck verleiht. Inge Brandenburg, schon mal gehört? 1929 in Leipzig geboren, ihre Eltern in KZ’s umgekommen, in Heimen aufgewachsen, schaffte es in einer kurzen, steilen Karriere im Nachkriegsdeutschland, dass sie 1960 auf dem Jazzfestival von Antibes zur besten Jazzsängerin Europas gekürt wurde. 1999 starb sie im Krankenhaus München-Schwabing verarmt und vergessen. Der Vergleich zu amerikanischen schwarzen Jazzsängerinnen drängt sich auf. Inge Brandenburg wuchs unter schwierigen Bedingungen auf, ihr Talent wurde in keiner Weise gefördert, sie entwickelte sich völlig autodidaktisch. 1949 liest sie eine Annonce, in der “eine gutaussehende Sängerin mit tiefer Stimmlage und guten Englischkenntnissen” gesucht wird. Sie bekommt den Job, obwohl sie gar kein Englisch kann. Nach 7 Jahren in verschiedenen Tanzkapellen und Auftritten in Clubs der amerikanischen Armee hat sie sich ihr Jazz-Repertoire erarbeitet und tritt im Frühjahr 1958 zum ersten Mal im Frankfurter Jazzkeller und im Herbst beim “6. Deutschen Jazzfestival” auf – und wird als Entdeckung gefeiert.
Die Aufnahmen dieser CD entstanden 1959 – 1961 für den HR mit dem hr-Jazzensemble, das damals gemeinsam mit Inge Brandenburg auch seinen ersten Auftritt auf dem Jazzfestival hatte, darunter die Brüder Albert und Emil Mangelsdorff, Joki Freund, Dusko Goykovich. Warum sie im Archiv vergessen wurden (wegen Querelen konkurrierender Plattenfirmen oder Zerwürfnissen mit der Musikerin), darüber kann nur spekuliert werden. Jedenfalls zeugt es von Verhältnissen und Strukturen, die es Frauen im Jazz – und seien sie noch so herausragend – vor 50 Jahren leider meistens nur eine tragische Karriere ermöglichten (ähnlich wie der Pianistin Jutta Hipp, vgl. ?f101=30&t101=detail,28289). Um so schöner ist es, dass diese Aufnahmen dank der Initiative und Recherche von Jürgen Schwab, nun veröffentlicht wurden. Inge Brandenburg, eine Entdeckung, wie vor 57 Jahren!
CD, 2015, 20 Tracks, Label: Bear Family Productions
Hildegard Bernasconi21.06.2015