Sophie Abrahams
“Brothers“
Wie ist es, zwei Brüder durch ein Lawinenunglück zu verlieren? Wie lebt man weiter, nachdem so ein Ereignis die Zeit in ein Davor und Danach zerschneidet und nichts mehr ist, wie es vorher war? Kaum vorstellbar, dass jemand dafür einen musikalischen Ausdruck findet. Sophie Abraham gelingt genau das auf ihrem ersten Soloalbum, allein mit Cello und Gesang. Die Musikerin, die sonst als Mitglied des radio.string.quartet, des klassischen Klaviertrios Trio Frühstück oder im Duo mit Julia Lacherstorfer unterwegs ist, hat schon lang an ein Soloprogramm gedacht. Vielleicht war es der Abstand der Zeit – das Unglück geschah 1993, als sie sechs Jahre alt war – der es ihr erlaubt hat, die erinnerten Teile ihrer gemeinsamen Geschichte in eine CD zu gießen, um sie zu bewahren und ihren Brüdern „etwas Schönes“ zu widmen. Darin zeichnet sie das Gewicht von Schnee eindrucksvoll nach, rezitiert Erinnerungsfetzen aus dem (kindlichen?) Unterbewusstsein, begibt sich auf Pilgerreise, reflektiert über Geburt, das Leben, den Tod. Ihre Cello-Melodien, mit viel Ruhe und Hall im heimischen Wohnzimmer aufgenommen, mal zart gezupft, mal mit viel Drama gestrichen, sind wunderschön und bleiben lang im Ohr. Ein Highlight, das die klangliche Vielfalt des Streichinstruments, aber auch das Talent Abrahams als Komponistin unterstreicht, ist für mich der Song „Identities“; er könnte auch als Film-Soundtrack dienen. „Die Musik auf meinem Album ist manchmal schwer, doch huldigt sie dann das Leben in seiner Schönheit umso mehr“, schreibt sie.
CD, 2021, 9 Tracks, Label: cracked anegg records
Mane Stelzer31.10.2021