Neneh Cherry

“Blank Project“

Auch wenn Neneh Cherry in den 1990er-Jahren mit „Buffalo Stance“, „Manchild“ und vor allem „7 Seconds“, dem Duett mit Youssou N’Dour, internationale Hits landete, gehörte sie nie wirklich zum Mainstream: die in Schweden geborene Cherry wuchs inmitten eines Künstlerclans (Jazztrompeter Don Cherry ist ihr Stiefvater, Eagle Eye Cherry und Titiyo sind ihre Geschwister) in den USA auf, entdeckte im London der späten Siebziger den Punk und beschloss: „das kann ich auch“. Sie sang bei der legendären Postpunk-Band Rip, Rig and Panic und machte sich Mitte der Achtziger Jahre „selbstständig“ – als Rapperin. Mit ihrem Debütalbum „Raw Like Sushi“ gelang ihr aus dem Stand ein Riesenerfolg, Cherry gilt seither als Hip-Hop/Pop-Crossover-Pionierin. Unvergessen auch ihr Auftritt in der Sendung „Top of the Pops“, hochschwanger mit ihrer zweiten Tochter Tyson. 1996, auf dem Zenit ihres Erfolgs, beschloss Neneh Cherry, keine Platten mehr aufzunehmen. Sie wollte sich um ihre Familie kümmern und andere künstlerische Aufgaben in Angriff nehmen. Doch ganz ohne Musik ging es auch nicht: 2006 gründete sie das kurzlebige Projekt CirKus; 2012 erschien „The Cherry Thing“, eine Kooperation mit der schwedischen Free-Jazz-Band The Thing.
Alles Vorboten für ihre Rückkehr als Soloartistin mit „Blank Project“: die Songs darauf sind Nenehs Selbsttherapie – sie wollte damit den Tod ihrer Mutter verarbeiten. „Blank Project“ ist allerdings kein Requiem, sondern ein lebendiges Statement, experimentell, ambitioniert und kein bisschen chartkompatibel. Unvorstellbar, dass, sagen wir, Sade oder Kim Wilde ein deart cooles Album aufnehmen würden: roh, rauh und geradezu minimalistisch sind die von Four Tet/Kieran Hebden produzierten Tracks, wuchtige dicke Beats kontrastieren mit Free-Jazz-Elementen, der Sound ist klar und aufs Wesentliche reduziert, no strings attached. Dafür Synthesizer, sparsam eingesetztes Saxofon, Breakbeats, Sampling, arabisch inspirierte Melodieskizzen in „Naked“, auch stimmlich testet Neneh von Spoken-Word-Performances bis zum heiseren Gelächter alles aus. Elektro-Star Robyn ist ihre Gesangspartnerin im dancefloor-affinen „Out Of The Black“, der Schlusstrack „Everything“ ist eine geloopte Tour de Force, Nenehs Stimme von Hebden verfremdet und zerschnipselt. In den Texten geht es augenzwinkernd um Aberglauben („Spit Three Times“), Sex, Werden und Vergehen. Also um nicht weniger als Alles.
Am 10. März feierte Neneh Cherry ihren 50. Geburtstag – mit „Blank Project“ machte sie sich selbst (und uns!) das schönste Geschenk.

CD, 2014, 10 Tracks, Label: Smalltown Supersound

Christina Mohr

18.03.2014