Áššu

“Áššu“

Was ist eigentlich ein Joik? Und wie passen afrikanische Instrumente wie Calabash (Kürbistrommel) oder Konting (Lauteninstrument) mit finnischen Rentierhirten zusammen? Wer jetzt neugierig geworden ist, sollte sich das neue Album „Áššu“ der gleichnamigen finnischen Band anhören. Dort präsentieren Ulla Pirttijärvi (Joiks, Vocals) und ihre Bandkollegen Harald Skullerud (Percussion, Calabash, Calimba, Harmonium) und Olav Torget (Baritongitarre, Oilcan-Gitarre, Konting) eine moderne Variante der samischen Joik-Tradition. „Joiken“ kann man vieles: Orte, Landschaften, Tiere, Gegenstände, Menschen oder Sinneseindrücke. Man tut es während der Arbeit oder bei sozialen Anlässen. Im Zentrum des aus Silben, Wörtern oder kurzen Phrasen zusammengesetzten Kehlgesangs steht die Reflexion oder spirituelle Hervorbringung des Gejoikten. „With this album I’ve wanted to present my relatives’ joiks and the joiks of those persons who have had an influence on my life. These joiks are part of my family identity“, erklärt Ulla Pirttijärvi. Einer dieser repräsentierten Verwandten ist ihr Urgroßvater, ein Rentierhirte, dem die Musikerin mit rau gerufenem Gesang sowie treibenden Calabash- und Gitarrenklängen („Vulle Mihkku“) gedenkt. Die große Bedeutung von Rentieren im Leben von Pirttijärvis Verwandten und Vorfahren offenbart sich neben weiteren Stücken („Basejávr-Hánsa“, „Ealu Cohkken“, „Uvdel Ovllá“) auch im Design des CD-Covers, welches das expressive Gemälde eines Rentiers präsentiert. Ein im Inlay verewigtes Foto zeigt den musikalisch reflektierten Vulle Mihkku und seine Frau beim Rentierhüten. An anderer Stelle joikt Pirttijärvi einen vom Krieg heimgekehrten Verwandten ihres verstorbenen Mannes („Uhca Niillas“). Dieser eher unruhig wirkende Joik wird von rhythmischem Schlagwerk sowie bluesigen Gitarreneinlagen begleitet. Abschnittsweise verstärkt Olav Torgets Gitarrenspiel auch in kunstvoller Imitation die von Pirttijärvi vorgegebenen Vocals. „The pieces gives a modern context to the traditional joik, and express and support in a plain and acoustic style the feelings and stories of the joiks“, erklärt Pirttijärvi den im Hinblick auf traditionelle Joik-Musik eher ungewöhnlichen Einsatz moderner Instrumente. Besonders deutlich wird dies im Stück „Sáivui“, welches in murmelndem Gesang, sphärischen Gitarrenklängen sowie unregelmäßig auftauchenden Rassel- und Trommelgeräuschen den mystischen Ort des Sees reflektiert. Das für traditionelle Sámi-Kultur bedeutsame Feuer joikt Pirttijärvi unter Begleitung hypnotisch wirkender Percussion- und Kontingklänge im titelgebenden Stück „Áššu“. Mit Variationen in Stimmgebung und Lautstärke offenbaren sich hier die gestalterischen Ausdrucksmöglichkeiten dieses besonderen Gesangs. Pirttijärvi setzt sich aktiv für die Pflege traditioneller Sámi-Kultur ein. 1996 veröffentlichte sie z.B. ein Musikbuch für Kinder, welches Text und Noten traditioneller und selbstkomponierter Joiks und Lieder enthält. Wer ungewöhnliche Klänge und Klangkombinationen liebt, wird an „Áššu“ sicher seine Freude haben.

CD, 2019, 11 Tracks, Label: Nordic Notes

Stefanie Zimmermann

08.04.2019