Tori Amos
“Abnormally Attracted to Sin“
Zwei Jahre nach dem ambitionierten Konzeptalbum „American Doll Posse“ veröffentlicht Tori Amos ihre zehnte Studioplatte: „Abnormally Attracted to Sin“ heißt sie und ist trotz stolzer siebzehn Songs mit (der Deluxe-Version beigelegten) passenden Kurzfilmen weniger anstrengend geraten als der Vorgänger, auf dem Amos fünf verschiedene Frauenfiguren verkörperte und in deren Rollen 23 Songs darbot. Zwar widmet sich Tori auch auf „Abnormally…“ wieder einem durchgängigen Topos und schlüpft für die Fotos im Booklet in verschiedene Personae – Verführerin, Domina, Detektivin, Giftmörderin -, die Songs sind aber auch „einfach so“ zu genießen, selbst wenn man nicht auf das übergeordnete Thema /Sünde/ achtet. Amos prangert an, dass Frauen eher als „sündig“ und „unnormal“ bezeichnet werden als Männer: beispielsweise seien besonders Mütter dazu gezwungen, ihre sinnliche Seite zu verleugnen, obwohl genau diese Sinnlichkeit und Sexualität sie erst zu Müttern gemacht habe. Textlich drückt sie dieses Dilemma am eindringlichsten im Opener „Give“ aus: „So you heard / I crossed over the line / Do I have regrets? / Well, not yet / There are some / some who give blood…“. Musikalisch hat Tori neue Lust an der Variation gefunden: es gibt selbstverständlich einige typische Amos-Balladen, leidenschaftlich und intensiv, auf denen sie fast nur ihre Stimme und ihr geliebtes Bösendorfer-Piano einsetzt („Ophelia“, „Mary Jane“). Auffallend sind die rockigen Töne, z.B. bei „Welcome to England“, „Fire Your Plane“, „Not Dying Today“ und dem eindringlichen „Police Me“. Ein ganzes Streicherensemble kommt beim träumerisch-verspielten „That Guy“ zum Einsatz, der somnambule Titeltrack arbeitet mit Synthesizern und Loops, ihre Stimme klingt wie von ganz weit entfernt. Lediglich das folkpoppige „500 Miles“ hätte sich Amos sparen können: dieser Song würde besser auf das hoffentlich nie erscheinende Comeback-Album der Kelly Family passen.
CD, 2009, 17 Tracks, Label: Universal Music
Christina Mohr17.05.2009