Keren Ann
“101“
Keren Ann, 37-jährige Kosmopolitin mit russisch-israelisch-javanesisch-holländischen Wurzeln ist nicht gerade für musikalische Revolutionen bekannt. Einer schönen Frau mit angenehmer Stimme sieht man aber gern viel nach und so werden ihre Platten, die sie als Solokünstlerin seit 2000 veröffentlicht, mit schöner Regelmäßigkeit als „kleine Meisterwerke“ bezeichnet – die sie auch sind, wenn man verträumte, Intimitität heraufbeschwörende, melancholisch angehauchte Pop-Chansons mag. Früher sang Keren Ann haupsächlich französisch, seit ihrer letzten Platte auf Englisch, was nachvollziehbar ist, da sie seit einiger Zeit vorwiegend in New York lebt. Mit ihrem sechsten Album „101“ will Keren Ann offenbar einen Imagewechsel vollziehen, siehe Cover- und Bookletfotos, auf denen sie mit Revolver abgebildet ist. Doch gefährlich und verwegen klingt Keren Ann Zeidel, wie sie mit vollem Namen heißt, auf den zehn neuen Songs keineswegs. Sanft schwebt sie zwischen Chelsea Hotel und St. Germain, 60’er-Jahre-Pop und Chanson dahin, klingt weder amerikanisch noch europäisch-französisch, sondern auf ätherische Weise ortlos. Auffällig ist die aufwändige Produktion, die ihre Stimme in viele Klangschichten bettet, und die Stilexperimente, die nicht mehr viel mit den kammermusikalischen Liedern gemein haben, die Keren Ann vor Jahren mit Benjamin Biolay aufnahm. Das funktioniert nicht immer gut, „Sugar Mama“ ist zu aufgesetzt flott, „Blood on my Hands“ ist ganz und gar unentschlossen und wirkt durch das blutrünstige Setting unfreiwillig komisch. Aber es sind auch viele feine Songs auf „101“, das Gitarren- und Cello-unterlegte „All the Beautiful Girls“ zum Beispiel, die üppig schwelgende Ballade „Strange Weather“ oder der karg instrumentierte, geheimnisvolle Titeltrack, in dem sie aus dem 101. Stock ihres New Yorker Hochhauses mit dem Lift nach unten fährt – das sind die kleinen Meisterwerke, für die man Keren Ann immer wieder liebt.
CD, 2011, 10 Tracks, Label: Delabel
Christina Mohr27.03.2011