Von der Stärke der Zerbrechlichkeit

Interview mit Celina Bostic

Bekannt wurde die Berliner Singer-Songwriterin Celina Bostic als die humorvolle „Alles Stricher ausser Papa“ Sängerin, die immer optimistisch und lebensbejahend mit einem Strahlen auftritt und den Moment als ihre „Religion“ feiert. Ihr erstes Soloalbum „Zu Fuss“ wurde vom Tagesspiegel als „Lagerfeuersoul mit hohem Vergnügungsfaktor“ beschrieben. Doch seitdem hat sich vieles geändert: Celina fühlt sich nicht mehr danach, nur gute Laune zu verbreiten. Kurz nach der Geburt ihres zweiten Kindes 2018 hinterfragte sie ein Mal mehr ihr persönliches Handeln und musikalisches Schaffen: Sie will nicht die Künstlerin und Mutter sein, die alles Unangenehme weglächelt. Sie will sich nicht mehr „auf die Zunge beißen, wenn ihr nach Schreien ist.“ Sie will aufrütteln, sie will empowern, sie will laut sein: Alles hat auf ihrem Album Raum und darf sein – egal, was die „Norm“ davon hält.

In Nie wieder leise singt die Celina von ihrem Aufwachsen als Schwarzes Mädchen in einer weißen Mehrheitsgesellschaft und dem Hadern mit dem eigenen Spiegelbild, das damit einhergeht, weil ihr immer wieder suggeriert wird, sie sei „anders“, nicht gut genug und würde nicht dazugehören. Der Song ist ein Plädoyer für mehr Selbstliebe und eine empowernde Hymne für alle Schwarzen Menschen und People of Color, die wissen sollen, dass sie nicht alleine sind, dass sie eine Stimme haben und gehört werden. Im dazugehörigen Video hat Celina namenhafte Menschen vor die Kamera bekommen: Samy Deluxe, Nura, Teddy Teclebrhan, Nikeata Thompson, Harris, Tupoka Ogette, Tyron Ricketts, Alice Hasters, Aminata Belli, Aminata Touré, Annabelle Mandeng, Tarik Tesfu, Thelma Buabeng, Johnny Strange, Hadnet Tesfai uva. geben sich die Ehre. Die neue Single A.B.B. erzählt von der Veränderung ihres Körpers nach der Geburt ihres ersten Kindes und die gesundheitlichen Einschränkungen, mit denen sie bis heute zu kämpfen hat. Es ist eine herausfordernde und gleichzeitig liebevolle Reise hin zu mehr Akzeptanz und Selbstliebe für den eigenen After Baby Body und seine Veränderung.

Deine beiden letzten Songs haben einen anderen Tonfall als die leichten und heiteren Songs bisher. Wie ist es für dich, jetzt so persönliche und auch wütende Songs zu veröffentlichen?

Also ehrlich gesagt: für mich habe ich das Gefühl, dass das das wie eine Befreiung ist. Ich fühle mich irgendwie noch mehr bei mir angekommen und setze ja auch Grenzen in dem ich wütend bin, oder in dem ich sehr persönlich und emotional bin – sowohl in meinem persönlichen Umfeld als auch in meinem beruflichen. Für mich hat das etwas Befreiendes und sehr Gesundes.

In dem Song „Nie wieder Leise“ sprichst du über deine Erfahrungen mit Rassismus in Deutschland, und deine Videos dazu sind ein starkes Statement unserer Schwarzen Community im direkten Nachklang des Mordes an George Floyd. Man merkt da neben der Erschöpfung und Wut auch eine große Solidarität und Aufbruchsstimmung. Wo steht die Community jetzt? Was braucht es gerade?

Gute Frage. Es braucht vor allem nicht nur Lippenbekenntnisse der weißen Mehrheitsgesellschaft. Es braucht Menschen, die nicht negativ von Rassismus betroffen sind – also weiße Menschen – die genauso laut und solidarisch sind wie es Schwarze Menschen und Menschen of Color schon seit Jahrzehnten sind. Ich merke schon eine positive Veränderung im Diskurs, aber mir wird noch zu viel geredet und zu wenig aktiv getan gegen den strukturellen und institutionellen Rassismus in diesem Land. Denn der ist noch sehr stark und sehr mächtig.

Hast du mit den neuen Songs ein anderes Publikum? Oder auch andere Rückmeldungen zu deiner Musik?

Ich spreche mit den neuen Songs vor allem ein anderes Publikum an. Ich habe unbewusst vorher in meiner Musik es der weißen Mehrheitsgesellschaft recht machen wollen: Bloß nicht anecken, bloß nicht unangenehm sein, unbedingt gefallen wollen. Mann, war das anstrengend! Indem ich jetzt über meine Wahrheit spreche und über Themen wie Rassismus oder den Körper nach der Geburt singe, spreche ich nun mal Themen an, die für das kapitalistische Patriarchat nicht grade angenehm sind – aber es fühlt sich so viel ehrlicher und besser an! Aber was ich letztendlich für ein Publikum habe, werde ich dann sehen, wenn ich wieder live auf der Bühne stehe. Das war ja in den letzten zwei Jahren eher weniger der Fall. 

Du hast in Interviews erzählt, dass dein Vater als Musiker oft auf Tour war, und du als Kind nie Musikerin werden wolltest. Jetzt bist du selbst Mutter und Musikerin. Wie ist das für dich, in den verschiedenen Rollen zu sein – oder gewesen zu sein – und was macht das mit dir, beide Seiten zu kennen?

Ja, dass mein Vater immer auf Tour war, fand ich als Kind natürlich gar nicht toll. Jetzt wo ich selber Mutter und Musikerin bin, versuche ich Beruf und Familie öfter zu kombinieren. Manchmal geht das ja auch gar nicht anders: ich habe zum Beispiel letztens meine Tochter auf ein Konzert, wo ich aufgetreten bin, mitgenommen. Sie findet das immer super aufregend und freut sich einfach, dabei zu sein. Und ich freue mich, dass ich ihr diese andere Welt, die mir ja auch so wichtig ist, nahe bringen kann. Ich glaube, das ist etwas, was wir generell mit unseren Kindern mehr machen könnten. Warum trennen wir Beruf und Familie immer so streng? Wenn mein Vater mich damals mit auf Tour genommen hätte, hätte ich vielleicht auch ein anderes Verhältnis zum Musikerdasein gehabt. Wer weiß…

Die neue Single A.B.B setzt sich mit einem anderen Aspekt von Mutterschaft auseinander, der auch oft verschwiegen wird. Was bedeutet der Song für dich?

Dieser Song ist aus einer kompletten Verzweiflung entstanden. Ich bin ja auch heute, sechs Jahre nach der Geburt meines ersten Kindes, immer noch nicht ganz im Reinen mit meinem Körper. Ich finde es immer noch sehr schade, dass ich nicht mehr joggen gehen kann, schwere Dinge heben, dass mein Körper einfach nicht so funktioniert, wie er es mal getan hat. Ich finde es einfach unglaublich, wie sehr das Kinderkriegen besonders bei weiblichen bzw. weiblich misgenderten Personen so romantisiert wird, dass man fast gar nicht anders kann als enttäuscht zu sein, wenn es dann nicht genauso eintrifft. Mir fehlt ein wenig der ehrliche, ungeschönte Diskurs. Mir fehlt der Raum für Frauen*, in dem sie das Gefühl haben, dass ihre Bedürfnisse gehört werden und ernst genommen werden. Und in dem sie nicht nur die erfüllten, glücklichen Eltern mimen müssen, so wie es die Gesellschaft von ihnen erwartet. Deshalb habe ich diesen Song geschrieben.

Hast du das Gefühl, dass das Mutter-Sein in unserer Gesellschaft sich oft als Leistungsdruck äußert? 

Ich glaube, dass jeder Aspekt unseres Lebens von unserem kapitalistischen System beeinflusst ist – also ja, der Leistungsdruck auch auf Mütter* ist enorm. Und auch hier gibt es ein bestimmtes Bild, dem entsprochen werden muss. Und tust du das nicht, bist du „nicht gut genug“, „nicht Mutter genug“, „nicht genug wert“. Wir haben ja auch gelernt, uns ständig zu vergleichen. Aber ich merke eben auch, wie gut es Menschen tut, wenn andere ihnen zeigen, dass auch sie selbst nicht perfekt sind. Ich habe das Gefühl, dass die Menschen dieses perfekte, makellose Bild auch langsam satt haben. Wenn ich meine Echtheit, meine Zerbrechlichkeit, meinen Schmerz, offen und ehrlich zeige, dann ist das doch Motivation und Inspiration für andere, auch ihr Innerstes zu zeigen. Und Verletzlichkeit ist doch das, was uns menschlich macht. 

Was muss sich ändern an unserem Mutterbild?

An unserem Mutterbild muss sich ändern, dass es eben nicht das eine Mutterbild gibt.

Machst du politische Musik?

Eine Freundin meinte letztens zu mir, dass ich „feminist music“ mache, Musik, wo unsere Themen in den Vordergrund gerückt werden. Ich finde das passt!

Was ist politische Musik überhaupt für dich?

Ich finde vor allem, dass Rap sehr politisch ist. Es ist vielleicht die politischste Musik von allen. Rap kann unangenehm sein, unangepasst, es kann anecken, es ist laut, frech, rotzig, Straße, intellektuell, ein Abbild unserer Gesellschaft. Und es empört immer noch viele Leute. Mit der Musik von Missy Elliott, Kanye, Jay-Z, Biggy, Snoop Dogg bin ich aufgewachsen Ich kann leider für keine 5 Cent rappen, aber ich liebe diese Musik über alles, und fühle mich immer noch stark und empowert wenn ich sie höre.

Auf welche lauten Themen dürfen wir uns noch freuen in deinem kommenden Album „Nie wieder Leise“?

Uuuh, da will ich nicht zu viel verraten! Manchmal ist es ja auch ganz gut, wenn die Zuhörer*innen selber rausfinden, was für eine Message der jeweilige Song hat. Und was er für sie bedeutet. Aber ich sage mal: die großen Themen sind Community, Wut und ganz viel Liebe…

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Foto: Matt Frik

15.07.2022