Frauenchöre & Männerbands
Neue Infografik "Amateurmusizieren in Deutschland"
Die Daten der Grafik stammen aus der Studie „Amateurmusizieren in Deutschland“, die das miz im März 2021 mit großer medialer Resonanz veröffentlicht hat. Durchgeführt wurde die bevölkerungsrepräsentative Befragung ab 6 Jahren vom Institut für Demoskopie Allensbach. Die Infografik gibt Auskunft über Alter, Geschlecht, Bildungshintergrund und Wohnort der Musizierenden. In seinem Beitrag „Kinderspiel bis Lebensprojekt“ beleuchtet Wolfgang Lessing das Musizierverhalten in unterschiedlichen Altersklassen, sozialen Schichten und Orten. Er ist Professor für Musikpädagogik an der Hochschule für Musik Freiburg und befasst sich in seinen Forschungen u. a. mit dem Musiklernen in Institutionen. Derzeit leitet er ein Projekt zum Thema „Musikvereine als Orte kultureller Bildung“.
Frauen singen in Chören, Männer spielen Instrumente in Bands
Die erfreuliche Nachricht gleich vorneweg: etwas mehr Mädchen und Frauen musizieren in ihrer Freizeit (19,4%) als Jungs und Männer (18,2%)! Die häufig anzutreffende Wahrnehmung, es gäbe viel mehr männliche Musiker, trifft zumindest auf den Laienmusikbereich nicht zu. Die Art des Musizierens unterscheidet sich jedoch erheblich: Mehr als doppelt so viele weibliche wie männliche Personen (nämlich 50 im Vergleich zu 23,4%) singen in ihrer Freizeit. Und sie tun dies vor allem in Chören: von den 26% der Musizierenden, die in Chören singen, sind drei Viertel Frauen, meist älter als 30 Jahre. Damit ist nicht überraschend, dass das Singen als solches mit insgesamt 37,5% hinsichtlich seiner Häufigkeit noch deutlich vor den populärsten Instrumenten (wie etwa Blockflöte, Gitarre und Klavier) liegt.
Diese markanten Geschlechterunterschiede setzen sich – wenig überraschend – auch im Bereich des Instrumentalspiels fort. Der weiblichen Präferenz für das Singen steht die Tatsache gegenüber, dass die männlichen Musizierenden zu 92,8% ein Instrument spielen, während es bei den weiblichen „nur“ 75,9% sind. Auch die Instrumentengattungen scheinen noch immer stark mit Gender-Klischees belegt zu sein: Mädchen und Frauen entscheiden sich für Klavier (33,3%), Blockflöte oder Gitarre. Elektronische Instrumente sind eher bei Jungs und Männern beliebt, sie bevorzugen Instrumente aus der Popularmusik wie die E-Gitarre (41,6%), E-Bass, Keyboard oder Schlagzeug oder spielen ein Blechblasinstrument. Auch beim Spielen in einer Band scheint es sich um eine Männerdomäne zu handeln, bei der sicherlich Rollenvorbilder aus der Pop- und Rockmusik Einfluss haben; das Bandspiel wurde hauptsächlich von Männern zwischen 16 und 44 Jahren genannt.
Mädchen & Jungs liegen bei Instrumenten gleichauf
Die geschlechterstereotype Aufteilung zeigt sich nicht in allen Altersklassen: bei den musizierenden Kindern ist das Geschlechterverhältnis noch mit jeweils 96% ausgeglichen (!). Das bedeutet anscheinend, dass Mädchen eher mit dem Instrumentenspiel aufhören (und sich dem Singen zuwenden?). Grundsätzlich sinkt die Zahl jedoch kontinuierlich bei beiden Geschlechtern ab dem 16. Lebensjahr. Sind es bei den 11-15jährigen noch fast die Hälfte, die musizieren, sind es bei den 16-29jährigen nur noch 30%. Ab dem 30. Lebensjahr sinkt die Zahl der Amateurmusiker*innen auf 12-13%.
Je früher mit dem Spielen begonnen wird, umso intensiver wird es später betrieben. Amateurmusizierende, die täglich oder mehrmals in der Woche musizieren, haben im Durchschnittsalter von 10 Jahren begonnen, während ein späteres Einstiegsalter in aller Regel zu einem weniger intensiven Musizierverhalten führt.
Menschen aus einkommensschwacheren Schichten musizieren weniger
Menschen mit einem hohen sozioökonomischen Status musizieren deutlich häufiger (31,3%) im Vergleich zu Personen mit niedrigem bzw. mittlerem Status (12,7 bzw. 16,9%). Der Autor Wolfgang Lessing findet hier bedeutsam, dass das Verhalten der Menschen mit mittlerem sozioökonomischen Status in Bezug auf das Musizieren eher demjenigen von Personen mit niedrigem Status entspricht, während Untersuchungen der empirischen Bildungsforschung ansonsten eher zeigen, dass mittlerer und hoher Status eine Einheit bilden. Daraus ließe sich eventuell folgern, dass das Musizieren für Menschen mit mittlerem Status nicht unbedingt den Charakter eines erstrebenswerten Statussymbols besitze.
Die Korrelation von Musizieren und hohem Status zeigt sich, wenngleich in abgemilderter Form, bereits bei Kindern und Jugendlichen bis 15 Jahre: 63% der Kinder höherer Einkommensklassen musizieren im Gegensatz zu 41 der mittleren und 35% bei den niedrigen Einkommensschichten. Damit würde klar: Auch wenn durch schulische Klassenmusizierprojekte (Streicher- und Bläserklassen) oder Initiativen wie JeKits in den vergangenen Jahren umfassende Teilhabemöglichkeiten geschaffen worden seien, scheine die Ungleichheit der Verwirklichungschancen nach wie vor ein zentrales Problem darzustellen, mit dem sich Bildungspolitik und musikpädagogische Arbeit auch künftig auseinandersetzen müssten, schreibt Lessing.
Bands im urbanen, Vereine im ländlichen Raum
Große Unterschiede lassen sich auch hinsichtlich der Frage erkennen, ob in ländlichen oder städtischen Räumen musiziert wird. So gibt es in urban geprägten Regionen deutlich mehr Bands als auf dem Land, wo Vereine eine besonders große Rolle spielen. Dies zeigt sich bspw. im ländlichen Raum Süddeutschlands, wo die Musikvereine mit ihren Ausbildungs- und Verbandsstrukturen gemeinsam mit den Musikschulen eine wichtige Funktion im kulturellen Leben übernehmen. Kaum regionale Unterschiede weist hingegen das Musizieren in der Kirche oder in Chören auf.
Welche Erfahrungen macht ihr in eurer musikpädagogischen Arbeit? Habt ihr Best Practice-Beispiele, mit denen ihr z.B. Geschlechterstereotype erfolgreich überwunden habt? Wir freuen uns über euer Feedback per Mail!
Das Infografik-Poster ist die dritte Ausgabe innerhalb der Infografikserie „Musikleben in Zahlen“ und kostenlos gegen eine Versand- und Servicepauschale beim miz erhältlich.
(Titelbild: Yan Krukov)
06.07.2021