Bis zur Selbstverständlichkeit
Das Jubiläums-Podium
Es diskutierten Gabriele Rummel aus dem Vorstand des Vereins Frauen machen Musik e.V., Maria Schmitt von Waggong e.V., Christina Schamei als Mitgründerin des PENG Festivals Essen, Merle Bremer von der internationalen Gleichstellungs-Initiative Keychange und Prof. Dr. Barbara Hornberger, Professorin für Didaktik der populären Musik an der Hochschule Osnabrück mit den Schwerpunkten Diversity und gendersensible Lehre. Die Moderation hatte Christina Mohr, Musikjournalistin u.a. bei Spex, Missy Magazine und CulturMag.
Aufbruchstimmung in den 80ern – „Wir wollten mit Frauen spielen, es hat total Spaß gemacht“
Die lange Vereinsgeschichte des Frauen Musik Büros hatte in den Achtzigerjahren ganz praktische Anfänge: „Es ging gar nicht unbedingt darum, nicht mit Männern spielen zu wollen“, sagt Maria Schmitt (Foto links) von ihrer Zeit in den Frankfurter all-female Punkbands Strapaze und Point Blank (Foto rechts). Mit Frauen* spielen habe einfach Spaß gemacht, „wir haben viel gespielt und viele Auftritte gehabt.“ Auch Gabriele Rummel (Foto unten links) erinnert sich vor allem an die große Lust unter Frauen*, zusammen Musik zu machen. Bei den „Frauen Musik Wochen“, mit denen alles anfing, mussten regelmäßig Bewerberinnen* abgelehnt werden. „Es war, als hätten wir etwas gemacht, auf das alle schon ganz lange gewartet haben.“
Was für beide dann doch „störend“ war, war stets der Blick von außen. Das Interesse der Medien galt dem Frau*sein, nicht der Musik. „Das war die umgekehrte Reihenfolge unserer Priorität “, sagt Schmitt. Die Bands wurden als Kuriosität besprochen, kriegten den Stempel „Frauenmusik“ verpasst, wurden zum Randphänomen. Wenn man online nach Schmitts Band Strapaze sucht, spuckt die Suchmaschine übrigens die Strassenjungs aus. Der Kampf für Selbstverständlichkeit begleitete das Musikmachen und führte schließlich zur Gründung des Vereins „Frauen machen Musik e.V“ und dem Frauen Musik Büro in Frankfurt.
Keychange und Peng!-Festival: Sich die großen Bühnen nehmen
Dass Frauen*-Musikinitiativen nach wie vor aus einer Notwendigkeit geboren werden, zeigt die Entstehung des Peng!-Festivals, das ausschließlich weibliche* Bandleaderinnen* präsentiert. Jazzmusikerin Christina Schamei (Foto links) erzählt, dass am Anfang der persönliche Austausch über unangenehme Situationen stand. Hinter der Masse an individuellen Eindrücken wurden dann nach und nach Strukturen sichtbar. Auch das Stigma lebt: Bedenken gäbe es oft, auf einem reinen „Frauenfestival“ zu spielen, bis hin zu der Angst, von den Kolleg*innen verspottet zu werden. Sei das Festival dann in Gang, gäbe es aber immer positive Rückmeldungen, unter anderem zu dem demokratischen Umgang miteinander. Merle Bremer (Foto rechts) sitzt für Keychange auf dem Podium, eine Initiative, die klare Verhältnisse auf den großen Bühnen schaffen will. Neben Förderprogrammen für Musikerinnen* gibt es von Keychange die sogenannte Pledge, eine Absichtserklärung, die schon über 400 internationale Musikorganisationen unterzeichnet haben. Damit erklären sie schriftlich, bis 2022 eine 50/50-Verteilung bei sich zu erreichen. Männerbühnen stürmen oder eigene Räume eröffnen, darin steckt die Grundfrage: Wer hat die Verantwortung für den Wandel?
Von Barrieren, Bands und Banden
Schwerfällige Ausbildungsmechanismen
Die Genderverhältnisse an der Hochschule sprechen eine klare Sprache. In der Musikdidaktik, wo Barbara Hornberger (Foto links) lehrt, fehlen Instrumentalistinnen* fast komplett, ausgenommen die Studentinnen* „in der Streicherabteilung der Klassik“. So wird Profi-Instrumentalmusik u.a. hier zum homosozialen Raum. Faktoren, die das Berufsfeld von vornerein für Frauen* verschließen, Hornberger zufolge: das Fehlen weiblicher Stars an Instrumenten als Rolemodels, Genderblindheit der Branche etwa in Bezug auf Mutterschutz und starr nach dem Leistungsdruck-Prinzip konzipierte Eignungsprüfungen, ein aus feministischer Perspektive durchaus fragwürdiges Konzept. Ähnlich beschreibt Maria Schmitt die Genderverhältnisse bei Waggong: Im Schlagzeugunterricht ist das Verhältnis unter den Kinder und Jugendlichen 4:25, unter den Lehrenden ist bloß eine Schlagzeuglehrerin. Nach wie vor sei es sehr schwierig, genügend Instrumental-Lehrerinnen* oder -Dozentinnen* zu finden.
Mädchenbands/Jungsbands?
Woran liegt das? Hornberger beobachtet, dass schon durch die nach wie vor unterschiedliche Sozialisation von Mädchen* und Jungen* Veränderung und Öffnung blockiert würden: Mädchen* machten ihre Erfahrungen oft in pädagogisch begleiteten Musikprojekten, während „Jungs im Keller Krach machen“ und Band-Konflikte ganz anders ausfechten. Eine Studentin drückte es so aus: „Die Jungs sind halt so in ihrem Habitat.“ Habitat, das seien feste Verhaltens- und Sprech-Codes, über was wird wie geredet, „Jazztalk“. Durch die zahlenmäßige Überlegenheit männlicher* Musiker in Bands, an Hochschulen, auf Konzerten und Jamsessions seien Frauen* schnell gezwungen, sich an bestehende Muster anzupassen: denn „man will ja noch mit den Jungs mitspielen.“ Auch Rummel war überrascht, als sie nach langer Zeit in Frauen*bands als einzige Frau in einer Band landete: Die Entscheidungsstruktur sei plötzlich völlig anders gewesen.
Keine Ballade! Ist was mit dem Raum falsch?
„Wenn jemand in einen Raum nicht rein will, kann man natürlich ganz lange darüber sprechen, wie man diese Person dazu befähigt, diesen Raum zu betreten. Aber eine mögliche Fragestellung wäre auch: Ist der Raum falsch konstruiert?“ Diese Frage, sagt Rummel, stelle sich aber gerade ungeheuer selten bei den männlichen Personen, die auswählen. Diese männlichen Gatekeeper setzten oft bewährte Maßstäbe an und stünden nicht unter demselben Druck, die Perspektive zu ändern. Bremer kann dazu aus der Keychange-Perspektive erzählen, dass die artists in repertoire der Labels ebenfalls hauptsächlich männlich sind, eine Beobachtung die Christina Mohr aus ihrer journalistischen Arbeit teilt: Die Frauen* machten bei den Labels eher die Promo für die Musik, die die Männer ausgesucht haben. Bremer: „Es sind aber genau diese Abteilungen, die Trends mitbestimmen, die Festivals zusammenstellen, die durch Auswahl auch Bewegungen mitgestalten.“
Das gilt auch für die Frage des Repertoires, fügt Hornberger hinzu. Anschaulich zeigt das wieder der Fall einer Studentin, die bei Sessions mit männlichen Kollegen zwar „schon singen darf“, aber unter einer Voraussetzung: „Keine Ballade“. Als „Frauenmusik“ werden also auch Stilrichtungen abgewertet, die von den Gatekeepern für zu sentimental, emotional, trivial empfunden werden. Es geht also auch um etwas viel Unsichtbareres, um Wertigkeiten. Darum: Wessen Geschmack, wessen Ideen, wessen Anliegen sind legitim?
Wo stehen wir?
Die Schlusstöne sind teils ernüchtert, teils hoffnungsvoll. Man ist sich einig, dass die Verantwortung nicht nur bei den Frauen* selbst liegt, sondern gerade bei denjenigen, die auf Machtpositionen sitzen. Patriarchale Strukturen gehen nicht einfach so weg, erinnert Rummel. Nur gegen das System geht es nach Hornberger aber auch nicht. Es gehe darum, männliche* Personen dafür zu sensibilisieren, dass sie etwas verändern können. Geteilt wird hier die Erfahrung, dass die Bereitschaft in den jüngeren Generationen oft größer ist, von der gewohnten männlichen* Perspektive und Positionen zurückzutreten. Im Keychange-Universum sieht Merle Bremer in ihrer Arbeit einen realen Wandel, das heißt auch viele Männer*, die mit für die Veränderung der Machtverhältnisse eintreten. Am Ende dieses spannenden Austauschs steht eine gemischte Bilanz, Grund zum Weitermachen.
Für das Jahr 2021 wünschen wir von MELODIVA uns eine echte Jubiläumsparty, auf der sich die Generationen dann hoffentlich real begegnen und austauschen können.
Die ganze Diskussion gibt es auf unserem YouTube Kanal hier und einen Zusammenschnitt der Highlights hier.
Autorin: Marie Koppel
28.01.2021