Stella Sommer

“Northern Dancer“

Schon allein für die Stetigkeit und Menge ihres Outputs muss man sie bewundern: 2018 erschien Stella Sommers erstes englischsprachiges Soloalbum „13 Kinds Of Happiness“, ein Jahr später die großartige Platte „Was passiert ist“ mit ihrer Band Die Heiterkeit, jetzt, zum Ende des ersten Corona-Jahrs ein weiteres Soloalbum: „Northern Dancer“ heißt es und erscheint auf Sommers neu gegründetem Label Northern Dancer Records, das Sommers Souveränität zusätzlich auf wirtschaftlicher Basis belegt. Und auch wenn man meteorologische Bezüge aus Besprechungen besser rauslassen sollte: Angesichts dunkler werdender Tage und aufziehender Herbststürme kann man sich keine passendere Begleitung wünschen als Stella Sommers zehn neue Lieder, die in sich zu ruhen scheinen und doch in tausend dunkelbunten Farben schillern. Als orchestralen Folk könnte man Sommers Musik beschreiben, oder Gothic-Chanson mit Blick zurück in die Sechzigerjahre, aber solche Begrifflichkeiten führen letztlich nirgendwo hin. Dennoch wird nach Anknüpfungsmöglichkeiten gesucht, vergleicht Sommer wegen ihres artifiziellen Gesangsstils mit Nico, Alexandra, Marianne Faithfull oder Laura Nyro – doch je länger man Stella Sommer zuhört, desto mehr begreift man, dass ihr nicht daran gelegen ist, nostalgischen Vorbildern nachzueifern. In der hiesigen Poplandschaft ist Stella Sommer eine autarke, von Moden und Stilen unabhängige Künstlerin, der es gelingt, nur sich selbst als Bezugspunkt zu haben. Das klingt viel hermetischer, als es in Wirklichkeit ist, auch „Northern Dancer“ entstand in Zusammenarbeit mit guten Freund*innen, die ganz nebenbei auch fantastische Musiker*innen sind: Oliver Heinrich (Drangsal) spielt Horn, Sam Vance-Law und Martha Rose die Geigen, Jannis Kleis sorgt mit Becken und Pauken für Percussion, Stella selbst singt, spielt Gitarre, Klavier und Synthesizer – ein eher klassisches Instrumentarium, produziert von Max Rieger (Die Nerven), der Sommers Arrangements kongenial umsetzt. Die Stücke pulsieren, schwellen an und ab, reichen weit in die Ferne und verweilen in Details, sind sanft wie vorbeistreichendes Engelshaar und doch ganz fest und stark. Wasser spielt eine zentrale Rolle: das Meer, ein See, Wellen erzeugen eine buchstäblich elementare Atmosphäre. Ganz obenauf, erhaben, so sehnsuchtsvoll wie zuversichtlich prangt Sommers Stimme, die zeitlose Geschichten erzählt, die gerade jetzt besonders ins Gemüt treffen: „we only part to meet again“, singt sie, von vielfarbigen Schatten und Blumen in ihrem Garten, die sich störrisch weigern zu blühen. „Northern Dancer“ nimmt dich an der Hand und schwebt mit dir übers Wasser.

CD, 2020, 10 Tracks, Label: Northern Dancer Records

Christina Mohr

02.11.2020