Freie Stimmen

Ein Interview mit Veronika Morscher von "Of Cabbages And Kings"

Das Kölner Neo-A Cappella-Quartett hat bereits viele begeisterte Zuhörer*innen gewonnen; mit „Konkurrenzlos kunstvoll“, „verblüffend vielgestaltig“ und anderen alliterierenden Adjektiven werden die vier Sängerinnen in Reviews und Konzertankündigungen beschrieben. Im Herbst sind sie bei unseren Melodiva Club Concerts zu hören und geben gleich noch einen Workshop hinterher.

Im Interview verrät Veronika Morscher uns, was das Besondere am Musikmachen in einer A Cappella-Band ist, wie man musikalische Prozesse demokratisch organisiert und wie man zwischen internationalen Konzertreisen die Ruhe und Inspiration zum Komponieren findet.

Wann und wie seid ihr als Band zusammengekommen? 
Unsere Band wurde im Herbst 2015 gegründet. Wir vier Sängerinnen – Rebekka Ziegler, Laura Totenhagen, damals noch Sabeth Pérez und ich – waren Teil des Bundesjazzorchesters, einer Bigband mit 10-stimmigem Vokalensemble. Hier werden junge Jazzmusiker*innen von renommierten Dirigenten und Dozenten gefördert. In diesen zwei Jahren haben wir bei der Erarbeitung verschiedener Programme das Ensemble-Singen lieben gelernt. Nachdem unsere Zeit im „Bujazzo“ vorbei war, verabredeten wir uns weiterhin zum Singen und wir begannen füreinander Stücke zu schreiben. Aus dem ersten Impuls heraus, den Gesang im Ensemble auch außerhalb des „BuJazzOs“ weiterzuentwickeln, ergaben sich ganz natürlich weitere Schritte.

Seit eurer Gründung hat sich die Besetzung schon einmal geändert – Sabeth Pérez ist gegangen, Zola Mennenöh ist dazugekommen, und das kurz vor eurer ersten CD-Veröffentlichung („Aura“) Ende 2018. Was macht das mit einer so jungen Band?

Foto: Karl-Heinz Krauskopf

Ja, das Timing dafür war nicht wirklich ideal, denn das bedeutete, dass wir bei allen Release-Konzerten in neuer Besetzung auftreten mussten. Für uns alle war dieser Wechsel nicht leicht, da wir die Band gemeinsam mit Sabeth Pérez gegründet und zu etwas aufgebaut hatten, hinter dem wir alle musikalisch stehen konnten. Sabeth bekam die großartige Möglichkeit, ein Masterstudium in New York zu absolvieren und zog im Sommer 2018 nach Amerika. Wir entschieden uns dann, in neuer Besetzung weiterzumachen, da bereits viele Konzerte für die bevorstehenden Monate in Planung waren und wir keinen guten Kompromiss finden konnten, wie wir mit den Anreisen zu den Konzerten und der weiteren Bandplanung umgehen sollten. Dieser Prozess der Entscheidungsfindung sowie der der Eingewöhnung für Zola war für alle auf unterschiedliche Weise intensiv. Die Leidenschaft für das gemeinsame Singen und die Freude an der Band hat uns aber zusammengehalten und im Nachhinein hat uns der Prozess sogar gestärkt. Wir diskutieren viel und konstruktiv, tauschen uns aus und entwickeln „Of Cabbages and Kings“ zu viert und mit Fokus auf einen gemeinsamen Nenner als Basis.

Warum A Cappella? Was ist der Unterschied zum Musikmachen mit einer Instrumentalband?
Das war nicht unbedingt eine bewusste Entscheidung. Eher bestand bei uns allen das Bedürfnis, die Rolle der Stimme innerhalb einer Band zu verändern. Wir wollten mehr Freiheit als Sängerinnen und suchten nach Möglichkeiten, wie wir kompositorisch, stimmlich sowie improvisatorisch experimentieren konnten. Langsam entwickelte sich dann unsere Band vom Septett (Schlagzeug, Kontrabass, Klavier und vier Stimmen) zu der jetzigen Formation: unserem Neo-A Cappella-Quartett. In diesem Setting liegt viel Gewicht auf Präzision, Zuhören, dem Übernehmen von Verantwortung, Interaktion und Durchhaltevermögen. Es gibt eigentlich nie einen Moment, indem man sich ausruhen kann – körperlich sowie mental, weil sonst alle anderen einen Nachteil hätten. A Cappella-Gesang fordert auf ganz besondere Weise, und die Herausforderung reizt uns sehr.

Wie ist euer Name entstanden? Was bedeutet er?
Der Name „Of Cabbages and Kings“ war das Resultat unserer Suche nach etwas Außergewöhnlichem. Wir wollten etwas finden, was Vielseitigkeit ausstrahlt und aufhorchen lässt. Rebekka brainstormte mit ihrer Mutter Lisa und gemeinsam erinnerten sie sich an einen Halbsatz aus einem Gedicht von Lewis Carroll, das er in „Alice im Wunderland“ verwendet:

„The time has come“, the Walrus said,
„to talk of many things:
Of shoes and ships – and sealing wax –
Of Cabbages and Kings.“

Für uns ist der Name nicht nur außergewöhnlich und eigenartig, sondern spiegelt auch inhaltlich ziemlich gut wider, was uns wichtig ist: Kontrast zwischen Erdigem und Abstraktem, zwischen Improvisation und Roh-Belassenem und Präzision und Veredelung: wie Kohlköpfe und Könige.

Ihr habt zum Teil sehr unterschiedliche musikalische Backgrounds und Schwerpunkte. Wie entscheidet ihr, welche musikalische Richtung ihr einschlagt? Wie findet ihr die Balance, und wer hat das letzte Wort über Klang und Interpretation?
Unser Bandgefüge zeichnet sich dadurch aus, dass wir absolut demokratisch agieren. Alle Entscheidungen werden gemeinsam getroffen. Tatsächlich werden unsere Vorstellungen und Meinungen, je mehr wir zusammen singen, immer homogener. Aber natürlich nicht immer. Gerade Zukunftsplanung bzw. Repertoire-Entscheidungen müssen ausdiskutiert werden. Wir nehmen besondere Rücksicht auf alle jeweiligen persönlichen Präferenzen, um etwas zu entwickeln, hinter dem alle stehen können. Diese Herangehensweise färbt auch auf unsere musikalische Zusammenarbeit ab.

Die musikalische Vielfalt ergibt sich daraus, dass jede Sängerin andere musikalische Einflüsse mitbringt und für ihre jeweiligen Kompositionen aus ihnen schöpft. Das Komponieren geschieht eigentlich immer separat, aber das Erarbeiten und die nötigen strukturellen bzw. künstlerischen Entscheidungen werden gemeinsam getroffen. Dabei ist uns wichtig, dass sich jede von uns musikalisch vollends repräsentiert fühlt und das Gefühl hat, persönlich einen signifikanten Teil des Ganzen auszumachen. Das macht die Zusammenarbeit umso spannender und wertvoller. Zudem können wir dadurch unendlich viel voneinander lernen und sind musikalisch breit aufgestellt.

Vom Cover über Vertonungen zu eigenen Songs… wie wählt ihr aus, was ins Programm kommt?
Zu Anfang ging es wie gesagt darum, sich dem A Cappella-Gesang anzunähern. Wir begannen mit schon existierenden Eigenkompositionen, die wir für uns vier arrangierten oder mit Bearbeitungen von Jazzstandards. Die Auswahl war erst mal relativ unzusammenhängend. Im Frühjahr 2016 verfassten wir dann ein komplettes Programm aus Vertonungen von Shakespeare-Sonetten. Der Themenschwerpunkt war die Liebe in Shakespeares Sonetten und die Universität zu Köln gab uns den Auftrag, für ein Konzert und zur Feier des Shakespeare-Jahres 2016 Kompositionen zu verfassen. Im Jahr 2018 entstand – wieder aufgrund einer Konzerteinladung – ein neues Programm zum Thema „Deutsche Lyrik“. Wir vertonten deutsche Gedichte, die uns inhaltlich, strukturell oder rhythmisch besonders reizten. Dazwischen schlichen sich immer wieder Arrangements aus dem Pop-Bereich ein – hauptsächlich arrangiert von mir. Und eine Mischung aus diesen ganzen Songs ergibt unser jetziges Repertoire.

Aktuell arbeiten wir gerade an einem neuen Programm mit Schwerpunkt auf Eigenkompositionen. Wir haben im Juli ein zugrundeliegendes Thema gefunden, was uns alle inspiriert, und schreiben eifrig an den neuen Stücken. Auf welches Thema wir uns geeinigt haben, behalten wir noch für uns – damit es am Ende auch eine Überraschung ist. Bei vier Komponistinnen sind die Herangehensweisen und die Inspirationsquellen natürlich vielseitig, aber über das gemeinsame Thema und das gemeinsame Ziel, das wir für unsere Kompositionen im Auge haben, kommen wir gut zusammen: Erst die gemeinsame Erarbeitung und dann der Liveauftritt.

Ihr seid zur Zeit ziemlich viel unterwegs. Wo und wie findet ihr die nötige Auszeit?
Im Frühjahr hatten wir viele Engagements, wodurch wir viel Routine gewinnen konnten – das hilft bei der wachsenden Dichte von Konzerten und gleicht den Stress ein wenig aus. Allerdings braucht es dazwischen natürlich trotzdem ruhige Momente. Wir versuchen, uns jeweils ein paar Tage nach den Touren freizuschaufeln und generell die Arbeit zwischen Booking und Büro, Schreiben und Auftritten gut zu balancieren. Die Auszeit – merken wir immer mehr – muss man sich als Freiberuflerin selbst nehmen und vor allem Ruhepole mit einplanen.

Foto: Florian Fries

Und was waren dabei besonders schöne Momente?
Besonders schöne Momente gab es dabei im letzten Jahr einige: Unsere erste CD wurde über KLAENG Records in Köln veröffentlicht und erhielt positives Feedback, worüber wir sehr dankbar sind. Wir konnten viele Konzerte in Österreich und Deutschland spielen und unheimlich interessante Menschen kennen lernen. Im April hatten wir durch die Unterstützung der Werner Richard – Dr. Carl Dörken Stiftung die Möglichkeit, mit Theo Bleckmann, dem in New York lebenden Ausnahmevokalisten, an unserem Repertoire zu arbeiten. Im Mai traten wir beim Jazzfest Bonn auf und konnten bei der Eröffnung des Jazzfests u.a. für den Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier und die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker singen. Wir fuhren nach Finnland zu einem A Cappella-Wettbewerb und erreichten dabei den zweiten Platz. Auch da lernten wir super liebe Leute kennen und verbrachten intensive Zeit miteinander, was uns weiter zusammenschweißte. Mitte Juli war wohl eines der bisherigen Highlights: Wir spielten ein Doppelkonzert mit der unglaublichen Becca Stevens und sangen zusätzlich Background für sie.

Vielen Dank an Veronika für das Interview! Wir freuen uns sehr, die königlichen Kohlköpfe im September in Frankfurt zu hören und im Workshop persönlich kennenzulernen.

Im Januar haben wir eine Review zur CD „Aura“ veröffentlicht, hier gibt es Infos zum Melodiva Club Concert und zum Workshop.

Autorin: Maria Bätzing

02.08.2019