Jessie Ware

“Tough Love“

Eins kann man Jessica Lois “Jessie” Ware wirklich nicht vorwerfen: dass sie Angst vor großen Gefühlen hätte. Ganz im Gegenteil, die einstige Gastsängerin von SBTRKT und Joker badet auf ihrem neuen Album nach dem Überraschungserfolg „Devotion“ (2012) tief in „sweet love“, hadert mit „tough love“ und kennt keine emotionalen Grauzonen dazwischen.
Auch wenn überall auf Jessie Wares Indie-Vergangenheit abgehoben wird, ist „Tough Love“ so alternative wie, sagen wir, Adele oder Leona Lewis. Die elf Songs sind allesamt glossy Hits, eingängig und pompös produziert von Producergespann BenZell, das auch für Katy Perry arbeitet. Schmachtfetzen wie „Say You Love Me“ treffen auf Powerballaden zum Mitschmettern („Pieces“), ihre Clubvergangenheit zelebriert Jessie Ware mit tanzbarem Achtziger-Elektro („Want Your Feeling“, „Running“) und zieht den Hut vor dem Soul-Jazz der großen Sade („Sweetest Song“). Durchgehendes Thema: Die Liebe, siehe oben, entweder verzweifelt oder verzückt – was im Übrigen voll und ganz Jessie Wares Privatleben entspricht. Das Love-Forever-Versprechen, das sie kürzlich ihrer Jugendliebe und inzwischen Gatten Sam Burrows gab, begeisterte Yellow- und Musikpresse gleichermaßen. Dementsprechend wirft sich Ware in jeden Track, als sei es ihr erster (oder ihr letzter) und diese geballte Leidenschaft ihrer rauchigen Stimme ist es, die „Tough Love“ dann doch so unwiderstehlich macht: Auch die Hörerin im fortgeschrittenen Alter fühlt sich mit Jessie wie ein Teenager, der/die zu Robin Becks Coca-Cola-Hit „First Time“ heftigen Liebeskummer ausagiert. Was ich sagen will: Keine Angst vor großen Gefühlen – „Tough Love“ ist echt okay. Mehr als das.

CD, 2014, 11 Tracks, Label: Island

Christina Mohr

15.10.2014