Poly Styrene
“Generation Indigo“
Wenn man weiß, dass die Künstlerin schwer krank ist, ist man in der kritischen Rezeption eines neuen Werks möglicherweise etwas befangen. Poly Styrene, ehemalige Sängerin von X-Ray-Spex und archetypisches Riot Grrrl der allerersten Stunde, erkrankte kurz vor Veröffentlichung ihres Comebackalbums „Generation Indigo“ an Brustkrebs, dem sie am 25. April im Alter von 53 Jahren erlegen ist. „Generation Indigo“ ist damit ihr musikalisches Erbe – und eine tolle Platte: die Britin kreischt zwar nicht mehr so entfesselt und aufgedreht wie zu seligen Punktagen, aber nichts wäre schlimmer, als wenn sich Poly an Aufgüssen von „OH Bondage! Up Yours“ oder „Identity“ versucht hätte. Polys Stimme klingt erstaunlich hell und jugendfrisch, manchmal ein bisschen wie Debbie Harry. Die zwölf von Youth (The Verve, Edwyn Collins) produzierten Songs pendeln fröhlich und entspannt zwischen 80’er-Synthiepop und Dub-Reggae, ein bisschen Disco hier, ein wenig Rock dort, Punk-Attitüde überall. Der Opener „I Luv Ur Sneakers“, „L.U.V.“ und die Single „Virtual Boyfriend“ sind knackige, tanzbare Hits mit Ohrwurm-Melodien, die auch junge Gossip-Fans begeistern dürften. Denn: „Generation Indigo“ ist keineswegs so revolutionär wie das legendäre X-Ray-Spex-Album „Germ Free Adolescents“. Poly Styrene bevorzugt heute eher bewährte Sounds, die im Großen und Ganzen dem „Indie“-Sektor zugerechnet werden können. Wie ihre Kolleginnen von den Slits, die sich vor anderthalb Jahren mit einem neuen Album zurückmeldeten, muss Poly Styrene nicht mehr beweisen, dass sie eine der wildesten, wagemutigsten und ungewöhnlichsten Punk-Frauen war. Ihre damals demonstrativ getragene Zahnspange schimmert durch, wenn sie bei „No Rockefeller“ oder „Kitsch“ unmissverständlich klarmacht, dass ihr Herz noch immer ganz ganz links schlägt. Auch wenn die Umstände tragisch sind: „Generation
Indigo“ ist eine rundum erfreuliche Angelegenheit, die vielleicht hilft, Poly Styrenes Tod zu verarbeiten.
CD, 2011, 12 Tracks, Label: Future Noise
Christina Mohr26.04.2011