Lydia Daher mit Band

“Flüchtige Bürger“

Als 2007 Lydia Dahers erste CD erschien, bekam das Feuilleton vor Staunen und Begeisterung den Mund nicht mehr zu – zu Recht, denn sowas hatte man noch nicht gehört. Die 1980 in Berlin geborene und seit langem in Augsburg (man beachte die Richtung des Umzugs) lebende Lyrikerin und Poetry-Slammerin begleitete sich und ihre Texte mit Westerngitarre und ein paar Spielzeuginstrumenten, nahm das Ganze d.i.y.-mäßig zuhause per Musiksoftware auf und fertig war eins der umwerfendsten deutschsprachigen Debütalben der letzten Jahre. Pointiert und poetisch, hellwach und scharf beobachtet, lustig, ernst, romantisch und sarkastisch waren diese Songs, von denen „Gott wohnt hinter meinem linken Ohr“ sogar ein kleiner Hit wurde. Wer Lydia Daher mal live gesehen hat, wird das nicht so schnell vergessen: die kleine, drahtige Künstlerin hat eine enorme Bühnenpräsenz, die unwirkliche Situation des Alleine-auf-der-Bühne-Stehens lässt sie dabei nie unkommentiert. Womit wir bei ihrem zweiten Album angelangt sind: Lydia Daher ist nicht mehr allein. Für „Flüchtige Bürger“ holte sie Sebastian Giussani und Deniz Khan an Bord, die ihre Songs mit Bass, Klavier, Xylophon, Schlagzeug und Background-Gesang unterstützen. Schon beim Opener, der Lassie Singers-Hommage „Auf Augenhöhe mit der Welt“ wird schmerzlich klar: Lydia Daher braucht keine Unterstützung. All die Instrumente und Jungschöre sind überhaupt nicht nötig, schlimmer noch: Lydia Daher mit Band machen gefälligen, urbanen, melancholisch-balladesken Singer-/Songwriter-Pop, wie es ihn zuhauf gibt. Dahers Texte wollen sich festhaken, in Ohr und Hirn krallen, im Bandgewand wirken sie glattgebügelt, gebremst und unangemessen brav, so als hätte man Patti Smith einen Scheitel in die wirre Mähne gezogen und Glanzhaarspray darauf gesprüht. Am besten ist Daher, wenn sie sich von ihren Kollegen losreißt, nach vorne prescht: „Komm schon, komm schon, komm schon“ fordert sie aufrührerisch, hier klingt sie so wendig, schlau und schnell, wie sie eigentlich ist. Auf „Flüchtige Bürger“, dessen Titel scheinbar so perfekt zum zwanzigsten Jahrestag der gesamtdeutschen Vereinigung passt, ist Daher kaum politisch, sondern vorwiegend ganz privat. Und wenn sie in dem nachdenklichen Liebeslied „Hier bei mir“ singt, sie sei „Herrin der Lage“, hört sich das für ihre Verhältnisse ganz schön verzagt an….

CD, 2010, 12 Tracks, Label: Trikont

Christina Mohr

14.10.2010