M.I.A.
“Maya“
Niemand außer der 35-jährigen Maya Arulpragasam alias M.I.A. vereint heute noch Pop, Politik und Stil – so definiert der Musikkritiker einer deutschen Tageszeitung M.I.A.s Rolle im aktuellen Musikgeschäft. Leider geht er nicht weiter darauf ein, wer M.I.A.s VorgängerInnen sein könnten, sondern stellt ihr Madonna und Lady GaGa als oberflächenverherrlichende Kunstfiguren gegenüber. Aber auch M.I.A., /Missing in Action/Gefallen im Kampf/ ist eine Kunstfigur, von Maya Arulpragasam erfunden, um deren Lebensgeschichte in die Welt zu tragen: Geboren in London, aufgewachsen in Sri Lanka als Tochter eines tamilischen Revolutionärs. Wegen der Unruhen in Sri Lanka als Zehnjährige mit der Mutter zurück nach London, wo sie sehr früh ein ausgeprägtes Pop-, Politik- und Stilbewusstsein entwickelt. Studiert Kunst, macht Mode, Grafik und dreht Filme – Elektroclasherin Peaches ist es schließlich, die Maya/M.I.A. zum Musikmachen ermuntert. M.I.A. lässt die Groovebox durchdrehen, In-Your-Face-Grime mit explizit politischer Botschaft kommt dabei heraus. Ihr erstes Album nennt sie „Arular“ nach ihrem Vater, dem Revolutionär. Das zweite nach ihrer Mutter „Kala“, die neue Platte heißt wie sie selbst, „Maya“. M.I.A. hat auch nach den Erfolgen der letzten Jahre (ihr Song „Paper Planes“ ist auf dem Soundtrack von „Slumdog Millionaire“ zu hören, das TIME-Magazine listet sie unter die „100 einflussreichsten Persönlichkeiten“) nichts von ihrer kämpferischen Attitüde eingebüßt und das kann man hören: Industrial-artiger Lärm aus Kreissägen und Bohrern zu tonnenschweren Dancehall-Beats machen „Steppin‘ Up“ und „Teqkilla“ zu Bewährungsproben für Anlage und Nachbarschaftsverhältnis. Dass M.I.A. auch eine sanfte Seite hat, zeigt sie mit der Ballade „Space“, der poppigen Single „XXXO“ und den gemächlich schaukelnden Reggaetracks „Lovalot“ und „It takes a Muscle“. Produziert vom derzeit unverzichtbaren Diplo, der zum Timbaland seiner Generation zu werden scheint. Bis hierhin eine gute, abwechslungsreiche Platte – doch es ist ein einziger Track, der „Maya“ unsterblich macht: „Born Free“, ein grollender Elektro-Punk-Frontalangriff, basierend auf einem Suicide-Sample. Das von Romain Gavras gedrehte neunminütige Video wurde zum Skandalon, zeigt in drastischen Bildern die Verfolgung und Ermordung rothaariger Jugendlicher durch (US-amerikanische) Soldaten. Youtube.com löschte den Film eilig von der Website. Die schöne M.I.A., der Supertrack und das krasse Video: selten prallen Pop, Politik und Style so heftig aufeinander. Und funktionieren so gut.
CD, 2010, 16 Tracks, Label: Beggars
Christina Mohr25.07.2010