Grace Jones

“Hurricane“

Auf kein Album wurde man heuer medial so gut vorbereitet wie auf „Hurricane“, Grace Jones‘ Comeback-Platte nach gut zwanzig Jahren Veröffentlichungspause. Jones, in den 70ern Andy Warhols Muse, Model und Studio 54- Ikone, später Bond-Girl, Schwarzeneggers Gegenspielerin in „Conan der Zerstörer“ schrieb musikalisch und stylemäßig Pop-Geschichte: Sie war die Definition des Begriffs „cool“, ein wie aus Kunststoff gegossener Android mit eckigen Schulterpolstern und eckiger Frisur, ein Gendergrenzen ad absurdum führender Mann-Frau-Hybrid mit unbewegter Stimme, immer ein bisschen gruselig, monströs, furchteinflößend. Ihre Coverversionen von „Love is the Drug“ oder „La vie en rose“ und eigene Hits wie „Pull Up to the Bumper“ und „Slave to the Rhythm“ gehören auch heute zur Grundausstattung einer geschmackssicheren Discothek.
Wegen eiskalt inszenierter Helmut-Newton-Fotos, die ihr Image als androgynes Kunstwesen unterstrichen, wurde sie so etwas wie der feministische Alptraum: 1978 verklagten Alice Schwarzer und Inge Meysel den „Stern“, der Grace Jones nackt und in Ketten auf dem Cover abgebildet hatte. Doch Grace Jones eignete sich noch nie dafür, für oder gegen „irgendeine“ Haltung eingespannt zu werden. Grace Jones ist Grace Jones ist Grace Jones. Doch was hat sie in all den Jahren gemacht? „Gelebt“, antwortete sie in einem Interview lapidar, und es ist eigentlich auch egal: „Hurricane“ knüpft nahtlos an frühere Platten wie „Nightclubbing“ an, ist elegant, zeitlos, erhaben. Ein Premium-Produkt, an dem altbewährte Wegbegleiter wie Jones‘ jamaikanische Buddies Sly & Robbie und Brian Eno beteiligt sind, aber auch neue Freunde wie Tricky und Familienmitglieder wie ihre Mutter (die man am Schluß der Single „William’s Blood“ ein Stück aus „Amazing Grace“ singen hört) und ihren Sohn, der den Song „Sunset Sunrise“ geschrieben hat. Die Produktion ist fantastisch: fließender, bassiger Reggae bildet die Grundlage für düster-dräuenden
Hardrock, Soul („Crying Mother’s Tears“) und dunkle Dub-Epen wie den Titeltrack. „I consume my consumers / with no sense of humour“ raunt sie in „Corporate Cannibal“ und man glaubt ihr sofort.

CD, 2008, 9 Tracks, Label: Wall of Sound

Christina Mohr

09.11.2008