Ich will etwas schaffen, das Bedeutung hat
Interview mit der US-Musikerin Shara Worden aka My Brightest Diamond
Die meisten Songs wurden für einen Auftritt in der American Songbook-Reihe des New Yorker Lincoln Center geschrieben und mit einem Kammermusikensemble aufgenommen. My Brightest Diamonds Musik ist so eindringlich wie unaufdringlich: Worden setzt Bläser und Streicher sanft und behutsam ein, keine Spur von orchestraler Schwere. Die Kompositionen sind fließend und doch prägnant, eine Art moderner Folk, fern von musikalischen Moden und dennoch definitiv „heutig“. Die Texte sind autobiografisch geprägt, thematisieren die Geburt ihres Sohnes und andere private Ereignisse. Das wichtigste Element der Musik ist aber Sharas Stimme: hell und klar wie Kate Bush und Joni Mitchell, aber weniger versponnen oder entrückt. Unsere Autorin Christina Mohr sprach mit der Künstlerin.
Gibt es einen Unterschied zwischen Shara Worden und My Brightest Diamond?
My Brightest Diamond ist das Ventil für meine „poppigen“ Songs und meine eigenen Texte, außerdem steht der Name für die schon lange andauernde Kollaboration mit einer gleichbleibenden Truppe von Musikern. Wenn ich die Stücke anderer Leute singe oder einen Gastauftritt habe, benutze ich meinen eigenen Namen. Als ich kürzlich Instrumentalmusik für das Kammerensemble yMusic komponierte, tat ich das auch als Shara Worden. My Brightest Diamond hat einen ganz speziellen Klang und wenn sich etwas nicht nach diesem Klang anfühlt, finde ich es besser, meinen bürgerlichen Namen zu verwenden.
Du stammst aus einer sehr musikalischen Familie – wäre es überhaupt denkbar gewesen, dass du keine Musikerin wirst? Und was hättest du anstatt Musik machen wollen?
Mein Bruder und meine Schwester sind keine professionellen MusikerInnen, also wäre es selbstverständlich möglich gewesen, einen anderen Weg zu wählen. Unsere Eltern haben niemals Druck auf uns ausgeübt, damit wir Musiker werden sollten: sie wissen aus eigener Erfahrung, wie schwer es ist, von der Musik zu leben. Ich habe eine Schulaufgabe aus der zweiten Klasse aufgehoben, in der wir aufschreiben sollten, was wir werden wollen: bei mir steht Künstlerin, Tierärztin und Musikerin.
Hören sich deine Eltern deine Musik an und wie gefällt sie ihnen?
Meine Eltern unterstützen mich wirklich sehr und schätzen meine Arbeit, aber ich glaube, meine Musik ist für sie nicht ganz leicht zu verarbeiten. Vor allem bei meinen älteren Songs: sie wissen genau, über welche Gefühle und Erlebnisse ich spreche, das geht ihnen sicherlich sehr nahe.
Du bist hauptsächlich von klassischer Musik beeinflusst und hast Pop- und Rockmusik erst später entdeckt – fühlst du Widersprüche? Oder die Notwendigkeit, unterschiedliche Musikstile zu verbinden?
Bei uns zuhause lief immer alles Mögliche im Radio oder auf dem Plattenspieler: Gospel, italienische Tänze mit Akkordeon, deutsche Polkas, russische Folklore, Jazz, Klassik, abgedrehte 70’er-Jahre-Synthesizer-Aufnahmen, Easy Listening… ich habe klassische Musik in Chören gesungen und später Oper studiert, aber ich habe während meiner Unizeit auch in Funkbands gesungen und Popsongs auf der akustischen Gitarre komponiert. Ich liebe jede Art von Musik. Je länger ich Musik mache, desto weniger denke ich über Stile nach oder darüber, wie ich alles kombinieren könnte. Ich will einfach gute Songs schreiben.
Fühlst du dich in der Klassik-Szene wohler oder trittst du lieber vor einem Pop-Publikum auf?
Das kommt auf den Auftrittsort an, eine Frage des Business also… mir genügt weder das eine (Klassik) noch das andere (Rock). Mittlerweile habe ich einen Punkt erreicht, an dem ich darüber nicht mehr nachdenken kann. Ich will meinen eigenen Weg gehen. Ich mache mir Gedanken darüber, mit wem ich zusammen spielen will, suche neue Herausforderungen und versuche, die beste Musikerin zu sein, die ich werden kann. Ich will als Sängerin und Texterin ehrlich und authentisch sein, und versuche Songs zu schreiben, die mich etwas fühlen lassen. Ich will Geschichten erzählen, etwas schaffen, das Bedeutung hat.
Auf deinem neuen Album „All Things Will Unwind“ mixt du Klassik, Kammer- und Cabaret-Musik mit Electro und Folk – welche aktuellen MusikerInnen magst du?
Als das Album entstand, habe ich Tom Waits gehört, Roberta Flack, Violent Femmes, Sade, Nick Drake, Björk, Edith Piaf, Kurt Weill, Otis Redding und alte Swing-Jazz-Platten. Die neuen Songs wurden für ein American Songbook-Konzert geschrieben und ich hatte das Bedürfnis, mit der Musik darauf zu antworten, zu diesem Konzert eingeladen worden zu sein. Ich wollte klassische Songstrukturen verwenden und versuchen, meine eigene Handschrift beizubehalten.
Du arbeitest mit Sufjan Stevens zusammen: wie habt ihr euch kennen gelernt und wie ist es, Musik mit ihm zu machen?
Sufjan und ich hatten einige gemeinsame Bekannte. Eines Abends traten wir beide bei einer Varieteshow namens „The Medicine Show“ auf, die von unseren Freunden Sage und Joe Porn zusammengestellt wurde. Nach dem Konzert stellten sie uns einander vor und wir unterhielten uns lange darüber, ob wir lieber im Studio aufnehmen oder live auftreten. Als er wenig später mit seinem Album „Greetings from Michigan“ auf Tour gehen musste, lud er mich ein, in seiner Band zu spielen. Was ich natürlich tat. Ich tourte mehrere Jahre mit ihm und spielte auf seinen Alben mit. Für sein Album „Age of Adz“ verbrachten wir mehrere Tage ausschließlich damit, Vocals aufzunehmen – wir arbeiteten sehr kleinteilig und diskutierten viel über die menschliche Stimme. Damals stand noch nicht fest, dass „Impossible Soul“ ein Solosong von mir werden sollte. Wir nahmen meine Vocals eine Oktave höher auf als seine Melodie, aber am Ende blieb nur meine Stimme übrig. Es war eine große Überraschung für mich, als ich das Album mit der Post bekam.
Und wie ist es nun bei dir – spielst du lieber live oder bist du lieber im Studio?
Ich genieße es sehr, für und mit Leuten zu spielen. Ich sitze nicht herum und singe für mich allein. Musik erfüllt ja keinen Selbstzweck, sondern wird gemacht, um gespielt und gehört zu werden, Musik ist Kommunikation zwischen Musikern und Publikum. Aber ich merke auch, dass ich häufig auftreten muss, um meine Rechnungen zu bezahlen. Das bedeutet, dass ich sehr sehr selten zuhause bin. Ich wünsche mir, eine bessere Balance zu finden, um mehr Songs und Platten machen, aber auch, um öfter zuhause sein zu können.
Sufjan Stevens und Julianna Barwick sind auch auf dem Label Asthmatic Kitty – was macht dieses Label so besonders?
Asthmatic Kitty geben mir absolute kreative Freiheit. Außerdem unterstützen sie mich sehr, betrachten mich und meine Arbeit auf lange Sicht und nicht nur kurzfristig. Früher habe ich meine Platten selbst herausgebracht und das war unglaublich hart. Ich verteidige Asthmatic Kitty in jedem Gespräch mit Leuten, die sagen, dass Labels unnötig seien.
Deine Stimme wird oft mit Joni Mitchell und Kate Bush verglichen, musikalisch gibt es Verbindungspunkte zu Joanna Newsom. Was hältst du von Vergleichen? Sind sie nützlich oder sinnlos?
Wenn jemand meine Arrangements mit Van Dyke Parks vergleichen würde, wäre ich sehr geschmeichelt, denn er ist ein Meister und ich eine Anfängerin. Alle Frauen, die du genannt hast, respektiere ich sehr. Ich würde nicht unbedingt behaupten, dass sie bewusste Einflüsse für mich sind, aber ich kenne ihre Arbeit sehr gut. Tom Waits, Jeff Buckley, Björk, Edith Piaf, Nina Simone, PJ Harvey und Prince haben mich wahrscheinlich am stärksten beeinflusst.
Deine Musik wirkt sehr ernst…
Ich bin sehr offen in meiner Musik und ich hoffe, dass meine Stimme meine Intentionen ausdrücken kann. Ich bin eine sehr ehrliche Person, verstecke nichts und trage mein Herz für jeden sichtbar zur Schau. Ich schätze, das drückt sich in meiner Musik aus.
Welcher Song vom neuen Album war der Schwierigste und welcher fiel dir am leichtesten?
„Reaching Through the Other Side“ hat definitiv das komplizierteste Arrangement, ich konnte einfach nicht die richtige Balance finden. Ich stellte mir für diesen Song eine komplette Bläsersektion vor, aber das kam so schreiend und harsch rüber, dass ich viele Änderungen vornahm, um die richtige Anmutung zu finden. Außerdem gab es Probleme mit dem Titeltrack, weil das ursprüngliche Arrangement viel zu schwer geraten war. Jeder spielte zu viel. Nach der ersten Aufnahmesession – die an meinem Geburtstag stattfand – gingen wir zum Dinner und realisierten, dass wir alles noch mal machen müssten, was teuer und risikoreich werden würde. Aber ich wusste ganz sicher, dass wir ein leichteres, sparsameres Arrangement finden mussten. Die anderen Stücke brauchten alle weniger als drei Takes.
Wie arbeitest du?
Für dieses Album musste ich pro Tag einen Song schreiben. Zum Arrangieren habe ich das Aufnahmeprogramm Sibelius benutzt, was ungefähr zwei Tage Arbeit bedeutete. Nachdem ich ungefähr drei Wochen lang so gearbeitet hatte, fuhr ich von Detroit nach New York zu einer Probe und konnte mir auf der Fahrt alles anhören. Wir hatten drei Proben, die sich über zweieinhalb Monate hinzogen und spielten dann das Konzert. Wir wollten, dass das Album so „live“ wie möglich klingt, deshalb nahmen wir fast alles gemeinsam auf. Ich stand in der Aufnahmekabine, während das Kammerensemble spielte – wir dachten, dass das Ergebnis besser wird, wenn wir alle direkt aufeinander reagieren können.
Wie kommen deine Texte zustande – schreibst du ein Tagebuch?
Meistens denke ich eine Weile über bestimmte Dinge nach, und dann kommen die Musik, der Song wie von selbst dazu. Üblicherweise benutze ich ein großes Blatt Papier für alle Texte – ein Freund sagte mal zu mir, dass man Informationen so lange in ein „Loch“ quetschen muss, bis es überläuft. Das, was beim Überlaufen zuerst herauskommt, ist das Wichtige. Es gab auch mal eine Zeit, in der ich nicht wusste, worüber ich schreiben sollte, aber ich hatte Deadlines zu erfüllen. Ich besuchte einen Freund und hoffte auf Inspiration – er hielt mir eine spontane, mehrstündige Vorlesung über die Geschichte Detroits, besonders über die Rassenunruhen. Aus dieser Unterhaltung entstanden verschiedene Songs.
Bekommst du persönliche Nachrichten von Fans?
Ja, tatsächlich. Ich liebe die Nachrichten, Notizen, CDs – alles, was mir die Leute geben oder schreiben. Es ist ein sehr sensibler Akt, jemandem zu schreiben, der dir viel bedeutet und nicht zu wissen, wie er oder sie darauf reagieren wird. Ich versuche das wertzuschätzen, so gut ich kann. Ich hebe alle aufmunternden Worte für die trüben Tage auf, wenn ich mich entmutigt fühle. Manchmal wollen die Leute auch Rat von mir, manche fragen nach Autogrammen oder ob ich irgendetwas für sie tun kann – und manchmal kann ich das nicht. Aber ich schätze die Interaktion sehr.
Du hast einen kleinen Sohn – hat das Muttersein deine Art, Musik zu machen, verändert?
Mir ist klar geworden, dass es Dinge gibt, die größer sind als ich. Dass das Leben an sich bedeutender ist als meine eigenen Erfahrungen. Ich sehe mich selbst jetzt als Teil einer größeren Geschichte, ich sehe die Menschen, die vor und nach mir kommen und fühle wie es ist, jemanden bedingungslos zu lieben und diese Liebe zurück zu bekommen. Diese Gefühle kommen in meiner Musik zum Ausdruck, klar.
Welche Musik spielst du deinem Sohn vor?
Einfach alles. Als er noch ganz klein war und wir zuhause waren, habe ich ihm Geschichtslektionen erteilt: von Chopin zu Led Zeppelin. Jetzt ist er bei all meinen Konzerten und Festivals dabei und reagiert stark auf die Musik. Ich glaube, ich muss als nächstes ein tanzbareres Album machen – es macht solchen Spaß zu sehen, wie begeistert er von Musik ist und wie er tanzt!
Aktuelle CD: „All Things Will Unwind“ (2011)
Asthmatic Kitty Records
Tourtermine:
23.11.11 Zürich (CH), Papiersaal
24.11.11 Berlin, Club ADS
26.11.11 Köln, Gebäude 9
Autorin: Christina Mohr
09.11.2011