Mozart hinter Gittern „Die Zauberflöte“
Gespräch mit Uli Pfeifer
Regie führte Maja Wolff, die in Frankfurt als Musikkabarettistin, durch die Kultfigur Anton Le Goff bekannt geworden ist. Die musikalische Leitung übernahm Uli Pfeifer, Bassistin, Komponistin, Sängerin und seit neustem auch Dozentin an der Fachhochschule Frankfurt. Sie erzählt uns von ihrer Arbeit, dem Entstehungsprozess und dem Werdegang dieses ungewöhnlichen Projekts.
Du hast Dir vor allem als Bassistin der Band „Kick La Luna“ und Songwriterin und Musikerin Deiner eigenen Band „Friends in High Places“ einen Namen gemacht. Jetzt bist Du auch Dozentin an der FH in Frankfurt. Was genau ist Dein Bereich, Deine Stundenzahl und was bietest Du für die StudentInnen an?
An der FH Frankfurt lehre ich durchschnittlich 12 Stunden pro Woche zum Thema „Musik in der Sozialen Arbeit“. Dies gehört zum Fachbereich 4 „Soziale Arbeit und Gesundheit“, Schwerpunkt Kultur und Medien. Meine Aufgabe und Interesse ist es, angehenden SozialarbeiterInnen einen Einblick in die Möglichkeiten und Chancen von Musik in der Sozialen Arbeit zu geben. Ich möchte, dass sie erleben, welche Wirkungen ästhetische Medien wie Musik oder Theater auf alle Beteiligten haben können, dass sie erkennen, welchen Sinn und welchen Wert diese Arbeit mit künstlerischen Medien hat und wie wichtig es ist, dass sie mehr in der sozialpädagogischen Praxis eingesetzt wird. Meine Vision ist es, dass Musik mit größerer Selbstverständlichkeit in Bildung und Erziehung einen Platz erhält und dass mehr wahrgenommen wird, welche Kompetenzen, Ausdrucks- und Entwicklungsmöglichkeiten über Musik erreicht werden können – Fähigkeiten, die über reine Wissensvermittlung nicht entwickelt werden können. Schon Platon sagte vor ca 2000 Jahren: “ Kinder brauchen vor allem zwei Dinge in der Erziehung, um sich zu ordentlichen Erwachsenen zu entwickeln: Sport und Musik“. Und der Hirnforscher Dr. Spitzer meint dazu: „Heute sind wir kaum weiter, sogar nicht ganz so weit“.
Das Projekt „Zauberflöte“ mit den Gefangenen der JVA in Frankfurt/Preungesheim, das gerade zu Ende gegangen ist und vom Publikum mit standing ovations gefeiert wurde – hast Du so etwas zum ersten Mal gemacht?
Dies war meine erste Zusammenarbeit mit Theater. Schon immer reizt mich die Verbindung verschiedener künstlerischer Medien. Und gerade Musik und Theater können sich gegenseitig so sehr inspirieren und verstärken.
Wie ist die Idee entstanden?
Die Schauspielerin, Regisseurin, Theatertherapeutin und Sängerin Maja Wolff hatte schon zwei Theaterprojekte mit Studierenden und Häftlingen in den letzten Jahren mit Erfolg durchgeführt. Ein Projekt hatte im Frauengefängnis, das andere im Männergefängnis stattgefunden. Sie kam auf mich zu, als sich herausstellte, dass wir beide – getrennt voneinander – Lehraufträge an der FH Frankfurt bekommen hatten. Da ich sie und ihre Arbeit sehr schätze, war meine Entscheidung schnell getroffen: Wir beschlossen, unsere beiden Studentengruppen zu einem gemeinsamen Projekt zusammenzuführen, wobei ein Großteil der Arbeit in getrennten Gruppen stattfinden sollte. Eine gänzlich neue Idee war, gleichzeitig mit zwei getrennten Häftlingsgruppen zu arbeiten, mit männlichen wie weiblichen Häftlingen. Nun gibt es ein Gesetz, das ein Aufeinandertreffen von weiblichen und männlichen Häftlingen verbietet. Nach langen Verhandlungen mit beiden Haftanstalten und einer Sondergenehmigung des hessischen Justizministeriums (erstmalig in Deutschland) bekamen wir dann 6 Wochen vor der Premiere die offizielle Erlaubnis, mit allen Beteiligten gemeinsam auf der Bühne stehen zu dürfen.
Wurde das Projekt zuerst nur mit den StudentInnen entwickelt oder sofort auch mit den Gefangenen?
In den ersten 2 – 3 Monaten arbeiteten wir nur mit beiden Studentengruppen. Für viele war es das erste Ausprobieren mit den Medien Musik und Theater, die meisten hatten überhaupt keine musikalischen Vorkenntnisse. Meinen Studierenden vermittelte ich zunächst einen Einstieg in grundlegende musikalische Bausteine und Fertigkeiten. Wichtig war ein gemeinsames Rhythmustraining, das Ausprobieren der eigenen Stimme und die langsame Überwindung von Hemmungen beim Singen, spielerische Improvisationsübungen, um freier zu werden und sich mehr zu trauen, und immer wieder die Reflexion über das Erlebte. Nach kurzer Zeit führte ich sie langsam parallel an einige Lieder der Zauberflöte heran. Nach knapp 3 Monaten waren drei Lieder gemeinsam mehrstimmig erarbeitet, samt eingebauter Rap-Teile. Im Frauenknast gaben wir damit vor einem kleinen Kreis von Häftlingen eine Vorstellung und warben damit für unser Projekt. Sogar eine zunächst sehr skeptische Frau rief am Ende aus: „Das ist cool! Da bin ich dabei.“ Das war dann unser Einstieg in den Knast.
Ihr habt die Musik dieser Mozart-Oper mit einem Chor und Percussion umgesetzt. Wie seid Ihr da vorgegangen?
Eine Mozart-Oper auf die Bühne zu bringen – das war für mich selbst eine riesige Herausforderung mit allen dazugehörigen Zweifeln, ob eine so radikale Bearbeitung des musikalischen Materials vertretbar ist. Auf der anderen Seite hat mich gerade diese Herausforderung gereizt, ein Stück der alten Hochkultur auch musikalisch in die Jetztzeit zu beamen und dabei mit Menschen zu arbeiten, die zum großen Teil bisher überhaupt keinen Zugang zur Klassik hatten. Nun eignet sich natürlich gerade die Zauberflöte für solche Experimente, da viele Lieder daraus etwas Volkstümliches haben und sich leicht mit Rhythmen und Pop-Elementen verbinden lassen, ohne gleich abgeflacht zu wirken. Und da ich selbst aus dem Pop-Bereich komme, habe ich eine gewisse Unbefangenheit mitgebracht, mit der ich das klassische Material bearbeitet habe. Von Anfang an hatte ich das Ziel, vor allem mit Chor und Percussion zu arbeiten, weil beide Bereiche sogenannte niederschwellige Angebote sind, das heißt einen relativ schnellen Zugang auch für Menschen bieten, die vorher noch nie selbst musikalisch aktiv waren. In Bezug auf Instrumente suchte ich sowohl nach ungewöhnlichem als auch nach erschwinglichem Material, testete verschiedene Mülltonnen der Frankfurter FES, die freundlicherweise die Tonnen zur Verfügung stellten, als auch Regentonnen, Ölfässer und baute passende Schlegel.
Die Auswahl der Arien wurde zum großen Teil gemeinsam mit Maja Wolff und den Studierenden getroffen. Entscheidend war, welche Lieder der Zauberflöte großen Wiedererkennungswert haben, relevant für die Handlung sind oder einfach besonders gefallen. Die neuen Arrangements der Arien stellte ich dann zunächst im Audio-Programm meines Computers her: Ich schrieb einstimmige Arien zu mehrstimmigen Chören um, passte die Tonlagen an den Tonumfang der Studierenden an und verband moderne wie ethnische Rhythmen (Funk-Grooves, Baiao, Samba Reggae, Elemente des japanischen Taiko u.a.) mit den Original-Melodien. Die Studierenden ergänzten dazu die Rap-Passagen.
Nach 2 Monaten besuchten alle Studierenden dann gemeinsam eine klassische Inszenierung der Zauberflöte in der Oper – für manche der erste Opernbesuch. Eine Faszination erfasste alle, auch diejenigen, die vorher meinten, dass sie überhaupt nichts mit Klassik und Oper anfangen können. Sie entdeckten „ihre Songs“ und wurden mit der Handlung vertraut. Dies inspirierte umso mehr, eine eigene Interpretation des klassischen Materials zu schaffen.
Wir haben gesehen, daß für die Musik hauptsächlich die Frauen zuständig waren und für das Schauspielen die männlichen Gefangenen. Warum war das so aufgeteilt?
Ein Teil der Studierenden hatte sich in das Modul „Musik“ eingewählt, der andere in „Theater“. Nun war die Frage, wie diese beiden Gruppen auf die beiden Haftanstalten aufgeteilt werden. Hintergrund für die von uns getroffene Entscheidung war die Hypothese, dass es Frauen oft leichter fällt, sich über ein musikalisches Medium im Gruppenzusammenhang auszudrücken (Trommeln, Chor) und dass Männer dagegen einen schnelleren Zugang zum szenischen Spiel finden und sich leichter als Einzelner präsentieren.
Sollten denn alle Rollen mit den Gefangenen besetzt werden? Oder war von Anfang an geplant, dass auch die StudentInnen mitspielen?
Es war von Anfang an geplant, dass die Rollen möglichst paritätisch besetzt werden sollen. Zum einen beeinflusste dies den Gruppenprozess, da sich Studenten und Häftlinge mischten und beide Gruppen sich gleichermaßen auf den ästhetischen Prozess einlassen mussten. Es gab also nicht die „Beobachter“ und die „Klienten“, sondern eine Zusammenarbeit für ein gemeinsames Ziel, in der jede/r Einzelne extrem gefordert war, eine Zusammenarbeit „auf Augenhöhe“.
Zum andern fungierten die Studierenden als „Container“: Sie hielten die Gruppe zusammen, stabilisierten mit ihrem Einsatz die Entwicklung des Stücks und die Atmosphäre in der Gruppe.
Die Proben mit den Frauen und den Männern mussten ja getrennt stattfinden, und dabei wurden dann die fehlenden Rollen immer durch die FH-StudentInnen ersetzt. Erst bei der Generalprobe und den Aufführungen trafen alle auf der Bühne zusammen. Das war sicherlich ein sehr spannendes Experiment, oder?
Dieses Experiment war bis zum Schluss hoch spannend. Nur Maja und ich verfolgten die Entwicklung kontinuierlich in beiden Gruppen, weil wir immer auch in der Gruppe der anderen anwesend waren. Die Studierenden hatten zu bestimmten Probezeiten die Möglichkeit, die Arbeit der jeweils anderen Gruppe kennenzulernen, indem Szenen und Musik gegenseitig vorgespielt wurden und Konzepte gemeinsam weiterentwickelt wurden. Die Häftlinge hatten bis zur (öffentlichen!) Generalprobe nicht die Möglichkeit, die gesamte Inszenierung zu erleben. Sie lernten nur kleine Fragmente der jeweils anderen Gruppe kennen und konnten nur über das Lesen der Textbücher bzw. über das Hören der Aufnahmen einen Eindruck vom Ganzen bekommen. Dieses auf Lücke erarbeitete Musiktheaterstück war wie ein riesiges Puzzle, das erst am Ende zusammengesetzt wurde und die Spannung blieb, ob am Ende auch alles passt und überzeugend wirkt. Zum Beispiel lernten die männlichen Häftlinge zum Teil Chorstimmen und Rhythmen, die dann in der Generalprobe erst ihre Ergänzung im Chor fanden.
Am Ende hatte die Problematik, dass man nicht gemeinsam vorher proben konnte, eine sehr positive Dynamik: Die Häftlinge beider Gruppen waren überwältigt von der Leistung der anderen und die Frische dieser Freude und Überraschung zog sich durch die 4 gemeinsamen Aufführungen.
Wie wurden die Gefangenen ausgewählt, die mitspielen durften? Habt Ihr eine Art Casting gemacht? Gab es mehr Interessenten oder zu wenige?
Mitmachen durfte jeder, der Interesse hatte und einen entsprechenden Antrag an die JVA-Leitung eingereicht hatte. Das große Interesse der männlichen Häftlinge galt am Anfang jedoch weniger der Theaterarbeit als dem Interesse nach Abwechslung und neuen Gesichtern. Viele von ihnen wären in Freiheit nie auf die Idee gekommen, an einem solchen Projekt teilzunehmen. Mit der Zeit wich die anfängliche Skepsis dann aber steigerndem Engagement und wachsener Begeisterung für das Projekt.
Waren die Delikte, die die Insassen begangen haben, ein Thema bei den Proben?
Am Anfang trafen wir die Entscheidung, nicht nach den Delikten zu fragen oder uns darüber bei der Anstaltsleitung zu erkundigen. Die Neugierde war bei allen zunächst vorhanden, doch es schien sinnvoller, die Häftlinge ohne ihre Geschichte wahrzunehmen, sie in ihrer individuellen Eigenart zu sehen, ohne sich von ihrer Vergangenheit und den eigenen Urteilen darüber beeinflussen zu lassen. Einzelne Häftlinge hatten jedoch nach einiger Zeit das Bedürfnis, von den Gründen ihrer Festnahme zu erzählen, oft auch, um damit zu erklären, dass sie keine „schlechten Menschen“ sind. In der gemeinsamen Arbeit lernten sich alle auf einer besonderen Ebene kennen und entwickelten eine Form von Gemeinschaft, die zwar intensiv, aber nicht zu persönlich oder distanzlos war.
Bei den Aufführungen im Gefängnis konnten ja nur wenige andere Gefangene als Zuschauer dabei sein. Gab es eigentlich noch eine interne Aufführung nur für die Gefangenen?
Es gab nur eine halb öffentliche Generalprobe und drei Aufführungen, bei denen jeweils ein Drittel des Publikums andere Häftlinge waren. Da die Aufführungen nur im Männergefängnis stattfanden, versuchen wir nun im Herbst noch eine Aufführung im Frauenknast auf die Beine zu stellen.
Die Stärken oder Talente von einzelnen SpielerInnen oder SängerInnen kamen ja sehr gut heraus, dies war sicher ein Ergebnis der offenen Proben?
Wenn 9 Monate lang intensiv gemeinsam gearbeitet wird, kommen immer mehr Talente zum Vorschein. Bei manchen Studierenden wie Häftlingen sind die Talente gleich wahrnehmbar, bei anderen sehr versteckt – sie wissen darum selbst nicht. Das ist das Schöne dieser Arbeit: Diese Potenziale zu entdecken, sie zu fördern, daran zu glauben und sie herauszufordern, auch wenn der Einzelne selbst (noch) nicht an sich glaubt.
Wie hat sich die Zusammenarbeit mit den Gefangenen entwickelt, gab es Konflikte und Motivationsschwierigkeiten?
Ein Häftling gab als Feedback, dass er am Anfang, als er zu der Gruppe stieß, dachte: „Was machen die denn für ein Quatsch? Spinnen die alle?“ Zum Glück kam er wieder und entwickelte sich zu einem sehr guten engagierten Spieler, nachdem er verstanden hatte, um was es ging und nachdem er auch die Hoffnung entwickelt hatte, dass es sogar qualitativ gut werden kann. Für viele Häftlinge wie auch für einige Studierende war es nicht vorstellbar, dass sie es tatsächlich schaffen werden, ein anspruchsvolles Stück auf die Bühne zu bringen. Sie trauten es sich nicht zu und hatten Angst, am Ende zu versagen oder sich zu blamieren. Noch 3 Wochen vor der Aufführung war der Umgang mit dieser Angst manchmal resignativ („das wird doch nie etwas“), wich aber dann endlich dem Verstehen, dass es nur etwas werden kann, wenn jeder Einzelne übt und seinen Text und Einsatz lernt.
Bei dem tosenden Applaus konnte man sehen, dass die Gefangenen teils sehr gerührt waren, als wären sie über soviel Anerkennung überrascht und als erführen sie zum ersten Mal im Leben eine solche Bestätigung. Genau das wird ja auch als Ziel des Projekts genannt: den Gefangenen die Gewissheit mitzugeben, dass sie im Leben auch Erfolge erzielen können. Glaubst Du, dass das Projekt nachhaltig wirken kann bzw. wie war das Feedback der TeilnehmerInnen?
Nach dem Feedback der Häftlinge zu schließen, glaube ich, dass dieses Projekt mit Sicherheit allen im Gedächtnis bleiben wird als eine gute Erfahrung: Eine Erfahrung von schöner intensiver Gemeinschaft mitten in den Grenzen des Strafvollzugs, als Erfahrung, dass Durchhalten sich lohnt und dass man zu Leistungen fähig war, die man sich nicht zugetraut hat, als Erfahrung, wie eine konstruktive Teamarbeit auch aussehen kann, als Erfahrung, ernst genommen und wahrgenommen zu werden. Einzelne haben sich für Theater oder Musik so begeistert, dass sie es weitermachen wollen, auch später in der Freiheit. Natürlich darf man sich nicht der Illusion hingeben, dass ein solches Projekt das Leben verändert oder verhindert, dass jemand rückfällig wird. Es ist nur ein weiterer Tropfen einer guten Erfahrung, aber sicher ein sehr wertvoller.
Wie sind die originellen Textzusammenfassungen entstanden?
Die meisten Texte wurden von den Studierenden, ein Teil auch von den Häftlingen entwickelt. Es entstanden sehr viele guten Ideen, die zum Teil auch wieder verworfen werden mussten. Auch hier war die Vorgehensweise wie ein Puzzle: Es durfte wild improvisiert und entwickelt werden und nachher bestand die Aufgabe, welche vor allem Maja Wolff als Regisseurin zukam, darin, das Puzzle zu sortieren und den Hauptstrang der Handlung in ein sinnvolles Ganzes zu setzen.
Die Studierenden der Musikgruppe als auch einzelne Häftlinge schrieben Raptexte, sie überlegten sich zum Beispiel, wie heutzutage vielleicht eine Papagena und ein Papageno ergänzend zur klassischen Liedzeile „Welche Freude wird das sein, wenn die Götter uns bedenken, unsrer Liebe Kinder schenken, so viele kleine Kinderlein…“ rappen würden. Das Ergebnis wurde dann ziemlich provokativ und ergänzt den alten Text um etliche Nuancen…
Wie viel Zeit hattet Ihr für die Proben und Vorbereitung?
Das gesamte Projekt lief über 9 Monate. Im Oktober 2009 begann die Arbeit mit den Studierenden an der Fachhochschule. Mitte November begann die Theatergruppe bereits mit Theaterübungen im Männergefängnis, ab Januar 2010 ging die Musikgruppe wöchentlich ebenfalls 2 Stunden ins Frauengefängnis. Die Studierenden verbrachten dazu noch 3 Wochenenden für gemeinsame Proben und Entwicklung des Stücks sowie wöchentlich weitere 2 Stunden gemeinsam an der FH. In der Frauen-JVA fand ein Probewochenende statt, in der Männer-JVA zwei Wochenenden. Gegen Ende wurden noch Einzelproben mit Studierenden und Häftlingen durchgeführt.
Was war für Dich das Interessanteste oder Beeindruckendste bei diesem Projekt?
Beeindruckend war für mich, welche Intensität im Laufe des gemeinsamen Prozesses entstand und wie die Fähigkeiten der einzelnen Beteiligten immer mehr zum Vorschein kamen. Mit Musik und Theater kann auf der einen Seite ein so großes Gemeinschaftsgefühl entstehen, auf der anderen Seite zeigen sich hier ganz individuelle und sehr verschiedene Potenziale der einzelnen Beteiligten. Dass hier der Zusammenhalt und die gegenseitige Unterstützung viel stärker war als Konkurrenz oder Neid ist meines Erachtens zum großen Teil den künstlerischen Medien zu verdanken: Jeder konnte mit seinen individuellen Fähigkeiten zur Qualität des Stückes beitragen und jeder fühlte die Verantwortung, die er mit seinem eigenen Beitrag zu tragen hatte. Es kam auf jeden Einzelnen an und besonders hervorstechende Fähigkeiten wie z.B. der Breakdance eines Häftlings erfüllte die gesamte Gruppe mit Stolz. Es hat mich selbst unglaublich beeindruckt, dass das Experiment gelungen ist, am Ende mit 50 so verschiedenen Menschen auf der Bühne zu stehen, dass jeder von ihnen sein Bestes gab und alle mit starkem Gemeinschaftsgefühl verbunden waren.
Gab es auch unangenehme Erlebnisse?
Hier denke ich gleich an die Frage, die von vielen kommt: Kann das nicht auch gefährlich sein?
Es gab nur eine wirklich unangenehme Situation, als Gefangene zusammengeführt wurden, die sich gerade vorher verfeindet hatten. In diesem Fall brachen wir die Probe ab, bevor es zu brenzlig wurde und klärten den Vorfall erstmal mit der Gefängnisleitung. Da gerade in der Männerhaftanstalt auch während der Proben immer ein JVA-Bediensteter mit Funkgerät dabei sitzt und da Häftlinge, die sich nicht an die Regeln halten, aus der Gruppe ausgeschlossen werden, sind die Proben im Knast sicherlich weniger gefährlich als in Frankfurt eine Strasse zu überqueren. Gewöhnen muss man sich daran, eingeschlossen zu werden, bei jedem Besuch kontrolliert und gescannt zu werden sowie mit Akribie die bestehenden Regeln einzuhalten.
Hattet Ihr Probleme mit den Justizbehörden, wie war die Zusammenarbeit mit der Gefängnisleitung?
Da Maja Wolff das vorige Theaterprojekt in der Männerhaftanstalt mit Erfolg abgeschlossen hatte, hatten wir dort im stellvertretenden Leiter, Herrn Vogt, einen großartigen Unterstützer unseres Projektes gewonnen, dessen Einsatz es zum großen Teil zu verdanken war, dass das Stück am Ende tatsächlich mit allen Beteiligten und der Sondergenehmigung des Ministeriums auf die Bühne kam. Eine gute Kommunikation zur Haftanstalt ist bei einem solchen Projekt unabdingbar. Diese gelang in der anderen Haftanstalt nicht so einfach. Hier war große Skepsis gegenüber des Projektes vorhanden. Umso erfreulicher war am Ende die Reaktion der dortigen Jusitizbeamten auf die Aufführungen, die fassungslos und begeistert ihre Vorurteile und Ablehnung revidierten.
Maja Wolff sagte am Ende der Aufführung auf Nachfrage eines Gefangenen aus dem Publikum, dass über eine Art Nachbetreuung „draußen“, die die Insassen nach ihrer Entlassung in ihren musikalischen Talenten fördern und unterstützen könnte, nachgedacht wird. Gibt es da schon konkrete Pläne?
Es gibt bereits viele Pläne und Ideen, die bereits mit der JVA-Leitung besprochen werden. Wie das konkret aussehen wird, hängt von vielen Faktoren ab, die noch geklärt werden müssen. Eine Idee ist, im nächsten Jahr eine Betreuung im Entlassungsvollzug einzurichten, in der von den Häftlingen eine Spielstätte für Musik und Theater außerhalb der Haftanstalt aufgebaut wird und in der parallel dazu ganz konkrete Unterstützung für den Schritt zurück in die Gesellschaft geleistet wird.
Wird es mit Dir ein nächstes Knasttheater-Projekt geben? Würdest Du nochmal mitmachen?
Es wird schon bald – mit Maja Wolff und mir – ein nächstes Knast-Musiktheaterprojekt geben. Ab Herbst beginnt das neue Modul mit neuen Studierenden an der FH. Schön ist, dass einige Studierende des letzten Projektes zum Teil wieder dabei sein werden.
Es ist sogar gerade in Planung, im Herbst nochmals mit der Zauberflöte 3 weitere Auftritte zu geben: Wenn alles gut geht, in zwei Haftanstalten und einen Auftritt mit Bewachung im Mousonturm. Informationen dazu werden auf unserer Homepage www.knasttheater.de veröffentlicht, auf der auch Pressestimmen, weitere Infos und der Fernsehbeitrag von SAT 1 zu sehen sind.
Neben Deiner Dozententätigkeit bist Du ja weiterhin Musikerin mit verschiedenen Bands und Projekten. Was sind zur Zeit die wichtigsten Projekte und Deine Pläne in der kommenden Zeit?
Jetzt gebe ich erstmal eine Woche lang Workshop auf dem Uhuru-Festival, wo wir auch mit Kick la Luna auftreten werden. Im August bin ich dann mehr mit meiner Band „Friends In High Places“ unterwegs und produziere mit Anne Rumpf und Inken Schweigert eine weitere Kinderlieder-CD. Nebenbei werde ich mich noch um die Video-Dokumentation und die Auswertung des Musiktheaterprojektes kümmern. So richtig zum Luftholen bin ich immer noch nicht gekommen, das werde ich dann vielleicht im September tun, kurz bevor die nächsten Projekte an der FH losgehen.
links:
www.knasttheater.de
www.ulipfeifer.de
www.anton-le-goff.de
Das Interview führten Mane Stelzer und Hildegard Bernasconi.
Fotos: Matthias Bringmann, Matthias Oppelt
Copyright: Redaktion MELODIVA

31.07.2010