Fay Claassen – Interpretieren ist Kunst

Interview von Elizabeth Ok

„Komponieren ist eine Kunst, eine Expression zu geben. Arrangieren ist eine Kunst und das Interpretieren ist eine Kunst. Genau hier habe ich meinen Platz. Hier fühle ich mich absolut zu Hause“, sagt die niederländische Sängerin Fay Claassen.

Mit ihrem neuen Album „Red, Hot & Blue“ – das Hauptthema sind durchgehend Stücke von Cole Porter – befindet sich die Wahlkölnerin in ganz guter Gesellschaft: Bereits Ella Fitzgerald, Dinah Washington, Sarah Vaughan oder auch Annie Lennox wussten die kompositorischen Qualitäten des „Tin-Pan-Alley“-Autors zu schätzen…

Elizabeth: Du hast auf Deinem Album erwähnt, dass diese CD die wichtigste für Dich sei. Warum ist sie das?

Fay: Also, die neueste CD ist für eine Musikerin immer am wichtigsten. Das ist jetzt eine neue Phase für mich. Besonders deutlich wird das dadurch, dass ich selber auf das gesamte Geschehen viel Einfluss nehmen konnte. Mein Label hat mir alle Freiheiten gegeben, die ich brauchte, um die CD so zu realisieren, wie ich es gerne wollte. Besonders auch in der Arbeit mit dem Arrangeur Michael Abene hatte ich großen Spielraum, ich konnte mich bei dem ganzen Prozess gut einbringen und meine eigenen Ideen zusammen mit ihm wunderbar umsetzen. Ein weiterer besonderer Punkt für mich war: dieses Album ist das erste gemeinsam geleitete Projekt von mir und meinem Mann Paul Heller. Wir leben seit zwei Jahren zusammen in Köln, deswegen finde ich es besonders schön, dass die Band sowohl aus deutschen als auch aus holländischen Musikern besteht.

Elizabeth: Du hast einen sehr prägnanten Titel – „Red, Hot & Blue“ – für deine CD gewählt. Hat er eine spezielle Bedeutung für Dich?

Fay: Das Repertoire meiner CD ist „The Music Of Cole Porter“ und „Red, Hot & Blue“ ist der Titel einer seiner Shows. Ein Stück aus jener Show haben wir für die CD aufgenommen, in einem unglaublich aufregenden und ungewöhnlichen Arrangement – das ist „Ridin‘ High“. „Red, Hot & Blue“ beschreibt aber, allein mit drei Worten, auch wunderschön, was für mich so wichtig ist in der Musik: „Red“ steht für mich für die Liebe, „Hot“ für Leidenschaft und „Blue“ für die melancholische Seite, die alle gute Musik auch immer hat.

Elizabeth: Wie man kaum überhören kann, bist Du immer wieder auf der Suche nach neuen gesanglichen und vor allem rhythmischen Herausforderungen…

Fay: Jazz ist natürlich eine rhythmische Musik. Wenn man den großen Sängerinnen wie Ella Fitzgerald, Sarah Vaughan oder Billie Holiday zuhört, wird ganz deutlich, wie wichtig der rhythmische Aspekt im Jazz ist. Man kann regelrecht hören, dass sie einen Spannungsbogen gesucht haben; genau dieser Spannungsbogen ist eine Entspannung für mich.
Ich habe eine breite Auffassung davon, was Swing bedeutet. Wenn ich mich mit Musik beschäftige, wenn ich singe, dann will ich nicht immer Plätze suchen die „logisch“ sind, ich höre auch „zwischen“ dem Rhythmus! Ein Takt ist mehr als nur ein 4/4 Takt. Die Stimme ist mein Instrument, das heißt, ich will alle rhythmischen, aber natürlich auch melodischen Möglichkeiten ausloten.
Ich improvisiere viel und gerne „on the spot“, so wie ein Instrumentalist das tut. Wir haben für die neue CD bei vielen Stücken auch sogenannte „Vocal-Specials“ zusätzlich eingebaut: Michael Abene hat sehr komplizierte, aber gleichzeitig melodiöse „Lines“ komponiert, die ich zusammen mit Piano unisono oder auch zweistimmig gesetzt singe. Das ist eine große Herausforderung neben dem spontanen Improvisieren und macht vor allem ungeheuer viel Spaß!
Gesangliche Herausforderungen sind natürlich auch die ganz langsamen Versionen, beispielsweise von „Love For Sale“ und „All Through The Night“. Rhythmisch haben wir uns wiederum bei dem alten Revue-Klassiker „Anything Goes“ ausgetobt! Das ist eigentlich ein Stück, das im Jazz so gut nie gespielt wird. Dadurch war es umso spannender, unsere eigene Version davon zu machen.

Elizabeth: Hast Du nicht als Sängerin das Bedürfnis, die eigenen Stimmungen, das eigene Leben zu Papier bringen zu wollen? Also auch mal die eigenen Texte zu singen?

Fay: Ich habe einige Texte geschrieben, aber ich suche vor allem die Herausforderung im Interpretieren von Musik und Texten. Auch bei Musik, die für mich geschrieben wird und schon geschrieben wurde, finde ich es immer wieder spannend, diesen Kompositionen Leben einzuhauchen und ihnen meinen ganz persönlichen Stempel aufzudrücken.
Für mich ist es wichtig, dass die Musik etwas transportiert. Deshalb finde ich es auch schön, dass ich die neuen Projekte gemacht habe. Vor allem Cole Porter hat kein einfaches Leben gehabt – ich könnte nicht so etwas schreiben! Ich suche auch immer wieder das Abenteuer, so bin ich zum Beispiel im Moment auf Tour mit einem Projekt des holländischen Posaunisten Ilja Reijngoud, der Sonnette von William Shakespeare und Oscar Wilde vertont hat. Das ist sehr spannend und macht unheimlich viel Spaß!
Im Dezember steht ein Projekt an mit dem holländischen Metropole Orchestra [Big Band kombiniert mit klassischem Orchester], wo ich die Musik des Belgiers Ivan Paduart mit Texten von David Linx singen werde. Komponieren ist eine Kunst, eine Expression zu geben. Arrangieren ist eine Kunst und das Interpretieren ist eine Kunst, genau hier habe ich meinen Platz. Hier fühle ich mich zu Hause.

Elizabeth: Wie war die Arbeit mit Michael Abene, dem Chefdirigent der WDR Big Band? Gab es auch manchmal Schwierigkeiten?

Fay: Nein, überhaupt nicht! Ganz im Gegenteil, es war eine ganz besondere Erfahrung mit ihm zusammen zu arbeiten – „A dream come true“. Er hat mich letztes Jahr eingeladen, bei einem tollen Projekt mit Paquito D’Rivera und der WDR Big Band zusammen mit dem WDR Rundfunkorchester mitzuwirken: „Improvise One“. Michael Abene ist wirklich einer der großen Arrangeure unserer Zeit, der für und mit allen Größen der Musikwelt gearbeitet hat. Umso mehr fühle ich mich geehrt, mit ihm so intensiv an meiner CD gearbeitet zu haben. Michael ist übrigens auch ein fantastischer Pianist. Als Zugabe sozusagen, haben wir einen Bonustrack auf der CD, den wir so ganz nebenbei, live und mitten in der Nacht, nach den „offiziellen“ Aufnahmen mit ihm, Paul und mir zusammen aufgenommen haben.

Elizabeth: Mit welchen zeitgenössischen Jazzsängern oder -sängerinnen würdest Du noch gerne
zusammenarbeiten? Hast Du irgendwelche Vorbilder, die Dich beeinflusst haben?

Fay: Ich habe das Glück, schon mit einer Reihe toller Sänger und Sängerinnen zusammengearbeitet haben zu können. Da ist beispielsweise die Band „One Heart, Three Voices“ mit dem schon erwähnten belgischen Sänger David Linx und der Italienerin Maria Pia De Vito, mit der wir in den letzten 21⁄2 Jahren sehr viel in Frankreich und Belgien getourt sind.
Ein anderes besonderes Erlebnis war auch in diesem Jahr beim „NorthSea Jazzfestival“ in Rotterdam ein gemeinsamer Auftritt mit unserer großen holländischen Jazz-Diva Rita Reys. Beeinflußt haben mich auch Norma Winstone und die Brasilianerin Joyce, vor allem durch ihre klare, beinahe vibratolose Stimmen und ihre instrumentale Art der Herangehensweise. Für mich waren auch immer sehr unterschiedliche Einflüsse wichtig, so liebe ich beispielsweise spanischen Flamenco und den portugiesischen Fado. Fado habe ich intensiver kennengelernt in der Zeit, in der ich am Konservatorium in Porto unterrichtet habe, als Nachfolgerin von Maria João. Klassischer Gesang ist natürlich auch immer sehr wichtig für mich gewesen. Ich habe während meines eigenen Studiums neben dem für Jazzgesang auch immer klassischen Gesangsunterricht genommen, der mich sehr geprägt hat.
Wir sind Sängerinnen und wir müssen das gleiche machen wie Opersängerinnen: Tagtäglich üben, um die Stimme fit zu halten. Während des Studiums musste ich wöchentlich Opern und Arien singen und die Prüfungen dazu mitmachen. Es hat mir sehr viel gebracht. Das war interessant, mit der Stimme von einer anderen Seite her beschäftigt zu sein.
Seit acht Jahren gebe ich Unterricht im Hauptfach „Jazzgesang“ am Konservatorium in Rotterdam und seit September dieses Jahres gebe ich einmal im Monat Masterclasses am Konservatorium in Antwerpen, Belgien. Die Arbeit ist immer eine große Inspirationsquelle für mich. Ich lerne tagtäglich von den jungen Leuten dazu. Man muss im Leben einfach immer für viele Einflüsse offen bleiben!

Das Interview führte Elizabeth Ok für Jazzdimensions (www.jazzdimensions.de: Jazz, worldmusic, songwriting & more); wir bedanken uns für die freundliche Abdruckgenehmigung.

CD: Fay Claassen – „Red, Hot & Blue“
(Challenge Records CR 73269)

Fay Claassen im Internet: www.fayclaassen.nl

Challenge Records im Internet: www.challengerecords.com

Autorin: Elizabeth Ok

18.12.2008