Zwei Mega Drum Queens
Terri Lyne Carrington + Cindy Blackman
Was ist die Gemeinsamkeit von Rocker Lenny Kravitz und Jazzpianist Herbie Hancock? Natürlich machen beide auf ihrem Gebiet hervorragende Musik, aber das ist es nicht, was ich meine. Bei beiden sitzt eine Frau hinter dem Schlagzeug. Bei Lenny Kravitz trommelt seit sechs Jahren Cindy Blackman, bei Herbie Hancock sitzt Terri Lyne Carrington seit einigen Jahren hinter den Drums. Zwischen beiden Frauen gibt es noch mehr Parallelen: Beide sind Afro-Amerikanerinnen, Mitte Dreissig bis Anfang Vierzig, beide sind Jazzschlagzeugerinnen und beide leiten auch eigene Projekte.
Und beide waren im Sommer mit ihren eigenen Bands unterwegs, im Berliner A-Trane haben beide ein paar Abende hintereinander Warm-Up-Gigs gespielt, was sowohl für die Musiker auf der Bühne als auch das Publikum im Club spannend war. Wann hat man schon mal die Gelegenheit, solche hochkarätig besetzten Bands (Terri Lyne spielte unter anderem mit der Pianistin Gerri Allen und dem Gitarristen Nguyên Lê, Cindy Blackman unter anderem mit Matt Garrison am Bass und David Gilmore an der Gitarre) auf einer kleinen Bühne zu erleben?
Eine kurze Vorstellung der beiden Ausnahme-Schlagzeugerinnen.
Terri Lyne Carrington
Fangen wir bei Terri Lyne Carrington (Foto oben) an. Ihre erste Titelgeschichte in der amerikanischen Schlagzeuger-Zeitschrift „Modern Drummer“ hatte sie 1977, was erst angesichts ihres momentanen Alters von 36 stutzig macht. Richtig gerechnet, da war sie gerade 11, und die Musikerwelt hatte schon aufgehorcht. Mit 11 spielte sie mit Trompeter Clark Terry am Wichita Jazz Festival, sprach mutig ihr großes Idol Oscar Peterson (Pianist) an und erzählte ihm, daß sie am Vorabend zwei Sets mit Terry gespielt hatte.
Der wollte das nicht glauben, stoppte seine Jungs beim Instrumente-Verstauen und spielte mit der 11jährigen. Die Leute, die den Saal schon verlassen wollten, kamen zurück. Einer davon war Laurence Burke, Chef des legendären Berklee College in Boston. Der sicherte Terri Lyne sofort ein Stipendium zu. Damit war sie eine der jüngsten Jazz-Stipendiaten und kurz darauf die jüngste Endorserin für die Becken-Firma Zildjian. Ihre erste Platte unter eigenem Namen mit Jazzstandards nahm sie mit 16 auf, in ihrer Band spielten Bassist Buster Williams und Pianist Kenny Barron.Ihr „erstes richtiges“ Album kam 1989 auf den Markt, die „Real Life Story“, die Fusion-Musik enthält ist und auf der Terri Lyne ihre Kompositionen auch selber singt, wurde sogar für einen Grammy nominiert. Daß sie ihn nicht bekommen hat, machte ihr nicht sonderlich viel aus.Sie sagt: „Seither weiß ich, wie die Leute sich fühlen, die sagen „das kommt so überraschend, ich habe gar keine Rede vorbereitet….“. Seither war sie so beschäftigt, daß sie kaum noch dazu kommt, eigene Platten aufzunehmen. Mit der Superband, mit der sie im Sommer unterwegs war, könnte sie sich das schon vorstellen. Überhaupt endlich mal wieder mehr mit eigenen Bands unterwegs sein, das würde sie gerne. Aber der Terminplan ist vollgepackt, Ab Sommer 2001 ist sie über drei Monate mit Pianist Herbie Hancock und seinem neuen „Future to Future“-Projekt unterwegs, bei dem schweißtreibende Ambient- und Triphop-Grooves gespielt werden müssen und Terri Lyne auch singt.
Ihre Begabung fiel natürlich nicht aus dem Himmel. Vater Sonny ist Saxophonist und Terri Lynes Großvater trommelte bei Duke Ellington. Mochte der Vater vielleicht jemals gedacht haben „ach, ein Mädchen“, mußte er schnell entdecken, daß das kleine Mädchen Musik im Blut hatte. Die erste große Liebe war das Saxophon, das nach dem Verlust der Milchzähne weggelegt werden mußte. Dann entdeckte Terri Lyne das alte Drumset ihres Großvaters im Keller und legte seither die Stöcke nicht mehr aus der Hand.
In einem Interview Ende der 80er Jahre sagte Terri Lyne Carrington, daß sie seit ihrem 18. Lebensjahr nicht mehr geübt hätte, ja, nicht einmal mehr ein Drumset zu hause hätte. Die Zeiten haben sich ein bißchen geändert, als sie sich ein Haus gekauft hat. Aber üben? „Ich habe jetzt eine Menge Platz. Aber ich bin es nicht mehr gewohnt, zu üben! Also setze ich mich gelegentlich an das Drumset und spiele ein paar Rhythmen. Aber nicht oft. Wenn ich Zeit habe, werde ich wieder mehr üben, das habe ich schon länger vor…“ Doch neben Schlagzeug spielen, singen und komponieren, produziert Terri Lyne Carrington auch. Unter anderem produzierte sie Dianne Reeves‘ Platte „That Day“. Demnächst wird sie die Platte von Weight the III. produzieren. „Da bin ich dann endlich mal wieder ein bißchen am Stück zuhause und kann arbeiten.“
Über Vorurteile zu Frauen am Schlagzeug kann sie natürlich auch einiges sagen, obwohl Terri Lyne Carrington durch ihre Stellung drüber steht: „Vorurteile sind eine zweischneidige Sache. Weil du als Frau hinter dem Schlagzeug sitzt, stellt man nicht so hohe Erwartungen an dein Talent. Das kann für und gegen dich arbeiten. Wenn die Leute dich hören und ihre Erwartungen übertroffen werden, super, manchmal stört dieses „nicht so gut wie ein Typ…“. Aber da kann man nix machen, und drüber aufregen bringt auch nix. Ich habe mich selber auch schon mit Vorurteilen gegenüber anderen Musikern erwischt. Trotzdem hoffe ich, dass sich dieses „Schlagzeugerin, da bin ich mal gespannt“ eines Tages erledigt hat.“
Auswahldiskographie:
„Real Life Story“ (Polygram)
Mit Rachel Z. „Rooom of OneÕs Own“ (NYC)
Mit Herbie Hancock „Gershwins World“ (Verve, 1998)
Mit Gary Thomas „Till we have Faces“ (Polydor)
Spielte unter anderem mit Herbie Hancock, Nils Petter Molvaer, Mike Stern, Anthony Jackson, Dianne Reeves, Gerri Allen, Clark Terry, Oscar Peterson, …..
Cindy Blackman
Schlagzeuger sind in der Körpergröße immer schlecht abzuschätzen, wenn sie hinter ihrem Instrument sitzen. Bei Cindy Blackman passen Power und Lautstärke schwierig mit ihrem kleinen, zierlichen Äußeren zusammen. Die Frage, wo sie ihre Kraft her hat, beantwortet sie charmant mit „Spinat essen“, um dann doch wieder ernsthaft zu werden. „Ich bin ja nicht sehr groß“, sagt sie, „aber ich habe früher auch Sport gemacht. In meiner Highschool-Zeit war ich Speerwerferin, und das nicht mal schlecht. Ich habe einige Pokale gewonnen. Aber da geht es ebenfalls nicht alleine um die Muskelmasse, sondern auch um die Energie, die du einsetzt und darum, wie sehr du etwas haben möchtest.“
Schon als Kind wollte Cindy Blackman Schlagzeug spielen, was ihrer Mutter und ihrer Großmutter, die beide klassische Musikerinnen waren, nicht sehr gefallen hat. Trotzdem hat sie alle Unterstützung erhalten. Später studierte sie in Hartford und am Berklee College of Music. Ihre Lehrer dort waren Alan Dawson und Lennie Nelson. Die größten Einflüsse sind in Cindys Drumming deutlich zu hören: Art Blakey und – am stärksten – Tony Williams (1996 verstorbener Drummer, der als 16jähriger bei Trompeter Miles Davis Furore machte und seinen eigenen Bands Lifetime Jazzgeschichte schrieb).
Der Studienzeit in Boston folgen harte Zeiten in der Jazzmetropole New York. Cindy Blackman bestreitet einen Teil ihres Lebensunterhalts mit Straßenmusik. Langsam wird die Szene auf die junge Schlagzeugerin aufmerksam, sie kann mit Saxophonist Sam Rivers, Trompeter Hugh Masekela, Saxophonist Joe Henderson und Gitarrist Larry Coryell spielen. Der Trompeter Wallace Roney, in dessen Band sie auch spielte und für den sie auch einige Kompositionen geschrieben hatte, ermutigt sie, unter eigenem Namen auf seinem Label zu veröffentlichen. Seither hat Cindy Blackman sieben Platten veröffentlicht, die neueste heißt „Somewhere“ (High Note / sunny moon). Der Spagat zwischen Lenny Kravitz, Music Awards, der Letterman Show und den eigenen Jazzbands gelingt Cindy Blackman mühelos. In die Band des Rockers Lenny Kravitz ist sie über einen gemeinsamen Freund gekommen, der die beiden übers Telefon kurzschaltete. Lenny Kravitz war auf der Suche nach einem neuen Drummer und ließ Cindy übers Telefon vorspielen und bestellte sie am nächsten Tag nach L.A. Aus den angenommen zwei Tagen wurden zwei Wochen Audition, und am Ende hatte Cindy Blackman den Job, den sie seit mehr als sechs Jahren ausübt.
Somit kennt dieses Energiebündel also beide Welten, die der kleinen Jazzclubs und der riesigen Venues, großen Stadien und besten Hotels. Doch in ihrem Herzen ist sie immer Jazzschlagzeugerin geblieben.
Ist sie nicht auf Tour „wobei Lenny Kravitz-Tourneen manchmal bis zu einem Jahr dauern!„ arbeitet sie was heißt, daß sie Stücke für ihre Bands schreibt und übt. Vor allem letzteres, denn da ist sie echt besessen. Die Bemerkung des Berliner Kuriers mit Tipp des Tages: Sexy Cindy lacht sie. „Das hat nichts mit der Musik zu tun, als Frau nehme ich das „sexy“ einfach mal ein Kompliment. Dankeschön! Ich mag, was ich mache, und ich versuche, die beste Musik, die mir möglich ist, zu machen. Außerdem bin ich sehr gerne Frau – müßte ich zwischen Mann und Frau sein wählen, würde ich mich sicher immer wieder für die Frau entscheiden, hahaha! Frauen können so viel, ich finde das großartig. Aber nicht falsch verstehen, ich stehe auf Männer! Ich mag den Unterschied zwischen Frauen und Männern, aber ich liebe es, auf meiner Seite zu stehen. Natürlich sind mir im Laufe meiner Karriere auch eine Menge Vorurteile über Frauen am Schlagzeug begegnet. Aber das ist etwas Negatives, und negative Dinge deprimieren mich. Ich möchte nicht deprimiert sein, und ich spiele, so gut ich kann. Wenn da jemand ein Problem damit hat, ist das sein Problem. Ich ignoriere das, weil ich keine Lust habe, mit solchen Gedanken schlafen zu gehen. Ich denke an positive Dinge. Ich mache Musik um der Musik willen.“
Diskographie
„Arcane“ (Muse)
„Code Red“ (Muse)
„Telepathy“ (Muse)
„Oracle“ (Muse)
„In The Now“ (High Note / sunny moon)
„Works on Canvas“ (High Note / sunny moon)
„Someday“ (High Note / sunny moon)
u.a. Sidewoman bei Rachel Z., Wallace Roney, Steve Coleman, Kenny Barron, Pat Martino, George Benson, u.a.
Copyright: Melodiva
29.09.2001