Chavela Vargas (Mex)

Die Stimme Mexikos

Chavela Vargas – Bekannt u. a. aus dem Soundtrack des Films „Frida“

Chavela Vargas singt die sentimentalen, traditionellen Lieder Mexikos noch gefühliger und noch emotionaler, als die anderen Intepreten des Ranchero-Stils.
Die „Hymnen der heiteren Verzweiflung” (wie ihre Freundin Frida Kahlo sagte) klingen bei Vargas authentisch und sind eben nicht krachend wie bei den Mariachi-Bands, die aus derselben Musiktradition stammen. Die vielseitige Stimme von Chavela Vargas ist der Mittelpunkt ihrer Musik, ebenso wie das öffentlich vorgetragene Gefühl – ein Schauspiel also, dass Spanier und Südamerikaner verzückt. Sie gilt als die beste Interpretin des mexikanischen Komponisten und Texteschreibers José Alfredo Jiménez, dessen Lieder zum kulturellen Allgemeinwissen in Südamerika und Spanien gehören.
„Aus einem Konzert von Chavela Vargas kommst du mit dir selbst versöhnt heraus”, findet Pedro Almodóvar, „weinend über deine eigenen Fehler, du sagst dir, dass das Leben nun mal so ist, aber du wirst dich wieder verlieben, irrst dich wieder, aber du lebst weiter und unglücklicherweise leidest du auch weiter.”.

Ihre Seelen sind wohl verwandt.

Über Kontinente hinweg, durch zwei Generationen voneinander getrennt, ein Mann und eine Frau, die sich lieben, wie nur Freunde sich lieben können. Als Pedro Almodóvar und Chavela Vargas sich Anfang der neunziger Jahre kennenlernten, war Almodóvar ein international anerkannter Regisseur. Nein, er war der Star des neuen Spaniens, der nach der Agonie des Landes die Avantgarde der achtziger Jahre geprägt hatte, der der Welt zeigte, dass hinter den Pyrenäen wieder Kunst und Kino möglich waren und Liebe, Eifersucht und Drama kunstvoll zu einem Leben in schrillen Farben erwacht waren. Chavela Vargas war zu dem Zeitpunkt ein tot geglaubtes Idol aus Mexiko, 73 Jahre alt, und begann in Madrid ihr „zweites Leben”, wie sie sagt. Eine zweite Karriere als Sängerin, als La Vargas, nach ihrer Leyenda negra, die sie mit 45.000 Litern Tequila durchgebracht hatte.
„Aber der echte Tequila, nicht der Synthetische”, scherzt Chavela Vargas in ihrer jüngst erschienen Autobiographie. Denn schließlich haben sie und ihre Freunde der mexikanischen Boheme der blauen Agave als Grundstoff für den echten Tequila in Mexiko den Garaus gemacht, haben so lange in den Kneipen, Varietes und Bordellen von Mexico-Stadt, Veracruz und Acapulco gesoffen, bis die Schnappsbrennereien einen künstlichen Ersatzstoff für den Tequila erfinden mussten.

Denn ihre Seelen sind wohl verwandt. „Pedro Almodovar ist meine Fortführung”, sagt Chavela Vargas.
„Wir ähneln uns so sehr, wir folgen so sehr aufeinander, dass ich alle meine Gefühle in ihm weiterleben sehe.”

Das ist eine Legende, das ist lange her.
Vielleicht hätte Chavela Vargas den jungen Pedro Almodóvar aber auch im Delirium während der schwarzen fünfzehn Jahre ihrer Leyenda negra schon erkannt. Beide werden von den ewigen Themen Liebe, Leidenschaft und der zwangsläufigen Einsamkeit nach dem Verlassenwerden zum künstlerischen Ausdruck getrieben, Themen die die Menschen in Südamerika und Spanien mehr zu beschäftigen scheinen, als die Bewohner anderer Länder.
Diese Dramen der menschlichen Beziehungen bestimmen auch Almodovars Filme und in „Kika“ (1993) und in „La flor de mi secreto” (1995) gibt er in Schlüsselszenen der Stimme von Chavela Vargas Raum, die Handlung mit ihrer tiefen, sentimentalen Stimme zu bestimmen. In dem früheren Film „Tacones Lejanos” hat er einen der größten Erfolge von Vargas – „Piensa en mí” (Denk an mich) – von der spanischen Pop-Größe Luz Casal singen lassen. Denn wie könnte Almodóvars zentrales Thema treffender ausgedrückt werden, als mit der schlichten Dramatik eines Vargas-Klassikers: „Denk an mich, wenn du leidest, wenn du weinst, denk auch an mich, wenn du mir das Leben nehmen willst, nimm es, denn es nützt mir nichts ohne dich”.

„Ich wünsche mir, dass die Menschen bei meinen Filmen spüren, was ich bei Chavelas Musik empfinde,” sagt Almodóvar und so gehört Chavela Vargas zu seinen Filmen, wie der junge Antonio Banderas, Victoria Abril oder Marisa Paredes.
Und selbst wenn sie alle nicht mehr in dem jüngsten Film von Almodóvar, „Sprechen Sie mit ihr!”, auftauchen, hat Chavela Vargas doch auch diesen vordergündig so untypischen Almodóvar beeinflusst. „Dieser Film schafft eine Verbindung zum Herzen des Zuschauers”, sagt Almodóvar über „Hable con ella”, „und mir gefällt die Vorstellung, dass der Film beim Zuschauer dieselben Gefühle anregt, wie bei mir, wenn ich Chavela Vargas höre.” In ruhigen Bildern erzählt er in dem Film die Geschichte der Einsamkeit nach einem Verlust und beleuchtet immerhin gleich mehrere Tabus von Abhängigkeit über Koma bis Sex und Tod.
„Ich möchte, dass der Film so wirkt, als wenn Chavela auf der Bühne singt, und du glaubst, dass du vor ihr beichtest. Sie spricht einzig und allein von dir, von dem was du erlitten hast und von all deinen Enttäuschungen. Und das alles ohne moralische Urteile und ohne Bestrafungen”.

Über Chavela Vargas haben immer andere geurteilt

Über ihre Alkoholkrankheit, über ihre Homosexualität, über ihre Freizügigkeit. Im Spanien der Franco-Diktatur waren etliche ihrer Lieder verboten, in Kuba hat sie noch heute Einreiseverbot, weil sie sich despektierlich über Fidel Castro äußert. Aber dafür hat das Publikum sie immer geliebt. Rund zwanzig Jahre lang, von den fünfziger bis in die siebziger Jahre, war Chavela Vargas in Mittel- und Südamerika so bekannt und beliebt wie Edith Piaf in Europa.
Ihre Lieder, seit jeher einzig von zwei Gitarristen und sich selbst begleitet, gehören zur kulturellen Identität der Spanier und Südamerikaner des 20. Jahrhunderts und sie füllte fast dreißig Jahre lang die Hallen und Varietes südlich des Rio Grande. Sie war und ist die Billie Holiday der spanisch sprechenden Welt, mit derselben melancholischen Verheißung und lasziven Hingabe wie die Lady des Blues.
Und ebenso wie Piaf und Holiday nimmt sie die traditionelle Musik ihres Landes auf und entwickelt sie durch ihren sehr eigenen und manchmal sehr sentimental klingenden Stil weiter. Die Musik der Vargas wirkt leicht folkloristisch, dabei hat sie bereits in ihrem ersten Leben vor dem Alkoholabsturz auf die Mariachi-Romantik verzichtet.

Chavela Vargas hat noch heute mit 83 Jahren die Revolution in der Stimme, sie ist aufmüpfig und aufständisch gegen die verklemmten Kleinbürger und lustfeindlichen Misanthropen.
Ihre gleichnamige Hymne auf die chinesischstämmige Afrokubanerin Macorina klingt 35 Jahre nach der Entstehung noch ebenso anrüchig wie im korrupten Havanna der Batista-Ära. „Ponme la mano aqui, Macorina – Leg deine Hand hierhin, Macorina” singt Chavela Vargas in gurrendem Ton mit anschmiegsamen Zischlauten und hat nie einen Zweifel daran gelassen, wohin die karibische Schönheit ihre Hand legen soll. Das Lied hat es in sich. „La Macorina” war in Südamerika derart bekannt und beliebt, dass die Guerrilla von El Salvador das Lied als Kampfparole übernommen hat. Sie änderten den Text allerdings ein wenig und an der Stelle, an der Chavela Vargas ein leidenschaftliches „Ahh” in das Mikrofon hauchte, schmetterten die Kämpfer „Leg deine Hand auf die Wunde, Macorina, die mir die Kugel der Revolution gelassen hat”.

Gesungen hat Chavela Vargas schon als Kind, wenn sie Kaffeenüsse und Orangen auf den Plantagen ihrer Onkel in Costa Rica pflücken musste. Sie wurde dort am 17. April 1919 als Isabel Vargas Lizano in dem kleinen Dorf San Joaquín de Flores an der Pazifikküste geboren. In den ersten Lebensjahren ist sie oft krank, bekommt eine merkwürdige Hautkrankheit, erblindet und erkrankt schließlich an Polio.
Die Medizinmänner der indianischen Urbevölkerung heilen sie mit den Pflanzensäften des Urwalds und noch heute vertraut Chavela Vargas deswegen auf die Kräfte der Schamanen. „Sie haben mich auf den Tod vorbereitet, der nur ein Schritt ist – ein Schritt in die Freiheit”, sagt Vargas.
Ihre Eltern aus dem Bürgertum ließen sich wenige Jahre nach ihrer Geburt scheiden und nachdem Chavela zunächst mit ihrer Mutter und ihrer Schwester Ofelia in der Hauptstadt San José lebt, schickt die Mutter sie kurze Zeit später zu den Verwandten aufs Land. Ihre Kindheit dort zu Anfang des 20. Jahrhunderts war so hart und entbehrungsreich, wie sie auch 80 Jahre später hart und entbehrungsreich für die Kinder Mittelamerikas ist. Sie arbeitet früh, lernt mit sechs Jahren mit einer Pistole umzugehen und sich selbst zu schützen, hungert und ist in ihrer Familie das ungeliebte Kind, das einsam durch den Wald streift.
Solange sie sich zurückerinnern kann, schreibt Vargas in ihrer Autobiographie, haben die Menschen sie für verrückt erklärt. Als sie das „unerträgliche Dasein” bei ihren Verwandten nicht mehr aushält, zieht sie zu ihrem Vater in der Hauptstadt. Doch der hält sie ebenfalls für merkwürdig und möchte sie am liebsten in die Psychatrie einweisen lassen. Mit 14 Jahren hat Chavela Vargas genug. Sie fliegt nach Mexico und weiß nur, dass es besser werden kann. Und dass sie singen möchte, „singen wie die Mexikaner singen können”.

Zu Beginn – Vernichtende Urteile

Es dauerte etliche Jahre bis es soweit war. Die ersten Kritiker fanden die Stimme von Vargas „grauenhaft” und der im Mexiko der dreißiger und vierziger Jahre einflussreiche Komponist Ignacio Fernández Esperón riet ihr, bloß nie zu singen, da ihre Stimme „zu hässlich” sei. Chavela Vargas ließ sich jedoch davon nicht abhalten. Sie verdiente ihren Lebensunterhalt zunächst als Köchin, handelte mit Kinderkleidung und organisierte einen Fahrdienst für Hausangestellte. Wenn es möglich war, sang sie in den Tavernen und Nachtlokalen der mexikanischen Hauptstadt. Und die zarte Frau mit den ebenmäßigen Gesichtszügen, den trotz ihres Strahlens immer ein wenig melancholischen Augen und dem großen Mund fiel auf.
Chavela Vargas muss schon als junge Frau diese besondere Ausstrahlung gehabt haben, die das Publikum in ihren Bann gezogen hat. Sie tingelte von Bar zu Bar und arbeitete schließlich während der Saison im damals mondänen Ferienort Veracruz. Die nord- und südamerikanische Schickeria aus Politikern, Filmdiven, Industriellen und Gangstern traf sich damals gern in dem Ort am Golf von Mexico, denn auch das Vergnügungszentrum der Karibik, Havanna, war nicht weit.

Sie lernt die Richtigen und Wichtigen kennen

Die erfolgreichen Komponisten Agustín Lara und José Alfredo Jiménez sind begeistert von Vargas Ausdruckskraft und schreiben fortan Texte und Kompositionen für sie. Wegen ihrer indianischen Gesichtszüge bekommt sie Rollen in mexikanischen Filmproduktionen und 1990 nutzt auch Werner Herzog die charakterstarke Erscheinung von Vargas als Indio-Frau in seinem Film „Schrei aus Stein”.

Sie ist eine enge Freundin von Frida Kahlo und wohnt monatelang mit der surrealistischen Malerin und ihrem Mann Diego Rivera im Blauen Haus. Neben der internationalen Boheme und der künstlerischen Avantgarde Amerikas, die sich in den vierziger und frühen fünfziger Jahren in Mexiko trifft, schätzen aber auch die Damen der mexikanischen Gesellschaft den Umgang mit Chavela Vargas, die immerhin so vielversprechende und unverschämte Lieder singt. Daran hat sich bis heute nichts geändert.
Vor zwei Jahren, erzählt Chavela Vargas, näherte sich ihr in einem Restaurant in Madrid eine Dame und fragte sie flüsternd „Chavela, wann gehen wir zusammen ins Bett?”. „Rara”, merkwürdig, immer wieder merkwürdig, finden bestimmte Menschen Chavela Vargas, wundert sie sich in ihrer äußerst witzigen Autobiographie. „Dabei ist meine Merkwürdigkeit wenigstens echt. Ich bin eine Frau, mutig, wild, lesbisch und gut.”

1997 wurde ihr Album „Chavela Vargas“ mit dm Jahrespreis der Deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet.

Nachfolgealbum: „Dos“

Quelle: Dieser Text erschien in der Mai-Ausgabe 2003 der LESPRESS.
www.lespress.de

Wir bedanken uns bei Ulrike Anhamm und der Autorin für die kollegiale Unterstützung.

Copyright: Redaktion Melodiva

Text: Ulrike Fokken / Berlin

www.tropical-music.com

30.04.2003