DJanes on TOP – Teil 5

DJane Ilkay

Istanbul Beatz

Musik ist genauso einzigartig wie wir alle
…unzählbar und auch unverwechselbar

Eine sympathische Downtempo-Plattendreherin in der großen Bosporus- Metropole Istanbul. Vergesst alle Krücken, die in den Medien so verbreitet werden. Istanbul ist eine Millionen Großstadt und als solche auch Ort für Vergnügen und Nachtleben. Unter zahllosen Nachtclubs kann man sich sein Tanzvergnügen je nach Musikgeschmack aussuchen.

Und übrigens tragen Frauen dort nicht unbedingt Kopftücher und schon gar nicht, wenn sie, wie Ilkay angesehene Plattenauflegerinnen sind. djmagazin ließ sich einiges erzählen über das Leben einer der berühmtesten DJs in Istanbul.

DJ Ilkay fing vor ca. 3 Jahren mit dem Plattendrehen an.
Zu dieser Zeit war sie Austauschstudentin in Seattle, Washington (USA). Dort nahm sie die Musikszene als sehr offen und liberal wahr. Und Musik bestimmte dort den Alltag. Egal ob man in einem Café oder in irgendeinem Geschäft stand, immer gab es Musik. Gute Musik und vor allem elektronische Musik. So fing sie an Platten und CDs zu sammeln. Als sie dann zurück in Ihrer Heimatstadt Istanbul war, wollte sie diese neu gewonnene Liebe zur elektronischen Musik mit anderen Menschen teilen. Sie ging mit einem Konzept zu einer Radiostation und begann ihre wöchentliche Sendung JETSET. Warum sie DJ wurde, kann sie selbst nicht mehr so genau nachvollziehen, jedoch hatte die Zeit in Seattle bei Ihr einfach einen unstillbaren Hunger nach diesen runden schwarzen Scheiben entwickelt. Da sie ihr ganzes Geld dafür ausgab, wollte sie, dass auch Andere mit Ihren Schätzen beglückt werden. Beziehungsweise dachte Ilkay, dass Andere Ihren unstillbaren Hunger teilen und eben auf der Suche nach neuer Musik, mit eben dieser versorgt werden sollten. Ihre Radiosendung ist also sozusagen ein Buffet dieser musikalischen Leckereien …

Und wie hört sich dieses Radiobuffet der elektronischen Leckerhäppchen an?
Meine Show JETSET ist ein mit Träumen gefülltes Flugzeug. Aber mal im Ernst, es steckt wirklich ein Flugkonzept dahinter. Jeden Donnerstag um 21:00 Uhr ruft die Stewardess die Gäste zusammen, um gemeinsam auf Reise zu gehen.
Sie sagt: „Willkommen an Board, bitte lehnen sie sich zurück und schnallen sich an, für die nächsten zwei Stunden unternehmen wir eine Reise durch das Downtempo-Wunderland”. Ich mag es nicht gerne meine Musik in Worte fassen zu müssen, denn Worte sind nur beschreibend und Musik ist etwas Emotionales, etwas Fühlbares. Wenn ich aber doch das Vehikel benötige, würde ich sagen, ich spiele sentimentalen Future-Retro-Sound. Ich liebe stylish Gemixtes aus den 60ern und 70ern. Und ich mag den Filmaspekt in der Musik. Musik lässt die Leute ihren eigenen Film sehen, eigene Geschichten entwickeln und eigene Bilder zu Gefühlen entwickeln.

Wo findest du die Musik, die du auflegst und wie informierst du dich über Neuigkeiten?

Ich kaufe viel im Internet. Und dann gibt es Lieblingslabels, deren Releases versuche ich immer wieder zu bekommen, wenn es Neuigkeiten gibt. Für Downtempo-Musik ist das Internet einfach die beste Quelle. Meine Lieblingsmusiker sind Nicola Conte, URSULA 1000, Axel Krygier, Zimpala, Blue States, Quantic und alle, die ich immer wieder gerne in meiner Radiosendung spiele.

Wann ist eine Platte für dich eine gute Platte?

Zuerst mal ist ein gutes Cover wichtig. Das Cover sagt eigentlich schon alles, es transportiert sozusagen die Idee der Musik. Ich glaube es gibt eine starke Verbindung zwischen Design und Musik. Und im Übrigen mag ich gerne Tracks, die eigentlich die Bezeichnung Song verdienen, mit einer unnachahmlichen Melodie, einer starken Identität und einem sehr tiefen Gefühl. Es gibt Platten, die sind einfach so gut, dass sie quasi zeitlos erscheinen und dann kommen sie auch nicht mehr aus dem Case!

Wie legst du auf?

Beim Auflegen achte ich weniger auf extravagante Technik, als auf Stil. Ich bin ein sehr wählerisches Mädchen in allen möglichen Lebensituationen, also auch in der Musik. Ich mag Verbindungen unterschiedlicher Dinge, und ich mag es, wenn ich diese emotional herstellen kann. Manchmal erscheint etwas auf den ersten Blick unkombinierbar, aber genau dieser Kontrast kann auf der anderen Seite eine völlig neue Wahrheit eröffnen. Zum Beispiel kann man beim Kleiderauswählen alte 70er Retro Sachen wunderbar mit futuristischen Elementen verbinden und so etwas völlig Neues nur durch die Kombination erreichen. Vielleicht sehe ich dann aus wie eine Oma aus dem Jahre 2020, aber irgendwie ist es nicht nur einfach irgendeine Zusammenstellung ohne Bedeutung.
Normalerweise mixe ich die Tracks kaum zusammen und eventuell würde man mir auch absprechen ein DJ im klassischen Sinne zu sein. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass Stimmungen nur in der Zusammenstellung begründet sind und eine Reise sollte sich auch Zeit nehmen, um Emotionen zu wecken. Mir geht es beim DJing darum, Stimmungen zu platzieren, insofern können zwei aufeinander folgende Platten durchaus unterschiedlich klingen. Wenn sie dieselbe Stimmung transportieren, passen sie für mich zusammen. Der gemeinsame Nenner ist also das Gefühl, nicht die BPM und nicht die Art wie ein Platte gemacht ist. Schau zum Beispiel Gilles Peterson an, er mixt nie und trotzdem ist er einer der besten DJs. Ich präsentiere meine Musik wie einzelne Episoden eines Films, die zusammen einen schöne Streifen ergeben und eine Geschichte erzählen. Und dafür würde viel Mixen nichts bringen!

Hast du Vorbilder und wie kommst du mit den Kollegen klar? Was ist mit der Gender-Frage DJ oder DJane?

Zunächst finde ich die Gender-Frage überflüssig, denn Musik ist Emotion, kommt also wie gesagt von Herzen. Es ist also keine Frage ob Titten oder Penis und auch nicht von anderen komischen biologischen Konstruktionen.

Und wenn etwas von Herzen kommt, merken wir das doch alle! Mit andern DJs komme ich immer dann gut klar, wenn man sich gegenseitig respektiert. Es ist allerdings echt witzig zu sehen, dass alle denken, ihr Sound ist der einzig wahre. Komisch! Musik ist genauso einzigartig wie wir alle, unzählbar und auch unverwechselbar.

Mein Lieblings-DJ-Kollege arbeitet auch beim Radio. Cantanca von FG 93.7. ist einer der besten Downtempo-DJs, die ich kenne.
Wie ist Istanbul und die Szene?
Riesig, genauso wie in jeder anderen großen Metropole mit so vielen Einwohnern. Wir haben eine monströse Partycrowd und wenn man Techno oder Trance mag, gibt es Partys mit 10.000 Menschen. Aber wie überall auf der Welt ist die Downtempo-Szene eher übersichtlich, dafür spannend.
Produzierst du auch und was bringt die Zukunft?

Ich glaube mein bester Plan ist es immer Träume zu haben. Ich habe ganz ganz viele bis jetzt: ein cooler Gig in Japan oder mein eigenes Mode-Label. Oder professionell Kochen zu lernen fände ich sehr sexy. Oder mehr Leuten von meiner Weltanschauung zu erzählen mit Worten, Mode und Design. Musik produziere ich nicht selbst, aber ich produziere Werbung. Ich arbeite bei der türkischen Filiale einer multinationalen Werbeagentur und mit meinem Freund entwerfe ich auch Cover und andere Designarbeiten für meine Musik. Auch die ganzen Flyer für meine Radiosendung entstehen so. Und nicht zuletzt haben einige unserer Artworks bereits Design-Preise gewonnen.

Dieser Text ist nur nach Absprache mit der Redaktion für eine Weiterveröffentlichung zu verwenden.

Wir bedanken uns bei Markus Erdmann vom DJ-Magazin-Zweitausenddrei www. dj-magazine.de für die freundliche Überlassung des Artikels, der dort im Juli 2003 erschienen ist.

31.07.2003