Carla Bruni/I
"Körper & Seele"
Carla Bruni wird im Dezember 1968 als Tochter einer wohlhabenden Turiner Künstlerfamilie geboren. Der Vater ist Komponist, die Mutter Pianistin. Carla wächst in Paris auf, besucht eine Privatschule in der Schweiz. Ihr Kunststudium bricht sie ab, als sie als Model entdeckt wird. Ihr Gesicht ist fortan in Werbekampagnen von L’Oreal, Christian Dior und BNP zu sehen. Danach modelt sie auf dem Laufsteg für Valentino, Yves Saint Laurent und John Galliano. Nebenbei steht sie wegen angeblicher Affären mit Mick Jagger und Donald Trump in den Schlagzeilen. 1998, auf dem Höhepunkt ihrer Karriere, mit einem geschätzten Jahreseinkommen von 7,5 Millionen Dollar, zieht sie sich aus der Modewelt zurück. 2001 schreibt sie erste Songs für den Franzosen Julien Clerc. Dessen Album ,Si j’étais elle‘ landet auf Platz 1 der französischen Charts. 2003 legt Carla Bruni mit ,Quelqu’un m’a dit‘ erstmals eigene Songs vor – und überzeugt auch als Musikerin. Heute lebt sie mit Ehemann Raphael und ihrem zweijährigen Sohn Aurelian in Paris.
Sie hat für Dior, Versace und Lagerfeld gemodelt und kommt aus einer reichen Turiner Künstlerfamilie – Vater Komponist, Mutter Pianistin. Jetzt zeigt die Tochter, dass sie nicht nur hübsch ausschauen und elegant geradeaus laufen kann, sondern, dass sie auch musikalisches Talent besitzt.
Mit ,Quelqu’un m’a dit‘ hat die 34-jährige Italienerin mit Wahlheimat Paris ein Debüt-Album veröffentlicht, das für einige Überraschungen gut ist.
Ein weiteres Model, das meint, Musik machen zu müssen?
Da dürfte vielen ein Schauer über den Rücken jagen, angesichts solcher Peinlichkeiten wie von Naomi Campbell oder Karen Mulder. Dessen ist sich Carla Bruni durchaus bewusst. Und brachte in Frankreich mit ihrer neuen CD bereits einige Kritiker zum Schweigen. Erstens schreibt sie ihre Songs und Texte selbst, kann auf ihrer Ibanez-Nylon-String recht passabel spielen, beweist mit ihren „Novelle Chansons“ Geschmack und denkt nicht mal an die Charts. Sehr sympathisch – muss sie ja auch nicht. Trotzdem rangierte ,Quelqu’un m’a dit‘ in den Wochen nach dem Interview sogar auch in Deutschland unter den Top 20 der bestverkauften Alben.
Das Interview
Frau Bruni, mögen sie es, Klischees zu zerstören?
Carla Bruni: Gute Frage. Ich weiß, worauf du hinaus willst. Aber das ist für mich nicht der Grund, bestimmte Dinge zu tun. Doch wenn ich ein Klischee damit zerstöre, dass ich etwas mache, was mir sehr wichtig ist, dann macht mir das richtig Spaß.
Böse Stimmen meinen, dass sich Schönheit und Reichtum nicht zwingend mit Intelligenz und Kreativität vertragen.
Carla: Das macht mir nichts aus. Ich liebe es, wenn die Menschen feststellen, dass nicht alles so ist, wie sie sich das vorgestellt haben. Die Leute assoziieren mit mir Schönheit, Luxus und Geld. Ich für meinen Teil kann nur sagen, dass ich weiß, wie unwichtig Schönheit ist und wie viel Wirbel darum gemacht wird.
Du weißt, welche Vorurteile man dir entgegenbringt: Schon wieder ein Model, das singen will …
Carla: Der Unterschied ist, dass ich Gitarre spiele und meine Songs selbst schreibe. OK, ich wache nicht nachts auf und denke: Was für eine bezaubernde Stimme habe ich! Nein. Aber ich habe Selbstbewusstsein genug, eine Sängerin zu sein. Und ich will keine Lieder geschrieben bekommen. Ich will mich selbst ausdrücken.
Deine Lieder überzeugen durch äußerste Schlichtheit. Ist weniger manchmal mehr?
Carla: Grundsätzlich: Die einfachsten Songs sind immer die schwersten. Und: Einfachheit macht mir nichts aus. Ich habe die Hälfte meiner Songs Zuhause eingesungen…
Die andere Hälfte in der Küche deines Freundes und musikalischen Mentors, dem ehemaligen Téléphone-Gitarristen Louis Bertignac
Carla: Genau. Die Produktion von Louis war sehr spontan, gefühlvoll und vorsichtig. Und dennoch hat es eine Menge Arbeit gemacht. Ich fand das fast schon zu viel. Als wir bei einem französischen Radiosender waren und ich einen meiner Songs inmitten zweier anderer Nummern hörte, merkte ich erst, wie puristisch das Album geworden ist.
Welchen Anteil genau hat Louis an dem Album?
Carla: Er hat ganz behutsam weitere Farben in die Songs eingebracht: hier etwas Kontrabass, dort ein paar Streicher, etwas Perkussion. Und natürlich sein Gitarrenspiel. Er war wie ein Regisseur dieser Platte. Er hatte die ersten Demoaufnahmen von mir bekommen. Da ich keinerlei Erfahrung im Arrangieren hatte, habe ich auf allen Songs durchgängig Gitarre gespielt. Aber manchmal tut eine Pause einem Song gut. Er hat sich um diese Nuancen gekümmert.
Wer hat dir das Gitarre spielen beigebracht?
Carla: Niemand! Das kann man hören, oder? (lacht) Ich hatte einen Musiklehrer, als ich sieben Jahre alt war. Bei ihm habe ich ein paar Grundtechniken gelernt, drei Schuljahre lang. Falls du nicht so spielen möchtest, wie Eric Clapton oder Carlos Santana, ist eigentlich nur wichtig, dass du viel und regelmäßig spielst. Ich halte mich auch nicht für sonderlich talentiert. Ich spiele im Grunde nur zu meiner Gesangsmelodie. Ich spiele auch keine Soli. Ich kann es einfach nicht.
Du nennst Leonard Cohen und Bob Dylan als musikalische Mentoren. Was fasziniert dich an deren Musik?
Carla: Ihre Einfachheit. Und ihre Schönheit. Was mich an Musik am meisten fasziniert, ist der Gedanke an sie in ihrer reinsten Form. Ich denke dabei an das Mittelalter, wenn der Minnemusiker unter dem Balkon seiner Liebsten steht und ein Lied für sie spielt (lacht). Ich mag Songs, die ganz einfach funktionieren. Ein Instrument, eine Stimme. Alle guten Songs funktionieren so. Selbst, wenn sie produziert sind. Nimm irgendeinen Led-Zeppelin-Song: Egal, wie raffiniert er instrumentiert ist – er würde immer auf einer akustischen Gitarre funktionieren. Die Produktion ist nicht wichtig.
Nun ja, bedingt schon …
Carla: OK, das ist eher signifikant für Leute wie Björk, TripHopper wie Portishead, oder Bands wie Radiohead. Versteh mich nicht falsch: Ich mag gute Produktionen. Und dennoch finde ich, dass im Mittelpunkt immer der pure Song stehen sollte.
Du hast vor zwei Jahren mit dem Franzosen Julien Clerc sechs Lieder für sein Album ,Si j’étais elle‘ geschrieben, das auf Platz 1 der französischen Charts stürmte. Was macht einen guten Song aus?
Carla: Gute Frage. Hmm… (überlegt). OK: Ein guter Song spricht über etwas ganz Alltägliches, das jeder kennt und versteht. Aber aus einem sehr persönlichen Blickwinkel. Dieser Song bringt also das Kunststück fertig, die allgemeine und persönliche Ebene miteinander zu verbinden und damit ein Gefühl beim Zuhörer auszulösen. Und wenn der dann noch die Melodie nicht mehr aus dem Kopf kriegt, dann ist es ein guter Song, würde ich sagen.
Und du hast Serge Gainsbourgs ,La Noyée‘ (Die Ertrinkende) gecovert. Erhält der Song durch die Augen einer Frau einen neuen Blickwinkel?
Carla: Oh ja, auf alle Fälle. Ich wusste zunächst nicht, was ich fühlen sollte, als ich den Song sang. Ich war mir darüber lange Zeit nicht im Klaren. Zuerst mochte ich die Harmonien. Dann erst entdeckte ich den Text; dieser Mann, der merkt, wie selbstzerstörerisch seine Frau ist, die im Alkohol ertrinkt. Die Geschichte hinter dem Song ist spannend. Gainsbourg hat ihn Anfang der 70er Jahre für Yves Montand geschrieben. Aber der hat ihn nie gesungen. Er hat angeblich mit der Begründung abgelehnt, das Stück ginge ihm zu nahe. Montand lebte damals mit der Schauspielerin Simone Signoret zusammen. Man munkelte, dass sie vielleicht am Ertrinken war.
Das letzte Stück deiner CD trägt den Titel ,La derniere minute‘ (Die letzte Minute) und ist auch exakt 60 Sekunden lang. Worum geht’s da?
Carla: Darum, dass eine Frau auf ihr Leben zurückblickt. Und im Angesicht des Todes, der auf ihrem Bett sitzt, und jetzt, wo die Haut ihres Lebens von Falten und Tränen, Schmerz und Zweifel gezeichnet ist, bittet sie um eine letzte Minute, um eine letzte Zigarette, um einen letzten Schauer, der ihr wohlig über den Rücken läuft, um eine letzte Minute, um ihre Erinnerungen in eine Zigarrenkiste zu packen.
Werden wir dich mit diesem Album live auf der Bühne erleben?
Carla: Ja. Es wird Konzerte geben und ich freue mich darauf. Aber davor werde ich noch eine Menge üben! (lacht)
Eigentlich bist du es ja von deinem früheren Job her gewohnt, auf der Bühne zu stehen. Hast du noch Lampenfieber?
Carla: Nein, nicht wirklich. Aber Gitarre spielen und singen hat überhaupt nichts mit Modeln zu tun. Auf dem Laufsteg gehen kann jeder. Das Modeln betrifft nur deinen Körper. Singen geht tiefer. Denn deine Stimme ist deine Seele.
CD „Quelqu’un m’a dit“ (2003, Naive)
CD Info (Vom Vertreib SPV):
Ein hochdotiertes Fotomodell nimmt eine CD auf – das gibt zu schlimmen Befürchtungen Anlass. Doch wer vermutet hat, hier solle medienwirksame Schönheit über mangelndes musikalisches Talent hinwegtäuschen, sieht sich aufs Angenehmste widerlegt. Denn wie schon die Coverrückseite zeigt : Carla Bruni zeigt uns eine ganz andere Seite ihrer Persönlichkeit – Normalität statt Hochglanz. In französischer Sprache singt Carla Bruni eigene Lieder, die gänzlich unprätentiös wirken, als seien sie gar nicht für eine große Öffentlichkeit bestimmt. Sparsam begleitet, ohne großen Aufwand, ohne Studiotricks, Soundgeplänkel und Produzenten-Eitelkeit. Dazu sehr schöne Texte, sehr besinnlich, nachdenklich, philosophisch (haben wir das einem Fotomodell etwa auch nicht zugetraut???). Und statt platten Sexappeals oder gar Lolita-Klischees präsentiert sich Carla Bruni mit ihrer angenehm ungeschönten Stimme eher als laszive Lady im Stil von Jane Birkin. So ist diese CD, wenngleich überhaupt nicht aufregend oder gar sensationell, doch ein sehr schönes Beispiel von menschlicher Musik, wie sie heutzutage immer seltener wird. Deshalb unser Urteil:
Hut ab!
Quelle: Dieser Text von Stefan Woldach ist in der Ausgabe 9-2003 des Magazins „Gitarre & Bass“ erschienen.
Wir bedanken uns bei der Redaktion und dem Autor für die kollegiale Unterstützung.
31.10.2003