Holly Cole (CA)

"...ihre Visionen, ihre Songs und ihr achtes Album"

Die kanadische Sängerin Holly Cole ist eher untypisch, sie bewegt sich im Grenzbereich zwischen Pop und Jazz und ist mit bereits acht CDs weltweit unterwegs. Sie strahlt durch ihre Musik, und sie schafft es, Texte authentisch ‚rüberzubringen.
Für ihr aktuelles Album „Holly Cole“ (erschienen bei „Tradition & Moderne“) arbeitete sie das erste Mal mit einer kleinen Bigband zusammen, und die Arrangements lassen die Stimme fliegen und unsere Sinne ins Träumen abgleiten. Nachstehendes Interview geht um ihre neueste Produktion.

Holly Cole:
Ich mag das Konzept des Covers und die Idee des „This House Is Haunted“. Nicht nur, weil es ein Song auf der Platte ist, sondern über das physische hinaus. Das Haus ist in diesem Falle ja nicht nur ein Haus, in dem ich wohne, sondern auch mein Herz, meine Seele, mein Alles. Das alles kann heimgesucht werden, auch von Dingen, die einem Angst machen, manches Heimsuchende ist toll und über manche Sachen sollte man mehr nachdenken. Die sind interessant, manchmal romantisch, persönlich, sexy, lustig oder Familiensachen. All diese Sachen können dich heimsuchen, ohne, dass es etwas negatives ist.

Ich mag die Atmosphäre der CD sehr, und ich glaube, diese CD hat das größte Line-Up an Musikern, das Du je hattest. Bis zu sieben oder acht Musiker sind schon auf Aufnahmen von Dir zusammen gekommen, aber eine kleine Bigband war bisher noch nicht vertreten. Die Arrangements sind sehr spannend.

Holly Cole:
Für mich war es sehr interessant, weil es nicht nur eine größere Besetzung, sondern auch andere Leute waren, mit denen ich gearbeitet habe. Ich habe meine feste Besetzung seit vielen Jahren, ein paar von meinen Stammmusikern spielen auch auf dieser CD mit. Ich habe die CD mit Greg Cohen zusammen produziert, er hatte auch meine zweite Aufnahme produziert. Er mochte die Idee, das Gil Goldstein einige Arrangements zu meinen dazu steuert. Mit Greg hatte ich die Idee, das Theremin dazu zu nehmen. Es modernisiert die Aufnahme, es dreht alles etwas herum. Es ist ein ekklektische Kombination von Sachen. Alles ist modern, aber auch komplett anders. Ich könnte nicht glücklicher sein mit der Aufnahme.

Wer hatte die Idee, das Theremin dazu zu nehmen. Von Scott Robinson, der ja auch bei Maria Schneider spielt, sind ja alle möglichen Verrücktheiten zu erwarten.

Das war Greg Cohens Idee, und die war fantastisch. Dieser Song ließ mich immer ein bißchen an Deutschland denken, weil er mich an Brecht erinnert. Vielleicht, weil es ein Stück im Dreivierteltakt und Akkordeon dabei ist. Das hat für mich ein Bert Brecht / Kurt Weill-Gefühl. Die Musik der beiden hat mein Leben für immer beeinflußt. Ich weiß nicht, ob du weißt, dass ich eine ganze Show von Brecht, Eisler und Weill gespielt habe. Ich habe auch bei der Dreigroschenoper mitgewirkt, da war ich zwar nicht die Seeräubertochter Jenny, aber Lucy. Ich habe diese Shows mit meinen Brüdern zusammen gemacht. Seit ich ein Teenager bin, haben mich Brecht und Weill inspiriert.

Mich würde interessieren, wer die Band ausgesucht hat?

Das war Greg. Er hat die meisten Musiker ausgesucht. Die Stücke in kleinerer Besetzung wurden nicht in New York, sondern in Toronto aufgenommen, diese Musiker habe ich ausgesucht. Die New Yorker kannte ich teilweise überhaupt nicht und gespielt hatte ich noch mit keinem von ihnen. Das war wirklich alles Gregs Idee.

Ich wollte über dein Repertoire auf der neuen CD sprechen, das sehr weit gefächert ist. Ich freue mich, auch einen meiner liebsten Jobim-Stücke wiederzufinden.

Ich wähle die Stücke aus, da bin ich der Boss, sowie Greg der Boss war, was die Musiker anging. Wir haben die CD zusammen produziert und jedesmal, wenn ich an einer CD arbeite, ist es sehr schwierig, die richtigen Songs für mich zu finden. Einige Menschen singen einfach Songs, mit denen sie keine persönliche Verbindung haben, und sie singen die Stücke gut. Ich gehöre nicht zu diesen Menschen. Ich wäre der schlimmste Jingle-Sänger in der Welt. Ich kann das nicht faken. Ich habe die Songs gewählt und habe sie Gil arrangieren lassen und ihm viele Ideen mitgeteilt. Das klappte prima. Die Songs stehen unter dem Konzept Verleugnung und Selbsttäuschung. Wenn ich den ersten Gedanken sammle, suche ich Ideen: Ich möchte über Reisen singen, über Verlust, und Verleugnung. Es gibt verschiedene Typen von Verleugnung und Selbsttäuschung, gute und schlechte. Ein Großteil davon ist wichtig, um zu überleben. Als ich Nachforschungen betrieben habe, habe ich mich an eine Episode aus meiner Kindheit erinnert. Wenn man an Selbsttäuschung denkt, denkt man an schlimmes, das wirklich ernst ist. Es gibt aber auch weniger schlimme. Hier ein Beispiel: Ich erinnere mich an meine Mutter und einen kalten Wintertag mit viel Schnee in Kanada. In Kanada gibt es Snow Days, an denen man nicht zur Schule gehen muß. Meine Mutter sagte „Holly, Zeit, um aufzustehen“ und ich hörte „Schule fällt aus, es ist Snow Day“. Alles in mir arbeitete für einen Snow Day, und meine Mutter kam immer wieder um mich aus dem Bett zu kriegen. Ich sagte, nein nein, Snow Day, und sie erwiderte nur „es schneit nicht mal!“ Das war eine andere Art Täuschung. Das muß nicht immer nur etwas total negatives sein. Es dient dem Überleben. Man muß aber drüber nachdenken. Der Song „This House is Haunted“ ist deshalb wichtig. Das Haus sind wir selber, und haunted bedeutet nicht automatisch etwa trauriges. Wir alle sind heimgesucht. Es kann schlecht oder traurig sein, aber auch lustig oder nützlich.

Das ist ja wie eine Psychotherapie.

Ich hoffe, dass es kein Alptraum ist! Ich bin besessen von Songtexten. Wenn du zum Beispiel den Song von Michel Legrand „I Will Wait For You“ nimmst, da dachte ich: Wenn du die Zeile hörst „I Will Wait Forever“ – was bedeutet „für immer“? Das heißt doch, dass du wartest, bis du stirbst. Das ist das einzige Forever in unserer Sprache. Das erscheint mir, als ob derjenige wirklich für diese Person wartet. Michel Legrand würde jetzt bestimmt sagen „Spinnst Du komplett, Holly?“ Ich habe mir den Song angehört und dachte „warum sollest du bist zu deinem Tod auf jemanden warten, der nie kommt?“ Ich gehe immer sehr tief in die Texte rein. „A 1000 Summers, I will wait for you“ – wer erlebt 1000 Sommer? Das läßt mich zu dem Schluß kommen, dass diese Person gar nicht kommen soll. Weil dieser jemand länger als jemand lebt, warten möchte. Diese Person erscheint mir wie jemand, der mit jemand eine Beziehung anfangen möchte, die nicht klappen kann – mit jemandem in Australien, mit einer verheirateten Person, oder etwa wie die Frauen, die etwas von Häftlingen wollen, die ihr Leben lang eingesperrt sind. Diese Menschen wollen die Sicherheit des Unerreichbaren. Ich glaube nicht, dass Michel Legrand so denkt, aber in meiner Interpretation von 1000 Sommern ist das so. Wenn ich in jemandem verliebt bin, der lebenslang im Gefängnis sitzt, ist es wohl so, dass ich nicht will, dass er rauskommt, weil ich die Idee, in ihn verliebt zu sein, mehr schätze. Die echte Person macht mir Angst. Wenn jemand zu mir sagt, was du singst, macht überhaupt keinen Sinn. Dann kann ich nur sagen – für dich vielleicht nicht, für mich schon. Jeder Gesichtspunkt ist gleich wichtig und gleichwertig.

Dieses Interview ist ungewöhnlich, weil die Aufnahme noch frisch ist, aber das Release Datum noch fern liegt. Normalerweise wissen die Künstler zum Release Datum schon, was als nächstes kommen soll.

Das ist absoluter Luxus. So habe ich jetzt Zeit und gerate nicht in diese Termintretmühle. Das mache ich das erste Mal so, und es ist wesentlich entspannter. Die Interviewtourneen durch die verschiedenen Länder, das ist sehr anstrengend.

Was ist mit deinem eigenen Song „Larger Than Life“? Der erinnert mich sehr stark an die Songs der 30er und 40er Jahre. Da gibt es diesen langen Verse, diese lange Einleitung vor dem eigentlichen Song. Das ist eine Songform, die es heute kaum noch gibt.

Danke, das hat mir noch nie jemand gesagt! Das waren früher die Überleitungen in den Musicals, die die Handlung voran gebracht haben. Ich mag diese Art. Es deutet den Song schon an. Necessity is the mother of invention, ich weiß nicht, ob es diesen Spruch auch auf deutsch gibt (gibt es, Not macht erfinderisch). Du brauchst etwas und erfindest etwas schönes.

Discographie

Aktuelle CD: „Holly Cole“ (Tradition & Moderne) – Vocal Jazz – 2007)

CD Holly Cole „Baby It’s Cold Outside“ (Tradition & Moderne- 2001)

CD Holly Cole „Romantically Helpless“ (Tradition & Moderne – 2000)

Weitere CDs:
„Shade“ (Tradition & Moderne – 2003)
„Best of Holly Cole“ (EMI – 2000)
„Don’t smolk in bed“ (EMI 1999)
„Dark dear heart“ (EMI 1997)
„Blame it on my youth“ (EMI-1997)

Copyright: MELODIVA

www.hollycole.com
Autorin: Angela Ballhorn

29.07.2007