Von kleinen Dingen zur großen Vision
Interview mit Rebecca Trescher
„Charakterstücke“ heißt Dein neues, achtes Album. Wie kam es zu dem Titel?
Meine neun Musikerkollegen, alle starke Charakterköpfe und Instrumentalvirtuosen, haben mir musikalische Skizzen von sich eingereicht und ich habe daraus über einen Zeitraum der letzten zwei Jahre ein maßgeschneidertes Programm komponiert und arrangiert. Das Album ist für mich sehr farbenreich und bunt, viele stilistische Einflüsse kommen hinzu, es sind alles ganz unterschiedliche Stücke und trotzdem ist es für mich in einem Guss, ein Zyklus. So fand ich den Titel der Charakterstücke sehr passend, auch die Verbindung zur klassischen Literatur empfand ich als reizvoll.
Auf dem Cover ist eine Baumscheibe zu sehen, viele Titel haben mit den Elementen („High Altitude Air“, „Cloud Walker“, „Wildwasser“) zu tun. Fühlst Du Dich der Natur verbunden, inspiriert sie Dich bei Deinem Composing?
Ich fühle mich sehr der Natur verbunden und bin immer sehr gerne draußen, vor allem im Wald. Ich kann dort gut entspannen und den Kopf leeren. Die Natur ist für mich eine Inspirationsquelle, oft unterbewusst. Ich beobachte gerne kleine Dinge, oder assoziiere ein Gefühl oder eine Stimmung mit etwas. Zum Beispiel: Wie fühlt sich nasses Moos an? Könnte das ein dreistimmiger Satz aus Flöten und Klarinetten darstellen? Wie kann ich Wolken musikalisch darstellen? Welche Durchlässigkeit braucht die Musik dazu oder gerade auch nicht? Solche kleinen Momente können oft der Nukleus einer musikalischen Idee sein, aus der dann ein ganzes Werk oder sogar ein ganzer Zyklus entstehen kann.
Bei mir erzeugt Eure Musik ein fantastisches Kopfkino, einige Sequenzen klingen traumverloren und sprechen mich gefühlsmäßig an – was mir bei Jazzmusik nicht so oft passiert. Was geht Dir im Kopf herum, wenn Du komponierst? Hast Du Bilder, Gefühlszustände oder Träume im Kopf, von denen Du Dich leiten lässt?
Das freut mich sehr zu hören. Mir wird oft gesagt, dass meine Musik sehr cineastisch ist.
Ja, wie schon oben erwähnt, ist der Startpunkt einer Komposition oft eine Beobachtung aus meinem Alltag. Auf der Straße, im Café, im Museum. Es sind Stimmungen, Farben, Licht, Schatten, Gesichter, Materialien, Gefühle, Haptik.
Du hast schon als Kind mit dem Klarinettenspiel angefangen, war es Dein Wunschinstrument?
Ich glaube nicht, das hat sich einfach so ergeben. (lacht)
Viele Menschen haben schon mit einem Instrument gut zu tun, Du hast aber relativ früh zusätzlich Flöte, E-Bass und Gitarre gespielt und auch schon improvisiert und komponiert. Bist Du in einer musikalischen Familie aufgewachsen, wo diese Instrumente überall herumlagen?
Zum Teil ja. Ich war schon immer sehr experimentierfreudig und aktiv. Mein Vater hat sowohl Gitarre, Saxophon als auch Klarinette gespielt, nicht professionell, aber es war immer Musik präsent und es hat mir viel gegeben.
Du bist ja auf dem Land aufgewachsen. Wie einfach war es für Dich, Musik zu machen? Gab es eine Bigband, wo Du mitspielen konntest?
Als Jugendliche war ich oft auf der Suche nach dem richtigen Lehrer oder nach dem richtigen Ensemble. Es war für mich anfangs schwierig, Anschluss zu finden. Letztlich hat mein Musiklehrer am Gymnasium mich zur ersten Jazz-Combo gebracht. An der Tübinger Musikschule war ich Teil eines klassischen Ensembles. Beide Welten haben mir große Freude bereitet, auch wenn ich noch nicht wusste, wohin die Reise gehen wird.
War es für Dich eine klare Sache, dass Du Jazz & Komposition studieren willst?
Nein, das hat sich mit der Zeit so entwickelt. Es war immer eine Art des Suchens, wie möchte ich klingen, was gibt es für Möglichkeiten, meine musikalischen Ideen auszudrücken und weiterzuentwickeln. Das war ein langer Weg, oft auch mit vielen Abzweigungen.
Bis zur Gründung eines eigenen Tentetts – bei Dir war das glaub ich mit 27 Jahren das Ensemble 11 – ist es aber noch ein großer Schritt. Wie hat sich Dein Wunsch, für ein größeres Ensemble zu komponieren, entwickelt? Hast Du Dir gleich gesagt „Ich will jetzt ein Tentett gründen“ oder seid Ihr als Ensemble immer größer geworden?
Nein. Zuerst habe ich ein Holzbläsertrio gegründet, um erste kompositorische Skizzen auszuprobieren. Später habe ich dann ein Quintett mit Saxophon, Gitarre, Kontrabass und Schlagzeug gegründet und habe dann ziemlich schnell meine erste CD mit Eigenkompositionen aufgenommen. Schließlich sehnte ich mich nach mehr Farbenreichtum und sinfonischen Teilen, sicherlich geprägt von meiner klassischeren Phase als Jugendliche. Dann gründete ich 2013 ein Large Ensemble, bestehend aus Studienkollegen. Über die Jahre gab es immer wieder mal Umbesetzungen, in der aktuellen Tentett Formation spiele ich seit 2019 und das Album Character Pieces ist nach dem Paris Zyklus meine zweite Albumproduktion in dieser Besetzung. (Foto links: Sebastian Autenrieth)
Wie hast Du zu den Mitgliedern Deines jetzigen Tentetts gefunden? Wie kommt es eigentlich, dass Du keine Musikerinnen in Deinem Tentett hast?
Ich habe Musiker*innen gesucht, die zu meinen Klangvorstellungen, zu meiner Ästhetik passen. Und natürlich habe ich auch geschaut, wer wohnt nicht so weit weg. Wobei wir mittlerweile in ganz Deutschland verteilt leben. Nürnberg, München, Köln, Würzburg, Hamburg, Berlin. Es war Zufall, das es nur Männer sind. Wenn ich jetzt nochmal ein Tentett gründen würde, würde ich sicherlich auch Musikerinnen fragen. Aber damals hat sich das einfach so ergeben und es war für mich sehr stimmig. Wir sind ein über Jahre zusammengewachsenes Kollektiv, wo man sich gegenseitig unterstützt und wir auch Freunde geworden sind. Aber man weiß nie, was die Zukunft bringen wird. Da bin ich offen und freue mich, auf alles was kommt.
Eure Besetzung ist ja sehr speziell. Mit Saxofonen, Flöte, Klarinette, Cello, Konzertharfe, Klavier, Vibraphon, Trompete, Bass und Schlagzeug stehen Dir viele Klangfarben zur Verfügung, die für verschiedene Stimmungen, aber auch großartige Kontraste sorgen. Wie setzt Du diese ein, wie entstehen Deine/Eure Stücke?
Der Tentett-Sound ist für mich sehr transparent, flexibel und wandelbar, hat aber auch genau die richtige Power, die ich mir wünsche. Zum einen ist es für mich ein orchestraler Klangkörper, in dem ich als Komponistin sinfonische Tutti schreiben kann und zum anderen ist es wie eine kleine Combo mit 10 Instrumentalvirtuosen. Jeder Musiker kann ständig in neue Rollen schlüpfen. Mal ist er Melodiespieler oder Satzspieler, dann Teil eines harmonischen Elements oder eines rhythmischen Ostinatos. Oder er ist solistisch aktiv und schwebt über allem.
Ich sehe mein Tentett auch als improvisierendes Ensemble, in dem Kollektivimprovisationen entstehen können, von Duo-Momenten bis hin zu 10-stimmigen Geflechten, die wir gemeinsam gestalten, steuern und dramaturgische Bögen spannen. Natürlich muss sich auch jeder im richtigen Moment zurücknehmen können. Den Mut zur Stille und den leisen Tönen nachzuhören, finde ich sehr wichtig und spannend. Außerdem zählt für mich auch die menschliche Komponente, das Miteinander, die Zeit auf und hinter der Bühne, das Reisen. Das Bandklima empfinde ich als sehr besonders in dieser Besetzung und genieße das sehr, und ich denke, das spürt auch das Publikum, diese inspirierende Energie.
Gibst Du dabei viel vor? Inwieweit sind Deine Mitmusiker an der Komposition beteiligt? Wie viel ist kompositorisch festgelegt und wie viel frei?
Ich würde sagen, dass die meisten Stücke stark auskomponiert und durchgeplant sind, natürlich gibt es immer Phasen der Improvisation, wo ein Solist über einen Formteil improvisieren und gestalten kann, aber die Harmonien, der Groove, der Style und die Dramaturgie sind von mir festgelegt. Das ist ja gerade die Kunst und meiner Meinung nach einer der schwersten Disziplinen, innerhalb eines solchen Gerüsts sich als Instrumentalist frei zu bewegen.
Darüber hinaus ist mir aber auch wichtig, dass ich nur eine Art Bilderrahmen als Komposition vorgebe und wir dann als Tentett das Bild gemeinsam ausmalen. Da ist dann relativ wenig vorgegeben und jeder Musiker trägt eine große gestalterische Verantwortung.
Ihr werdet jetzt mit dem neuen Album auf CD-Releasetour sein, u.a. habt ihr auf der Jazzahead in Bremen gespielt und in Kürze seid ihr beim Jazzfrühling in Kempten. Was steht für Dich/Euch sonst noch an?
Wir spielen zahlreiche Release Konzerte, eine große Videoproduktion mit einer Videokünstlerin haben wir soeben produziert, welche zum International Jazzday auf ARD alpha gesendet wird und anschließend auf die ARD Mediathek kommt. Alle Daten findet Ihr auf meiner Website.
Du bist eine vielfach preisgekrönte Künstlerin, hast 2022 den Deutschen Jazzpreis in der Kategorie “Komposition des Jahres” für Dein Stück „Paris Zyklus | The Spirit of the Streets“ gewonnen und mit Deinem Tentett das Finale des Neuen Deutschen Jazzpreises. Das Downbeat Magazine kürte Dich zum „Rising Star Clarinet”. Was bedeuten diese Preise für Dich? Beflügeln sie Dich oder ist damit auch ein Druck verbunden, immer hohen Erwartungen gerecht werden zu müssen?
Ich freue mich sehr über diese Auszeichnungen. Gerade als freischaffende Musikerin tut es gut zu wissen, dass man gesehen und gehört wird. Es motiviert natürlich auch weiter zu machen. Außerdem kann man das Preisgeld hervorragend in die Band oder in neue Produktionen investieren. Das ist großartig und die eigene musikalische Vision kann immer weiter wachsen.
Rebecca, wir wünschen Dir alles Gute und viel Erfolg bei Deinen Projekten!
CD „Character Pieces“
(VÖ: 03.05.2024 enja)
per Mail vorbestellen
Release-Tour:
29.04. Wendelstein, Jazz & Blues Open Wendelstein
01.05. Berlin, Zig Zag Jazzclub
02.05. Kempten, Jazzfrühling Kemtpten
19.05. Hildesheim, Großes Haus des Theater für Niedersachsen (Preisträgerkonzert)
15.06. Bonn, Opernhaus Bonn
Titelbild: Dovile Sermokas
23.04.2024