Anke Helfrich Trio feat. Tim Hagans

“dedication“

An dieser Stelle kann ich endlich einmal ein leidenschaftliches und ehrliches Plädoyer über die Notwendigkeit von Musik halten, die herausfordert. Ein solches Musikwerk – egal, ob Jazz, Pop, Rock, Klassik –ist im besten Sinne verstörend, wenn es den Hörer zu überwältigen vermag, weil es sperrig, interessant und einfach anders ist. Der Hörer kann eine solche Musik letztendlich nicht erfassen. Solche Musik wirkt nie abgestanden oder aufgebraucht. Sie bleibt in ihrem Kern ein nicht zu erfassendes Rätsel und ein Ausgangspunkt der eigenen Neugier.
Ein solches Werk ist die neue CD „dedication“ von Anke Helfrich. Die schon seit langem international anerkannte Jazzpianistin ließ sich mit dem Album Zeit – es erscheint sechs Jahre nach dem letzten Album „Stormproof“, was im heutigen Musikbusiness nicht wirklich geht. Doch die außerordentliche Qualität des neuen Albums zeigt, dass diese lange Vorbereitungszeit richtig und wichtig war.
Anke Helfrich, übrigens seit Jahren Dozentin am Frankfurter Konservatorium, verfügt mit Martin Wind (b), Jonas Burgwinkel (dr) und dem kongenialen amerikanischen Trompeter Tim Hagans über ein Aufgebot an erstklassigen Jazzmusikern, das seinesgleichen sucht und Schuld an der außerordentlichen Qualität von „dedication“ ist.
Kernstücke der CD sind die beiden Tracks „Invictus“ und „The Prize“, mit denen Anke Helfrich auch bewusst ihrer eigenen afrikanischen Kindheitserinnerungen gedenkt. „Invictus“ ist der Titel des gleichnamigen Gedichtes von Ernest Hemingway, das für den südafrikanischen Präsidenten Nelson Mandela während seiner Haft überlebenswichtig wurde. In dem Stück wird das musikalische Thema, zwei große Terzen, zögernd und spannungsreich eingeführt; sie bilden das Gerüst der Improvisationen. Überlagert wird die Musik vom Gedicht, das der Sprecher Ardie Walz rezitiert. Die Aussagen „I am the master of my fate, I am the captain of my soul“ stehen im Zentrum. Anke Helfrich benutzt die Klangfarben des Klaviers und Fender Rhodes, das mit seinem glockenähnlichen Klang stilisierter, manierierter wirkt. Das Gedicht wird weniger kommentiert, sondern es entsteht mit der Musik ein neuer Text, eine Collage, die für den Hörer Projektionsflächen der eigenen Interpretation zulässt.
Ähnlich verhält es sich auch mit dem weiteren Stück dieser Art, „The Prize“. Hier hat Helfrich die weltbekannte Rede Martin Luther Kings „I have a dream“ vertont. Ihre Vertonung ist eine verblüffende Leistung, denn Helfrich hat den Sprechduktus des Bürgerrechtlers aus dieser Rede akribisch transkribiert, bis sie eine Sprechmelodie heraus schälen konnte, die sie mit ihrer eigenen harmonischen Sprache unterlegt.
Vieles wäre noch zu erwähnen, die Virtuosität des Jazztrompeters Hagans, der mit seiner Spielweise Helfrichs harmonischem Denken sehr ähnelt, oder die Virtuosität von Martin Wind oder dem Percussionisten Jonas Burgwinkel, der zu den gefragtesten Jazzdrummern unserer Zeit gehört.
Aber diese CD ist eine Herausforderung im besten Sinne. Ihre Wirkung entzieht sich einer umfassenden Interpretation oder Analyse. Damit gehört diese CD zu den besten Einspielungen der letzten Zeit und hat das Zeug, diese zu überdauern.

CD, 2015, 10 Tracks, Label: Enja

Sandra Müller-Berg

11.12.2015